Proteste in Ungarn gegen Orbán: Zeit ist's, euch zum Kampf zu scharen

Tausende protestieren in Budapest gegen die Wahlergebisse. Gleichzeitig erscheint eine „Henkersliste“, die Namen mit Orbán-Gegnern nennt.

Demonstrierende mit Flaggen in Ungarn

Proteste für die Demokratie in Budapest Foto: dpa

„Wir sind die Mehrheit“. Mit diesem Slogan marschierten am Samstag Zehntausende Menschen – nach Angaben der Veranstalter sogar 100.000 – in Budapest gegen die autoritäre Politik von Premier Viktor Orbán. Die Mehrheit, das sind jene Ungarn, die am 8. April nicht für Orbán und seine Koalition Fidesz-KDNP gestimmt hatten. Mit 49,9 Prozent der Stimmen sicherte sich der Premier eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Die Demonstranten verlangten eine Neuauszählung der Stimmen, da aus zahlreichen Wahllokalen grobe Unregelmäßigkeiten zugunsten der Regierungsparteien dokumentiert sind.

„Auf, die Freiheit ruft, Magyaren!“, sangen die Demonstranten, die zum Kossuth-Platz vor dem Parlament zogen. Das Lied stammt vom patriotischen Dichter Sándor Petöfi, der 1848 einen Marsch gegen die Habsburger-Herrschaft angeführt hatte. „Zeit ist’s, euch zum Kampf zu scharen! Wollt ihr frei sein oder Knechte? Wählt! Es geht um Ehr’ und Rechte!“

Ein großes Stoppschild auf einem Transparent, das eine Armee von Orbán-Klons zeigt, sollte auf die Gefahr der totalen Gleichschaltung des Landes hinweisen. Es ist eine satirische Abwandlung eines Wahlkampfplakats, auf dem ein „Stopp“ gegen eine Invasion von Flüchtlingen gefordert wird.

Mangels eines Wahlprogramms hatte die Regierung einzig auf die Warnung vor einer „Überflutung“ des Landes mit Einwanderern und Flüchtlingen gesetzt. Immer dabei als finsterer Strippenzieher einer angeblichen Verschwörung gegen das „Ungarntum“: der ehemalige Börsenspekulant und Philanthrop George Soros.

Dass der vor dem Holocaust aus Ungarn geflohene Soros als Sündenbock für alles herhalten muss, ist Alltag. Was die Wochenzeitung Figyelő da am Donnerstag publizierte, erschreckte dann aber die liberale Öffentlichkeit doch. Das Orbán nahe-Blatt veröffentlichte eine Liste von 200 „Leuten des Spekulanten“. Aufgelistet wurden Leiter und Mitarbeiter von NGOs wie dem Helsinki Committee und Amnesty International sowie Professoren der von Soros gegründeten Budapester Central European University (CEU).

Hass scheint legal zu werden

Von „Henkerslisten“ spricht Róbert Friss in der sozialdemokratischen Zeitung Népszava und wirft Figyelő vor, „den Hass zu legalisieren“. Das Wochenmagazin HVG sieht den Hetzartikel in seiner Online-Ausgabe als „eine neue Stufe des Schikanierens von NGOs“. Im Parlament liegt bereits die Vorlage für ein Gesetz, das Nichtregierungsorganisationen, die Flüchtlingen helfen, verbieten oder mittels Strafsteuern in den Konkurs zwingen soll.

Unter den „Soros-Söldnern“ findet sich auch der österreichische Politikprofessor Anton Pelinka, der seit 2004 an der CEU lehrt. Er fühle sich zwar persönlich nicht verunsichert, erklärte er dem ORF, „aber nachdenklich. Die Erstellung einer solchen Liste ist wie die Aufforderung zu einem Pogrom. Dass solches in einer offenbar regierungsnahen Zeitung in einem EU-Staat möglich ist, müsste Alarmglocken läuten lassen“.

Die Erstellung einer solchen Liste ist wie die Aufforderung zu einem Pogrom.

Nach Protesten von Angehörigen mehrerer „Soros-Söldner“, die bereits längst tot sind, wurden deren Namen gestrichen. Sonst zeigte man im Sudelblatt keinerlei Einsicht in die Tragweite des publizistischen Skandals. Im Gegenteil: Die Liste werde am Ende 2.000 Personen umfassen, hieß es aus der Redaktion.

Verständnis aus Österreich

Zumindest in Österreichs Regierung zeigt man für Orbáns autoritären Durchmarsch Verständnis. Vor allem die rechtspopulistische FPÖ scheint dessen Regierungsstil zum Vorbild zu nehmen. Norbert Steger, Vertreter der FPÖ im Stiftungsrat des öffentlich-rechtlichen ORF, kündigte am Wochenende in den Salzburger Nachrichten Einschnitte bei den Auslandsbüros an: „Von den Auslandskorrespondenten werden wir ein Drittel streichen, wenn diese sich nicht korrekt verhalten.“

Ganz oben auf seiner Liste steht der Budapest-Korrespondent Ernst Gelegs, dessen Wahlberichterstattung Steger als „einseitig“ eingestuft hatte. ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz zeigte Rückgrat und verkündete: „Freue mich mitzuteilen, dass ich den Entsendungsvertrag von Ernst Gelegs als Korrespondent in Budapest nach der ausgezeichneten Berichterstattung zur ungarischen Wahl bis 2021 verlängert habe.“

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