Proteste in Frankreich: Roter Schal statt gelber Weste

Sie nennen sich Foulards rouges und stellen sich gegen die französischen Gelbwesten. Doch links sind sie ganz und gar nicht.

Eine Person hat sich eine französische Flagge umgehängt und reckt die Arme in die Höhe

Gegen die Gelbwesten regt sich Widerstand Foto: imago/Marius Schwarz

PARIS taz | Rot gegen Gelb. Es geht nicht um die Leibchen gegnerischer Fußballmannschaften, die Abgrenzung ist vielmehr politisch gemeint. Die Leute, die am Sonntag mit rotem Halstuch im regnerischen Paris vom Platz der Nation zur Bastille marschierten, demonstrierten gegen die Gelbwesten. Ihr knallroter Schal soll ebenso ein Symbol werden wie die Warnweste, von der Karl Lagerfeld, elegant mit Fliege auf dem Foto wie immer, in einer Werbung für die Unfallverhütung im Straßenverkehr einmal gesagt hatte: „Sie ist gelb, sie ist hässlich und passt zu gar nichts, aber sie kann dein Leben retten.“

Wer zuerst die Idee hatte, die Warnweste zum Symbol eines sozialen Aufstands gegen die Arroganz der Staatsmacht zu erklären, ist unklar. Vielleicht kam das ganz spontan, weil es ratsam war, bei den organisierten Blockaden auf den Kreiseln mit der fluoreszierenden Weste gut sichtbar zu bleiben. Jeder Automobilist hat seine gelbe Weste, die auch für Straßenfeger und andere Arbeiter zur täglichen Arbeitskleidung gehört und jetzt zudem eine soziale Zugehörigkeit signalisiert.

Wie aber kamen die Gegner der Gelbwesten auf die Idee, ausgerechnet das rote Halstuch als Erkennungszeichen zu wählen? Im Straßenverkehr, um den es ja ursprünglich wegen der hohen Treibstoffpreise ging, signalisiert diese Farbe, stoppen zu müssen. Und mit ihrer Demonstration wollen die Foulards rouges nun einer Bewegung Einhalt gebieten, die nach ihrem Geschmack längst zu weit gegangen ist und eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Schwarz oder Braun als Gegenfarbe wäre kein gutes politisches Signal gewesen, Grün ist bekanntermaßen auch schon besetzt.

Aber ausgerechnet das traditionell links beheimatete Rot als Farbe der Reaktion, als Fahne für den Ruf nach Ruhe und Ordnung? Das rote Halstuch der Sonntagsdemonstranten gegen die Samstagsgewalt der Gelben – es leuchtet wie ein rotes Tuch in einer Arena! Die „roten“ Linksparteien und Gewerkschaften, die aus Angst vor unklaren Zielsetzungen und rechten Misstönen bei den Protesten der Gelbwesten auf Dis­tanz blieben, müssen sich jetzt herausgefordert fühlen. Millionen, die unter roten Fahnen, die Internationale singend, gegen die kapitalistische Herrschaft gekämpft haben, muss sich der Magen umdrehen.

Aber ausgerechnet das traditionell links beheimatete Rot als Farbe der Reaktion, als Fahne für den Ruf nach Ruhe und Ordnung?

Ob dieser Versuch eines ideologischen Diebstahls funktionieren kann? Mehr als nur ein braver Bürger, der gewiss Lust hätte, im Namen einer konservativen schweigenden Mehrheit gegen die Krawalle und Unruhestifter auf die Straße zu gehen, dürfte zögern, sich dazu jetzt ausgerechnet als „Roter“ zu verkleiden.

Die Macron-Fans, die ihren gewählten Präsidenten und mit ihm die Demokratie schlechthin gegen die Bewegung von Wutbürgern verteidigen wollen, haben ohnehin ein Problem mit dem Farbspektrum: Als Kandidat, der sich vorgenommen hatte, rechts, links und die politische Mitte gleichermaßen anzusprechen, schillert er bis jetzt unklar – und farblos. Seine demonstrierenden Anhänger wollen dem nun abhelfen. Bleibt die Frage: Ist Macron rot vor Scham oder vor Wut?

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