Protestaktion „Ende Gelände“: Ganz Europa in der Lausitz

Die internationale Umweltbewegung hat wieder ein Zentrum. Was 2007 Heiligendamm war, das ist heute der Kampf gegen die Kohle.

Kühltürme des Vattenfall-Kraftwerks in Jänschwalde dampfen

Vier große Kraftwerke, die aus den Braunkohlegruben mit Brennstoff versorgt werden, gehören derzeit noch Vattenfall Foto: dpa

PROSCHIM taz | Damals, das war im Juni 2007, begann auf einer Wiese wenige Kilometer vor dem Ostseebad Heiligendamm eine neue Zeitrechnung für die außerparlamentarische Linke: Der Fußmarsch, den Tausende gemeinsam in den frühen Morgenstunden aufnahmen, führte über einen Trampelpfad durch ein kleines Waldstück, dann über eine große Wiese und schließlich direkt in die Geschichtsbücher der deutschen Umweltbewegung.

Wie dort tausende Menschen über das grüne Feld stechen – dieser Moment ist zu einer Bildikone geworden. Nicht im Bild dabei: Am Himmel die Polizeihubschrauber, ihr Propellerlärm, auch die Beamten, die nur zuschauen können, wie dort unten, kaum aufhaltbar, die neuen Fußtruppen der globalisierungskritischen Bewegung aufziehen.

Es gibt eine Wiese in Deutschland, auf der die europäische Umweltbewegung an diesem Wochenende wieder ihre Fußtruppen zusammenzieht. Hier, nahe der Ortschaft Proschim in Brandenburg, an dem kleinen See, gibt es, ganz ähnlich wie damals, zum Frühstück Graubrot mit Sesammus und wer will, kann ein paar Radieschen mitnehmen.

Von dieser Wiese soll am Wochenende die größte Tagebaubesetzung der Welt ausgehen und schon jetzt lässt sich sagen: Die deutsche – nein, besser: die europäische – Umweltbewegung hat wieder ein Zentrum und ein Projekt. Was 2007 Heiligendamm und bis 2011 der Castor-Protest im Wendland war, das ist heute dieser Kampf gegen die Kohle, Trendmesse und Bewegungslabor der außerparlamentarischen Linken. Kampfname: „Ende Gelände“.

Drei Männer und eine Frau schneiden Möhren für die Küfa

Gemüse schneiden für die Küche für alle Foto: dpa

Knapp 3000 Leute haben sich für das Wochenende inzwischen auf diesem Zeltplatz in der Lausitz versammelt, aus ganz Europa. Hunderte von Menschen sind dazu aus dem Ausland angereist. Aus dem Baskenland sind welche gekommen, aus Frankreich und den Niederlanden, aus Polen und Tschechien. Aus Schweden, wo der Energiekonzern Vattenfall, der den Tagebau in der Lausitz betreibt, seinen Hauptsitz hat, sind zwei Busse gekommen, mit über 100 Umweltaktivistinnen und -aktivisten.

Command & conquer, so hieß ein Computerspiel in den 90er Jahren. In diesem Strategiespiel gab es ein Universum, das Tiberium hieß und vergiftet war. Wer durch Tiberium lief, verlor Energie. In dem Spiel konnte der Spieler auf einer weiten Landkarte Truppen befehlen und zu Formationen zusammenziehen. Der Reiz daran war, nach und nach, immer mehr Gelände zu gewinnen. Das war auch der Reiz beim G8-Gipfel in Heiligendamm. Und es war das Geheimnis der teils über Tage anhaltenden Blockaden der Castor-Transporte im Wendland. In der Weite der Landschaft war das kreative Kollektiv stets mächtiger als sein Gegenüber, die Polizei.

Als im August 2015 knapp 1.000 Menschen in weißen Overalls in den nordrhein-westfälischen Tagebau Garzweiler vordrangen – das war die erste Kampagne von „Ende Gelände“ – folgten sie diesem Prinzip. Allerdings beherrschten sie plötzlich nicht nur eine Wiese, sondern eine Kulisse, die noch weit mehr Symbolkraft barg. Man kann sich das vorstellen wie das Erlebnis in einem Videospiel, wenn die Weite der Landschaft, die zu erobern ist, unendlich erscheint: Bis zum Horizont türmen sich Mondlandschaften in kontrastarmen Reliefen auf – heller Sand, mattbraune Krater.

