Pussy Riot Theatre in Deutschland: „Eine imperiale Sehnsucht“

Mascha Alechina von Pussy Riot ist gerade auf Tour in Deutschland. Sie spricht über Hafterfahrungen und über die Situation in Russland.

Eine Frau, Mascha Alechina

Mascha Alechina im November 2017 im Büro ihres deutschen Verlags Foto: Karsten Thielker

taz: Frau Alechina, die Fotosession hat Ihnen gerade sichtlich Spaß gemacht, Sie sind immer wieder vom Stuhl gehüpft. Sind Sie eine sportliche Person?

Mascha Alechina: Vom Stuhl zu hüpfen würde ich noch nicht als Sport bezeichnen. Aber ja, ich gehe gerne schwimmen. Und ich spiele Schach.

Konnten Sie während Ihrer Haftzeit Schach spielen?

In der Untersuchungshaft habe ich Backgammon gespielt – das populärste Spiel im Gefängnis.

War das eine der wenigen Freuden in der Haftanstalt?

Da muss man zwischen Untersuchungshaft und Arbeitslager unterscheiden. In der Untersuchungshaft hat man viel Zeit, weil man die ganze Zeit in der Zelle verbringt. Dort kannst du lesen oder Backgammon spielen. Eine Stunde am Tag gibt es Freigang, wobei „Freigang“ ein Euphemismus ist: Es gibt keinen Garten oder so, es ist ähnlich wie in einem geschlossenen Raum. Ohne Dach, aber mit einem Gitter über dem Atrium. Im Arbeitslager nahe Perm, in das ich vor gut fünf Jahren kam, herrschten andere Bedingungen. Dort musste man arbeiten, und die Arbeit der Häftlinge ist es, Uniformen für die russische Polizei und das Militär zu nähen. Es ist zynisch. Nach zwei Wochen haben sie mich in eine Einzelzelle gesteckt. Die meiste Zeit habe ich dort verbracht, ehe ich wegen der Haftbedingungen vor Gericht gezogen bin.

Person: Maria „Mascha“ Alechina, 29, ist Mitglied des Performancekollektivs Pussy Riot. Alechina nahm am sogenannten Punk-Gebet von Pussy Riot im Februar 2012 in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale teil und wurde daraufhin zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt. Im Dezember 2013 wurde sie vorzeitig entlassen. Im Dezember ist Alechina in Moskau erneut verhaftet worden. Zum 100. Jahrestag der Gründung der sowjetischen Geheimpolizei Tscheka hatte sie vor der Lubjanka – ehemals Sitz des sowjetischen Geheimdienstes, heute des russischen Inlandsgeheimdienstes (FSB) – ein Banner mit der Aufschrift „Herzlichen Glückwunsch, ihr Henker“ entrollt. Am Donnerstag wurde sie wieder freigelassen. Ein Richter verurteilte die 29-Jährige zu 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit.

Beziehung: Alechina machte zuletzt Schlagzeilen, als sie ihre Beziehung mit Dmitri Zorionow bekannt gab. Zorionow war einst ultraorthodoxer Aktivist der Gruppe „Gottes Wille“, Abtreibungsgegner, homophober Prediger – und er forderte Haft für Pussy Riot. Unklar ist, wie er heute zu „Gottes Wille“ steht – er selbst sagt, die Gruppe gebe es nicht mehr. Freunde und Aktivisten wandten sich von Alechina ab. Sie sagt, politische Konflikte zwischen ihr und Zorionow bestünden bis heute.

Sie haben den Prozess gegen die Lagerleitung gewonnen, wie Sie nun in Ihrem Buch „Tage des Aufstands“ schildern. Das scheint mir sehr außergewöhnlich in einem solchen Fall in Russland.

Ja, das war ein großer Erfolg. Für mich, aber auch für all jene, die aus Moskau kamen und mich unterstützten. Und für meine Verteidigerin Oksana Darowa. Sie ist großartig.

Ihr Buch endet mit Ihrer Freilassung Weihnachten 2013. Wie sind Sie mit den brutalen Hafterfahrungen im Anschluss umgegangen?

