Prozess : Mord unter Polizeiaufsicht

Umstellt von 60 Polizeibeamten war das Haus in Huchting, in dem ein Mann seinen Bruder erschlug. Er hielt sich für Jesus und die Polizei ihn für "psychisch auffällig".

Schon bei Kain und Abel hat die zweifellos anwesende Autorität erst eingegriffen, als es zu spät und das Opfer tot war. Bild: Pietro Novelli

Wie viele Einsatzkräfte waren da, fragt der Verteidiger. „Das darf ich aus einsatztaktischen Gründen nicht sagen“, antwortet der SEK-Leiter als Zeuge vor Gericht. „Sechzig“, zischelt jemand bei den Zuhörern. 60 Polizeibeamte, darunter das gesamte Bremer SEK, waren an jenem 15. Juli 2012 in Huchting vor dem Haus versammelt, als gegen kurz vor zehn ein „lang anhaltender Hilfeschrei“, wie ein Polizeibeamter sich erinnerte, aus dem Kellerfenster drang.

Er konnte das gut hören, das Kellerfenster-Loch war einen Meter entfernt von ihm. Das war kurz vor 10 Uhr. Gegen 11.40 Uhr stürmte das SEK den Keller – das Opfer war längst tot.

Warum stürmte das SEK um 11.40 Uhr? Eine peinliche Angelegenheit, die der Polizei in keinem „Tatort“ Ehre machen würde: Weil die Beamten ein Gasmess-Gerät falsch abgelesen und daher falschen Alarm gegeben hatten.

„Aber Sie waren doch seit 8 Uhr vor Ort gewesen, fast vier Stunden, was ist denn in der ganzen Zeit passiert“, fragt Barbara Kopp, die den Sohn des Opfers als Nebenklägerin vertritt. Da konnten die Polizisten, die gestern als Zeugen aussagten, viel erzählen.

Kurz nach 5 Uhr an jenem Morgen sei er das erste Mal da gewesen, sagt der erste Polizei-Zeuge, die Frau des späteren Mörders hatte angerufen, sie fühle sich bedroht. Konkret war die Bedrohung nicht, stellte der Beamte fest, und zog ab mit der Zusicherung, dem Sozialpsychiatrischen Dienst einen Bericht zu schreiben.

Der war Tage vorher schon ausführlich von der Frau informiert worden – und hatte nach einer Telefondiagnose erklärt, es gebe keinen Anlass für „Selbst- oder Fremdgefährdung“.

Um 8 Uhr kam dann der zweite Notwurf, der Mann hatte seinen Bruder, der auf dem Gartengrundstück wohnte, in den Keller gezerrt. Die anrückende Polizei hört „Gewimmer“ und Schlaggeräusche aus dem Keller.

Da bekannt ist, dass der Täter als Jäger über ein Gewehr verfügt, wird das SEK alarmiert. Offenbar hält die Polizei den Mann für einen Spinner, der aber gefährlich werden kann. Er habe sich Gelegentlich für den Sohn Gottes erklärt, hatte seine Frau berichtet. „Wir haben öfter mit solchen Leuten zu tun, das ist ja nicht strafbar“, sagt der Beamte.

Ein anderer Polizeibeamter, ein junger Mann, gerade sieben Monate im Dienst, wird an dem Kellerloch postiert, aus dem die Stimmen von den offenbar streitenden Brüdern dringen. Nein, einen besonderen Auftrag, auf diese Stimmen zu hören, hatte er nicht, sagt er – er sollte das Haus „sichern“, und da habe er das eben gehört.

Das SEK kommt, übernimmt um 8.45 Uhr die Lage. Die Einsatzleitung habe entschieden, zunächst zu verhandeln, sagt der SEK-Chef. Von dem jungen Beamten, der die Stimmen aus dem Keller am besten hören kann, weiß er nichts.

Dieser Mann berichtet dem Gericht, kurz vor 10 Uhr habe es einen „länger durchgezogenen Hilfeschrei“ direkt aus dem Kellerloch neben ihm gegeben. „Ich bin der Satan und ich werde euch alle erlösen“, habe jemand laut gerufen, dann Stöhnen, immer wieder. Geräusche als wenn Möbel gerückt würden. Metallschläge. Dann nichts mehr. Stille.

Ja, das habe er einem Mann in Zivil gesagt, der ihn gefragt habe, erklärt der junge Polizist, wer das war, wisse er nicht. Später sei er dann nicht mehr gefragt worden – er stand bis halb 12 Uhr vor dem Fenster.

Der SEK-Einsatzleiter selbst hat keinen Hilfeschrei gehört, aber er hat gehört, wie jemand Jägerlieder sang und laut das „Vater Unser“ betete. Gegen 10.30 Uhr sei das SEK dann in die Haustür eingedrungen, aber noch nicht in den Keller. Die „Verhandlungsgruppe“ habe in dem Haus angerufen, das Telefon klingelte, aber der Mann kam nicht aus dem Keller hinauf.

Und dann? Dann wurde das Gasprüf-Gerät von der SWB bestellt, aber es piepte zu laut. Ein anderes wurde eingesetzt. Dann ging alles sehr schnell. Die Anzeige wurde falsch abgelesen und aus der Sorge, dass der Mann mit einer Gasexplosion das Haus in die Luft sprengen könnte, erfolgte 11.04 Uhr der Zugriff.

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