Radfahren auf dem Land: Schutzstreifen wieder abgekratzt

Weil der Modellversuch vorbei ist, wurden Radfahrer-Schutzstreifen in Stormarn „demarkiert“. Gutachter empfahlen, sie zu lassen. Doch deren Bericht verzögert sich.

Die Straße nach Lütjensee.

Vom Rad-Symbol bleibt auf dem Asphalt nur ein Rest zu sehen: Straße nach Lütjensee Foto: Andreas Kiesselbach

HAMBURG taz | Rennradfahrer aus Hamburg haben diese Strecken geliebt: Raus aus der Stadt und dann zwischen den Dörfchen Siek und Hoisdorf oder Lütjensee und Oetjendorf ruhige Landstraßen, auf denen es Radstreifen gibt. Doch seit Mitte Juli sind sie weg, nur hier und da schimmert ein Farbrest vom Fahrradsymbol auf dem Asphalt.

Ginge es nach Lütjensees Bürgermeisterin Ulrike Stentzler, wären die Streifen geblieben. Sie seien „ein Segen für die Radfahrer“, sagte sie schon 2016, als der ursprünglich 2013 begonnene Modellversuch „Schutzstreifen außerorts“ beendet war.

Ein Jahr lang hatten drei Ingenieurbüros diese und 16 weitere Strecken im Bundesgebiet beforscht. Merkmal all dieser Teststraßen, die es zum Beispiel in der Grafschaft Bentheim noch gibt: Sie sind nur wenig befahren und zwischen 5,25 und 7,50 Meter breit. Dort, wo bisher je eine Autospur in beide Richtungen führte, gibt es nur noch eine „Kernfahrbahn“, die sich entgegenkommende Autos teilen. Gewonnen wird so Platz für Radschutzstreifen mit gestrichelten Linien, die die Autos zum Ausweichen befahren dürfen, wenn dort kein Radler fährt.

Dieses Prinzip gibt es bereits in Frankreich, in der Schweiz und in den Niederlanden. Doch in der deutschen Straßenverkehrsordnung sind solche „Schutzstreifen“ bislang nur in Orten erlaubt. Unter der Federführung Mecklenburg-Vorpommerns startete deshalb 2013 besagtes Pilotprojekt, das neben Sicherheitsaspekten auch prüfen sollte, ob so der Radverkehr attraktiver wird.

Für den Versuch „Schutzstreifen außerorts“ wurden im Sommer 2013 bundesweit 15 Pilotstrecken markiert. In Baden-Württemberg kamen später drei dazu.

Im Norden gab es drei Strecken in Stormarn. Es gibt noch zwei im Kreis Ludwigslust-Parchim, eine in der Grafschaft-Bentheim, zwei im Landkreis Northeim.

Die übrigen sind im Rhein-Erft-Kreis, im Kreis Konstanz und Ravensburg, sowie in Stuttgart, Neuruppin und Köln.

Die Auswertung erfolgte durch Befragungen, Videobeobachtungen und Verfolgungsfahrten mit Kameras.

Um die Deutung der Ergebnisse wurde hinter den Kulissen gerungen. Gutachter Peter Krausse vom Lübecker Planungsbüro Urbanus zieht ein positives Fazit: „Wir haben festgestellt, dass die Interaktion zwischen Auto- und Radfahrern viel bewusster ist.“ Radfahrer fühlten sich wieder gleichberechtigt, viele trauten sich erst dank der Streifen wieder auf die Kreisstraßen.

„Am Anfang gab es Beschwerden von Autofahrern. Aber das hat sich komplett gewandelt“, sagt Dagmar Fockenga vom Verkehrsamt Stormarn. Bei der Befragung habe sich auch die Mehrheit der Autofahrer positiv geäußert. „Wir hätten die Streifen gern länger behalten“, sagt sie. Radfahrer fühlten sich sicherer, was zu einer Attraktivitätssteigerung führe.

Doch der Landkreis war abhängig von einer Ausnahmegenehmigung des schleswig-holsteinischen Verkehrsministeriums. Und der neue FDP-Verkehrsminister Bernd Buchholz wollte diese zuletzt nicht mehr erteilen. Das Problem: Das Bundesverkehrsministerium in Berlin ist dagegen. Obwohl im Koalitionsvertrag steht, Radfahrer-Schutzstreifen „wollen wir unterstützen“.

Das Gutachten, das Krausse und Kollegen schon im Frühjahr 2016 abgaben, ist zwei Jahre später immer noch nicht offiziell veröffentlicht. Der Abschlussbericht liege als Entwurf vor, teilt das dafür zuständige Mecklenburgische Verkehrsministerium mit. „Eine abschließende Prüfung steht jedoch noch aus.“

Laut der Berichtsversion, die der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) online stellte, ist das Fazit positiv. Demnach sollten alle Versuchsstrecken bestehen bleiben. Auf allen Strecken wurden mehr Radfahrer gesichtet. Und verunglückte Radfahrer gab es auf allen 15 Strecken in drei Beobachtungsjahren vor der Markierung neun, in den zwei Testjahren jedoch nur zwei. Es war kein Radler „in erkennbarem Zusammenhang mit dem Schutzstreifen verunfallt“, so der Bericht.

Mehr Radfahrer, weniger Unfälle

Der Eindruck, dass die Streifen positive Wirkungen haben, solle durch weitere Untersuchungen erhärtet werden, so die Experten. Deshalb solle der Versuch zeitlich verlängert und auf weitere Strecken erweitert werden. Und schließlich solle der mit „mangelndem Kenntnisstand begründete generelle Ausschluss von Schutzstreifen außerorts“ in der Straßenverkehrsordnung „aufgehoben“ werden.

Das Bundesverkehrsministerium gibt eine andere Antwort. Der Forschungsbericht belege, dass sich die Anlage so eines Schutzstreifens „nicht förderlich auf die Verkehrssicherheit auswirkt“, sagte das Ministerium der taz. Weil sich Autofahrer an der Leitlinie orientierten und „dadurch oftmals näher an die Radfahrer heranfahren“. Deshalb werde Berlin auch keine weiteren Untersuchungen in Auftrag geben.

Thema im Bundes-Verkehrsausschuss

Peter Krausse nennt den Einwand „nicht haltbar“. Dass Autos Radfahrer dichter als mit dem vorgeschriebenen Abstand von anderthalb Metern überholten, liege daran, dass sie sich nicht trauten, den links liegenden Radstreifen zu befahren, weil Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung fehle. Ein großes Schild könne da schon helfen. Der Versuch habe jedoch ergeben, dass Autos Radler langsamer überholen. „Und sie tun dies auch seltener, wenn ein anderes Auto entgegenkommt“, sagt Krausse.

Für Unverständnis sorgt die Berliner Haltung auch in Landkreisen, die ihre Streifen noch nicht „demarkiert“ haben, und jetzt vor der Frage stehen, wie sie weiter verfahren. Der Kieler SPD-Bundestagsabgeordnete Mathias Stein, zuständiger Berichterstatter seiner Fraktion für die Themen Elektromobilität und Radverkehr, will das Thema im Herbst im Verkehrsausschuss des Bundestags zur Sprache bringen. „Mich wundert, dass das Gutachten bisher weder veröffentlicht noch mit der Fachöffentlichkeit erörtert wurde“, sagt er. Denn die Streifen stünden ja im Koalitionsvertrag.

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