Das wäre eine Geschichte für ein weiteres Buch. Wir haben danach viele Aktionen für MediaZona gemacht. Nadia (Nadja Tolokonnikowa, weiteres Pussy-Riot-Mitglied; d. Red.) und ich haben MediaZona gegründet, ein unabhängiges Medium, das sich mit Polizeigewalt und politischen Gerichtsverhandlungen beschäftigt. Ich habe eine Theatershow mit dem weißrussischen Ensemble Belarus Free Theatre gemacht, der einzigen politischen Künstlergruppe dieser Art in Weißrussland.

Helfen Ihnen die politischen Aktionen über die Erlebnisse in der Haft hinweg?

Darum geht es nicht. Es geht darum, sich für andere Menschen einzusetzen. Nachdem wir freigelassen wurden, haben wir uns sehr viele Gefängnisse in ganz Europa angesehen, um sie mit denen in Russland zu vergleichen. Gemeinsam mit einem Kollektiv von Anwälten haben wir deshalb die Gruppe Zona Prava gegründet, die sich für Gefangene in Russland einsetzt. Ende Oktober haben wir in New York eine spontane Aktion für den ukrainischen Regisseur Oleg Senzow und den ukrainischen Aktivisten Alexan­der Koltschenko im Trump Tower gemacht. Senzow ist 2015 zu 20 Jahren Haft verurteilt worden wegen seines Aktivismus in Sachen Krim. Wir haben Flugblätter verteilt; der Trump Tower war nach unserer Aktion eine halbe Stunde geschlossen.

Sie zitieren in Ihrem Buch die „Erzählungen aus Kolyma“ von Warlam Schalamow – neben Alexander Solschenizyn einer der bekanntesten russischen Autoren, die den Gulag beschrieben haben. Sehen Sie in Russland die Kontinuität eines Systems des Überwachens und Strafens?

Was wir heute in Russland haben, ist ein Erbe des Gulag. Wie ein Staat mit Häftlingen umgeht, spiegelt immer auch, wie die Regierung und der Staat mit ihren Bürgern umgehen. Das Gulag-System existierte, wenn auch in unterschiedlicher Ausformung, über 70 Jahre. Das, was dort in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren geschah, unterscheidet sich natürlich je nach Epoche stark voneinander. Und heute ist es wieder anders. Aber die Struktur hat sich nicht geändert.

Als jüngst das Jubiläum „100 Jahre Russische Revolution“ begangen wurde – wie haben Sie das empfunden?

Vor allem die ältere Generation feiert das Jubiläum. In dieser Generation gibt es eine nostalgische Sehnsucht nach der Sow­jetunion, eine ­imperiale Sehnsucht. Manche wünschen sich gar den Zarismus zurück. Immer geht es dabei um den Wunsch nach einem starken Führer. Putin in­stru­mentalisiert das, um ­durchzuregieren und bestimmte Dinge durchzupeitschen.

Das Buch: Mascha Alechina: „Pussy Riot. Tage des Aufstands“, ciconia ciconia Verlag, Berlin 2017, 292 Seiten, 20 Euro.

Die Live-Performance: "Riot Days Theatre": 9.1. Hannover, Raschplatzpavillon, 10.1. Oldenburg, Kulturetage, 11.1. Hamburg , Fabrik, 12.1. Darmstadt, Centralstation, 13.1. Bremen, Schlachthof, 14.1. Berlin, SO 36, 15.1. Bonn, Harmonie, 16.1. Nürnberg, Hirsch, 17.1. Stuttgart, Theaterhaus, 18.1. Karlsruhe, Tollhaus, 20.1. München, Muffatwerk

Sie schreiben: „In Russland hat niemand eine Vorstellung davon, was Zivilgesellschaft ist. Keiner geht davon aus, dass irgendetwas in dieser Welt von ihm abhängt.“ Warum ist das bis heute so?

