Prozess zu europäischen Bisons: Wisente dürfen wohl bleiben

Waldbauern fordern Schutz gegen die ausgewilderten Tiere. Aber der Bundesgerichtshof wird wahrscheinlich zugunsten der Naturschützer urteilen.

Ein Wisent steht in der «Wisent-Wildnis», einem 20 Hektar großen, eingezäunten Areal.

Unbeliebt bei Waldbauern: Wisent im Rothaargebirge in Nordrhein-Westfalen Foto: dpa

KARLSRUHE taz | Die ausgewilderten Wisente können vorerst wohl im Rothaargebirge bleiben. Der Bundesgerichtshof (BGH) tendiert zu einer „Duldungspflicht“ für beeinträchtigte Waldbauern. Das zeichnete sich bei der mündlichen Verhandlung am Freitag ab.

Wisente (europäische Bisons) waren in Deutschland seit 200 Jahren ausgestorben. Jetzt sollen sie als Wildtiere wieder heimisch werden. Der Verein Wisent-Welt Wittgenstein trägt im Rothaargebirge bei Siegen ein entsprechendes Projekt. Die Behörden stehen dahinter, es gibt einen öffentlich-rechtlichen Vertrag.

Die Herde von inzwischen rund 20 Tieren verlässt allerdings immer wieder das rund 4300 Hektar große Projektgebiet und dringt in angrenzende Wälder von privaten Waldbauern ein. Dort fressen die Tiere die Rinde von den Bäumen, die oft irreparabel beeinträchtigt werden. Zwei Waldbauern haben deshalb gegen den Wisent-Verein geklagt, er solle die Tiere daran hindern, ihre Wälder zu betreten.

Die Waldbauern erhalten zwar Entschädigungen aus einem staatlichen Fonds. Die Summen seien aber zu niedrig, kritisieren die Bauern, weil nur der Zeitwert entschädigt werde und nicht, was der Baum in Zukunft wert wäre. Manchen Waldbauern geht es auch gar nicht ums Geld, sondern um die uralten Buchen. „Mein Mandant will nicht entschädigt werden, sondern den Wald schützen, der ihm gehört“, sagte Anwalt Thomas Winter vor dem BGH. Auch die alten Buchen stünden unter Naturschutz, es gehöre zu den „Natura 2000“-Gebieten, die nach EU-Recht geschützt sind.

Seit 2013 sind die Wisente frei

Die Wisente wurden 2008 angesiedelt, zunächst in einem Gehege. Seit 2013 läuft die Freisetzungsphase. Damals wurde das Gehege geöffnet. Es soll beobachtet werden, wie sich die Tiere verhalten. In der dritten Phase würden die Tiere „herrenlos“. Derzeit ist das Projekt noch in der zweiten Phase. Die Tiere sind schon frei, der Verein gilt aber noch als Eigentümer.

Das Oberlandesgericht Hamm wollte die Tiere in einem Urteil von 2017 bereits wie Wildtiere behandeln. Die Waldbauern hätten den Verbiss ihrer Bäume dann dulden müssen, weil besonders geschützte Wildtiere nicht gefangen werden dürfen – außer die Naturschutzbehörde gibt eine Ausnahmegenehmigung, die der Verein laut Oberlandesgericht beantragen solle.

Dieses Urteil wird vor dem BGH wohl keinen Bestand haben, erläuterte die Vorsitzende Richterin Christina Stresemann. Ob die Wisente „wilde Tiere“ und damit „herrenlos“ sind, sei eine juristische Frage, auf das tatsächliche Verhalten komme es dabei nicht an. Entscheidend sei, dass bei den Wisenten die vertraglich vereinbarte Beobachtungsphase noch nicht vorbei sei. Ein Abbruch des Projekts sei laut Vertrag durchaus noch möglich.

Richterin Stresemann stellte deshalb eine andere Lösung zur Diskussion. Während der Freisetzungsphase könne es sich um eine Naturschutzmaßnahme handeln, die (auch) auf dem Gebiet der Waldbauern stattfinde. „Es war ja von vornherein nicht unwahrscheinlich, dass die Wisente das Projektgebiet auch mal verlassen“, so Stresemann. Auch daraus ergebe sich laut Bundesnaturschutzgesetz eine Duldungspflicht der Waldbauern, wenn sie „nicht unzumutbar“ beeinträchtigt werden. Mit Blick auf die Entschädigungszahlungen tendiert der BGH dazu, die Zumutbarkeit zu bejahen.

Protest von Waldbauern – und Wisentfreunden

Der Vorschlag des BGH kam für alle Seiten überraschend. Anwalt Siegfried Mennemeyer, der den Wisentverein vertritt, protestierte. Es könne nur auf das tatsächliche Verhalten der Tiere ankommen. „Der Altbulle hat schon zwei Jungbullen gemeuchelt, da geht es wirklich wild zu.“ Viele der Herdentiere seien schon in Freiheit geboren, die Tiere seien längst wild und herrenlos. Richterin Stresemann entgegnete: „Wenn Tiere sich durch ihr Verhalten selbst herrenlos machen könnten, wird es nie wieder Auswilderungsprojekte geben“. Die Testphase müsse kontrollierbar sein, ein Abbruch des Projektes möglich bleiben.

Doch auch die Waldbauern waren mit der vom BGH vorgeschlagenen Lösung nicht zufrieden, da sie zunächst eine Duldungspflicht für die Forst-Eigentümer vorsieht. „Wenn die Tiere das Projektgebiet verlassen, sind sie außerhalb der Rechtsordnung“, erklärte der zweite Bauern-Anwalt Volkert Vorwerk. Die Wisente könnten dann von Jägern erschossen werden. Seiner Meinung nach verhielten sich die Tiere ohnehin nicht wie wilde Tiere. „Sie lassen sich füttern und laufen auf Menschen zu“, dies könne durch Fotos bewiesen werden.

Das BGH-Urteil wird wohl erst in einigen Monaten verkündet. Möglicherweise wird der Fall zum Oberlandesgericht Hamm zurückverwiesen. Mit Blick auf reißerische Presseberichte stellte Richterin Stresemann klar: „Das Schicksal der Wisente hängt nicht vom BGH ab“. Der konkrete Rechtsstreit betreffe nur die Freisetzungsphase, die nicht unbegrenzt ausgeweitet werden kann. Deshalb solle rechtzeitig mit der Auswertung und der Entscheidung begonnen werden, sonst ende auch eine etwaige Duldungspflicht. Wenn sich die Politik für den Übergang in die Phase der Herrenlosigkeit entscheide, so Stresemann, müssten dann auch die Belange der benachbarten Waldbauern besser berücksichtigt werden.

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