Radikale AbtreibungsgegnerInnen: Der Hass der „Lebensschützer“

Fanatische Abtreibungsgegner gewinnen in Gesellschaft und Parlament an Einfluss und erschweren die Beratung. Eine Tabuisierung hat längst begonnen.

Der „Marsch für das Leben“ verzeichnet Jahr für Jahr einen größeren Zulauf Bild: dpa

„Sie wollen ungestraft Kinder töten!“, „Abtreibung ist Faschismus der feigsten Art“. Die Veranstaltungsankündigung auf der Homepage hatte gereicht, um Jutta Ditfurth einige Hassmails einzubringen. Über Twitter wurde gleichzeitig gegen den Veranstaltungsort als „Tötungszentrum“ mobilisiert.

Die Organisation, die hier im Kreuzfeuer steht, ist das Familienplanungszentrum Balance, das im Berliner Bezirk Lichtenberg unter anderem Schwangerschaftsabbrüche anbietet. Am Mittwoch stellten dort die Geschäftsführerin Sybill Schulz, die Autorin Jutta Ditfurth, die ehemalige Vorsitzende von pro familia, Gisela Notz, und Eike Sanders vom antifaschistischen Dokumentationszentrum apabiz vor Dutzenden Interessierten ein gemeinsam herausgegebenes Buch vor: „Die neue Radikalität der Abtreibungsgegner_innen im (inter)nationalen Raum“ (AG SPAK, 2012).

Alle Gäste haben Erfahrungen mit Hassbriefen und Drohanrufen. Aber zunehmend kämen diese auch aus der Mitte der Gesellschaft. Sybill Schulz spricht darum von einem gesellschaftlichen Rollback, sichtbar in der Gegnerschaft zum Schwangerschaftsabbruch, aber auch viel allgemeiner „in der Haltung zur sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung“.

Während noch in den Siebzigern viele für die Streichung des noch immer gültigen Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch auf die Straße gingen, der Abbruch ein alltägliches Thema war, ist er heute wieder stigmatisiert. „Abtreibung ist inzwischen vollkommen tabuisiert“, sagt Ditfurth. Stimmen für die reproduktive Selbstbestimmung verstummen zunehmend, stattdessen übernehmen gut organisierte „LebensschützerInnen“, die unter dem Kampfbegriff vom „ungeborenen Leben“ gegen Abtreibung mobilisieren, den öffentlichen Diskurs.

Fötus als Rechtssubjekt

Der „Marsch für das Leben“ etwa verzeichnet Jahr für Jahr einen größeren Zulauf. Tausende zogen 2012 unter dem Motto „Für ein Europa ohne Abtreibung und Euthanasie“ mit weiß gefärbten Kreuzen und überdimensionierten Nachbildungen von Embryonen durch Berlin. Christliche FundamentalistInnen und Rechtsextreme kämpfen Seite an Seite mit Wertkonservativen für die Anerkennung des Fötus als Rechtssubjekt, das man auch gegen die Frau ins Feld führen kann.

„Es gibt kaum Analysen über die Schnittmenge von ,LebensschützerInnen‘, CDU und der extremen Rechten“, kritisiert Eike Sanders. Denn Abtreibungs-gegnerInnen argumentieren nicht nur mit dem demografischen Wandel, sondern eben auch rassistisch, mit dem drohenden „Volkstod“ der Deutschen.

Und trotzdem steuerten zum letzten „Marsch für das Leben“ etliche Vertreter von Amtskirche und Bundestag Grußworte bei: der Berliner Erzbischof Rainer Maria Woelki, der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz Robert Zollitsch, der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Volker Kauder, der Vorsitzende des Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU) – die Liste ist lang.

Notz stellt klar: „Die selbsternannten ,Lebensschützer‘ sind keine durchgeknallten Spinner“, sie sind im Mainstream. Neben Kontakten ins Parlament haben AbtreibungsgegnerInnen – und dies ist für den Alltag der Frauen viel fataler – die Informationshoheit über das Thema Abtreibung.

Wie ein Damoklesschwert

Wer sich im Internet auf die Suche nach Beratungszentren oder Arztpraxen macht, die einen Abbruch vornehmen, landet auf Propagandaseiten wie www.babycaust.de. Selbst auf der Seite von Balance muss man lange klicken, um auf die Dienstleistung Schwangerschaftsabbruch zu stoßen. Das hat einen triftigen Grund: Werbung für den Abbruch wird mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet. Aber wo verläuft die Grenze zwischen Information und Werbung?

Der Paragraf hängt wie ein Damoklesschwert über den Beratungsstellen und den GynäkologInnen: Viele nehmen nach unzähligen Anzeigen die Verweise vom Netz. „Wir sehen, dass junge Frauen nicht rechtzeitig an Informationen kommen“, erzählt Schulz. Abtreibungstourismus dürfte eine Folge sein. Gisela Notz beklagt, dass die große Akzeptanz radikaler Ideen die Selbstbestimmung der Frau infrage stelle.

Vor Kurzem hatte die Sozialwissenschaftlerin eine Befragung ungewollt schwanger gewordener Teenager ausgewertet. Dreizehnjährige lehnten dort Beratung und Abbruch kategorisch ab, um „nicht zur Mörderin zu werden“. Woher sie das haben? Von den Eltern? Aus der Schule? Den Medien? Leider alles möglich. „Die ,Lebensschützer‘ sitzen längst in den Institutionen“, sagt Notz.

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