In dem Kapitel, das Sie ansprechen, schildere ich ausführlich eine gewisse Apathie und das Nichthandeln. Alles Politische beginnt aber mit einer Aktion, mit der Erkenntnis, dass man handeln muss. Der Absatz trägt in der Überschrift den Imperativ „kämpfe!“, das ist eine literarische Strategie, die ich in ähnlicher Form im ganzen Buch verfolge. Darauf folgen dann Statements und politische Slogans, die man braucht, um sich dem Ganzen zu widersetzen.

Haben Sie eigentlich Kontakte zu deutschen Politikern?

Ich kenne Politikerinnen und Politiker der Grünen, die ich sehr schätze.

In der deutschen Partei Die Linke gibt es mächtige Figuren wie Sahra Wagenknecht, die einen Entspannungskurs im Umgang mit Russland fordern und implizit die Krim-Annexion zumindest dulden würden. Was würden Sie erwidern?

Dass sie Mörder unterstützen. Und Repressionen ­gegen Bürger. Das sind nicht gerade „linke“ Gedanken. Es sind ­immer noch über 40 ukrainische Bürger wegen ihres Engagements für die Krim in Russland in Haft. Nicht nur Aktivisten, es sind auch Menschen, die einfach dort lebten. Sie haben bis zu 20 Jahre Haft bekommen, sie wurden zum Teil misshandelt während der Ermittlungen. So ist die Lage. Der Krieg mit der Ukraine geht weiter, und darüber sollte in der EU und in Deutschland immer wieder gesprochen werden. Besonders angesichts dessen, dass wir im kommenden Jahr Präsidentschaftswahlen in Russland haben. Die Ukraine ist auf dem Weg nach Europa, es gibt Visumfreiheit für ukrainische Bürger. Die Ukraine ist fast wie ein Teil der EU und sollte auch so geschützt werden.(Anm. d. Red.: Die EU forderte in einem Papier vom 4. Oktober 2017 die Freilassung der Krimtatarenführer Akhtem Chiygoz und Ilmi Ume­rov sowie 45 weiterer Personen, die wegen Ihres Krim-Engagements in Haft sind – darunter Oleg Senzow. Laut Amnesty International wurden Umerov und Chiygoz am 25. Oktober freigelassen.)

Neben den Präsidentschaftswahlen findet noch die Fußball-WM im kommenden Jahr in Russland statt. Was halten Sie von der Entscheidung, die WM in Russland auszutragen?

Das ist eine merkwürdige Entscheidung. Die politische Situation in Russland ist kein respektabler Rahmen für eine Fußballweltmeisterschaft.

Sie selbst sind im Vorfeld der Olympischen Spiele 2014 freigelassen worden, es gab einen Zusammenhang. Wären Entlassungen oder Erleichterungen für Häftlinge vor der WM wieder denkbar?

Es deutet nichts darauf hin. Die Einstellung der heutigen Regierung Putin ist nicht vergleichbar mit der von vor vier Jahren. Der russischen Regierung ist es total egal, welches Bild Europa von ihr hat. Umso wichtiger ist es, auf bestimmte europäische Werte immer wieder hinzuweisen.

Nun gehen Sie mit einem Pussy-Riot-Theaterprojekt auf Deutschlandtour gehen. Es heißt wie Ihr Buch (in der englischen Fassung) „Riot Days“. Ist es eine Bühnenadaption des Textes?

Ja. Es ist ein Punkmanifest, das auf meinem Buch basiert. Das Pussy Riot Theatre habe ich gemeinsam mit einigen Freunden ins Leben gerufen, wir wollen die Geschichte als Performance erzählen.

Ihre Pussy-Riot-Kollegin Nadja Tolokonnikowa geht mit einem anderen Projekt auch als „Pussy Riot“ auf Tour. Gibt es Differenzen darüber, wer die Marke Pussy Riot nutzen darf?

Nein, absolut nicht. Wir machen jetzt einfach unterschiedli­che Sachen. Ich mache ­politisches Theater, Nadja macht Musik.

Wird es mit Ihrem Theaterprojekt auch Aufführungen in Russland geben?

Es gab zwei Veranstaltungen. Nach der ersten wurde die Bühne direkt im Anschluss geschlossen, und nach der zweiten bekam das Theater, in dem wir auftraten, auch große Probleme. Also beließen wir es dabei.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.