Psychologe über Berliner Beziehungstat: „Kein spezielles Migranten-Phänomen“

Nach der Beziehungstat in Berlin ruft der Psychologe Kazim Erdogan zu Solidarität mit der betroffenen Familie auf und warnt vor einer Stigmatisierung von Zuwanderern.

Ein Mann legt Blumen bei der Mahnwache für die Getötete in Berlin nieder. Bild: dapd

taz: Herr Erdogan, Sie arbeiten als Psychologe in Berlin-Neukölln, leiten Deutschlands erste Selbsthilfegruppe für muslimische Männer und beraten Ehepaare bei Streitigkeiten. Kannten Sie die Familie S. ?

Kazim Erdogan: Den Täter habe ich nicht persönlich gekannt, es ist eine sehr große Familie. Vor etwa acht Jahren erdrosselte ein Mitglied der Familie S. in Berlin seine Frau und flüchtete in die Türkei. Damals betreute ich die fünf hinterbliebenen Kinder.

Ein Verwandter der Familie?

Ich kann nicht mehr mit Gewissheit sagen, in welchem Verhältnis die Männer zueiander standen, ob es ein Cousin, Bruder oder Onkel war von Orhan S. war.

Orhan S. hat seine Frau geköpft. Haben Sie in Ihrer Laufbahn jemals mit solch einem Fall zu tun gehabt?

Ich habe ständig mit Mord und Totschlag zu tun. Aber solch eine brutale Tat steht außerhalb all meiner bisherigen Erfahrungen.

, 59, ist Psychologe hat 2007 in Berlin die „Vätergruppe“, Deutschlands erste und mittlerweile mehrfach ausgezeichnete Gesprächsrunde für türkische und arabische Männer, gegründet.

Wie haben Sie von dieser Tat erfahren?

Ich habe es morgens im Radio gehört und dachte nur noch, hoffentlich hat der Täter keinen Migrationshintergrund. Denn dann geht es wieder mit der Stigmatisierung von Einwanderern und insbesondere von Muslimen los. Gerade in letzter Zeit gab es viele Vorfälle, in denen Migranten ihre Beziehungsprobleme mit Gewalt gelöst haben. Diese Anhäufung ist natürlich ein Zufall, die Außenwirkung ist jedoch fatal …

weil es dann heißt „Typisch Muslime! Die können ihre Probleme nicht anders lösen“?

Genau das ist es. Wir dürfen nun nicht wieder Menschen mit Zuwanderungsgeschichten diskriminieren. Diese Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und kein spezielles Phänomen bei Migranten.

Die türkische Tageszeitung Hürriyet hat die Namen der Opfer, insbesondere der Kinder, veröffentlicht. Welche Nachwirkungen kann das für die Hinterbliebenen haben?

Ich verstehe nicht, dass meine türkischen Landsleute alles von A bis Z ausstellen müssen. Der Schaden für die Kinder ist immens, die Folgen nicht vorhersehbar. Die ganze Welt weiß nun, was ihr Vater getan hat. Der Schmerz wird dadurch noch größer, falls dies überhaupt noch möglich ist.

Sie haben gestern mit Ihrer Männergruppe eine Solidaritätsveranstaltung vor dem Haus der Familie S. initiiert. Warum?

In unserer Gruppe ist Gewalt in der Familie ein ständiges Thema, deswegen wollen wir ein Zeichen setzen. Wir haben auch ein Spendenkonto für die Kinder eingerichtet, um unser Mitgefühl zu zeigen.

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