Prozess gegen U-Bahn-Treter: Schöffin schrieb fiese Leserbriefe

In einem U-Bahnhof soll ein Mann eine Passantin die Treppe heruntergetreten haben. Nun beginnt der Prozess – und wird prompt unterbrochen.

Angeklagter und Übersetzerin

Angeklagter und Übersetzerin am Donnerstag im Gerichtssaal Foto: dpa

BERLIN taz | Svetoslav S. sitzt in der Glaskabine im Verhandlungssaal 500 des Moabiter Kriminalgerichts in Berlin. Eine Dolmetscherin übersetzt ihm die Worte der Richterin, die die Verhandlung gegen ihn eröffnet.

Es ist der erste Prozesstag gegen den sogenannten U-Bahn-Treter vor dem Berliner Gericht. „Dem Angeklagten wird vorgeworfen, einer ihm völlig unbekannten Frau wuchtig in den Rücken getreten zu haben“, erklärt Justizsprecherin Lisa Jani noch vor Verhandlungsbeginn und schildert die Szene aus einem Neuköllner U-Bahnhof, die angesichts der YouTube-Klickzahlen des Überwachungsvideos etlichen Menschen bekannt sein dürfte. Die Angegriffene brach sich bei dem Sturz einen Arm und erlitt eine Platzwunde.

Gegen die drei Personen, die neben dem Täter in dem Video auftauchten und die keine Hilfe leisteten, sei bisher keine Klage erhoben worden, sagt Jani. Dem Angeklagten würden neben gefährlicher Körperverletzung auch exhibitionistische Handlungen in zwei Fällen vorgeworfen.

Inmitten einer Menschentraube aus Journalist*innen vor dem Gerichtssaal erläutert die Justizsprecherin: „Das ist kein Fall, der sich von der Masse abhebt. Das Medieninteresse ist deutlich größer als die juristische Bedeutsamkeit des Falles“ und läge wohl vor allem daran, dass es Videoaufnahmen von der Tat gebe.

Ablehnung wegen Leserbriefen

Das große Medieninteresse bezeugen auch die gut gefüllten Holzbänke im Pressebereich des Gerichtssaals. Doch noch vor Verlesung der Anklage wird der Prozess vertagt. Grund ist ein Ablehnungsgesuch der Verteidiger gegen eine Schöffin. Die ehrenamtliche Richterin sei durch mehrere „abfällige Leserkommentare gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund“ auffällig geworden. Die Verteidigerin trägt Passagen aus Leserbriefen an eine Berliner Lokalzeitung aus den Jahren 2010 und 2011 vor. Darin soll die Schöffin vor den Gefahren „minderjähriger migrationshintergründiger Krimineller“ warnen.

An anderer Stelle äußere sie sich abfällig über Türken und speziell den Grünen-Politiker Özcan Mutlu. Die Schöffin trete dem türkischsprachigen Angeklagten mit bulgarischer Staatsbürgerschaft somit nicht unvoreingenommen gegenüber, argumentiert die Verteidigung. Es sei zu erwarten, dass sie den Fall härter bewerte.

Gerichtssprecherin Lisa Jani

„Kein Fall, der sich von der Masse abhebt“

Das Angebot der Richterin, mit der Verlesung der Anklage und der Personalien fortzufahren und über die Schöffin zu einem späteren Zeitpunkt zu entscheiden, lehnen beide Verteidiger ab. Die Verhandlung wird unterbrochen. Svetoslav S. erhebt sich von seinem Platz.

Medien veröffentlichten Video

Am 27. Oktober 2016 soll er die Tat begangen haben. Anfang Dezember veröffentlichten Medien ein Video des Übergriffes. Wenig später fahndete auch die Polizei öffentlich nach dem Täter. Der Beitrag verbreitete sich rasant über unterschiedliche Medienkanäle. Schlagzeilen machte auch ein Berliner Bodyguard, der 2.000 Euro „Kopfgeld“ auf den Täter aussetzte und damit den Ermittler*innen unter die Arme greifen wollte.

Sechs Wochen nach dem Angriff wurde der mutmaßliche Täter mit Hilfe von Hinweisen aus der Bevölkerung an einem Berliner Busbahnhof gefasst. Svetoslav S. sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Im Falle eines Schuldspruchs drohen dem Angeklagten 6 Monate bis 10 Jahre Haft. „Vorher muss geklärt werden, ob der Angeklagte überhaupt schuldfähig ist“, erläutert Justizsprecherin Jani. Es sei ein psychologisches Gutachten über den Angeklagten erstellt worden, „der Inhalt ist mir aber nicht bekannt“. Nächster Verhandlungstag ist der 20. Juni. Dann soll auch die Angegriffene als Zeugin aussagen. Die 26-Jährige tritt als Nebenklägerin im Verfahren auf. Zum ersten Prozesstag erschien sie nicht persönlich.

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