Dazwischen ziehen die Armeen der Krieger, bewaffnet, in diesem Fall, mit Strohsäcken und Seifenblasen. Die endlos wirkende Grube diente als Kontrastvorlage: Vorne Menschen, oft uniformiert in weißen Ganzkörperanzügen, im Hintergrund die massiven Maschinen der Kohleindustrie. Radschaufelbagger, Räumpanzer der Polizei. Und dann die Farben: nur das Blau des Himmels und der Sand, eine irreal anmutende Szenerie. Es war besser als bei Command & Conquer: Selbst wer sich vor dieser Kulisse vermöbeln ließ, hatte Erfolg. Jedes Bild war ein Gewinnerbild für die Bewegung.

Braunkohle passt nicht zum neuen Image

In diesen Tagen im August 2015 begriffen einige, was sie sich bis dahin zwar einredeten, aber nicht unbedingt glaubten: Kohle ist der neue Castor. Und während dann einige Monate später, im November 2015, aus vielen europäischen Ländern UmweltaktivistInnen zum Klimagipfel in Paris reisten, arbeiteten in Deutschland viele AktivistInnen an etwas anderem: Ende Gelände 2016.

Julia Normann, 27, lebt in Stockholm. 2015 ging sie mit in die Grube in Garzweiler. „Das war“, sagt sie, „das erste Mal, dass ich politisch etwas gemacht habe.“ Damals war sie mit neun Freunden aus Schweden gekommen, eine kleine Gruppe. In diesem Jahr hat Julia Normans Gruppe noch 100 weitere AktivistInnen aus Stockholm und Göteborg mitgebracht. Es hat sich herumgesprochen: Von den zahlreichen Protestaktionen, die in diesen Tagen unter der Stichwort „Break Free“ weltweit für einen Ausstieg aus der fossilen Energie werben, wird der Tagebaubesetzung in der Lausitz der größte Stellenwert beigemessen.

Dass die Proteste sich wieder internationalisieren, hat einen Grund. Auch der Adressat der Proteste ist international. Fünf Braunkohle-Tagebaue in der Lausitz sowie vier große Kraftwerke, die aus den Gruben mit Brennstoff versorgt werden, gehören derzeit noch dem schwedischen Staatskonzern Vattenfall. Der sieht die die Braunkohle-Nutzung, glaubt man dem Unternehmen, mittlerweile fast ebenso kritisch wie die TeilnehmerInnen von „Ende Gelände“: Der extrem hohe CO2-Ausstoß der ostdeutschen Braunkohle-Kraftwerke passt nicht zum neuen Image, das Vatenfall sich verschreiben will.

Die Zukunft des Konzerns liege in den erneuerbaren Energien, hatte Vorstandschef Magnus Hall im April verkündet: „Wir wollen Teil der Energiewende sein.“ Auf Druck der schwedischen Regierung will sich Vattenfall darum von den Tagebauen und Kraftwerken in Ostdeutschland trennen. Als neue Eigentümer sind zwei andere ausländische Konzerne vorgesehen: Die tschechische Energieversorger EPH, dem bereits die Braunkohle-Tagebaue der Mibrag südlich von Leipzig gehören, und der asiatische Finanzinvestor PPF.

Ein Bagger gräbt auf den Abraumhalden des Braunkohletagebaus Welziw Süd

Die Abraumhalden des Braunkohletagebaus Welziw Süd Foto: dpa

Bezahlen werden sie allerdings nichts für ihren neuen Besitz; wegen der hohen Zukunftskosten für die Braunkohle-Schäden gibt Vattenfall ihnen stattdessen noch 1,7 Milliarden Euro dazu, um die Sparte loszuwerden. Ehe die neuen Besitzer die Anlagen stilllegen, werden sie jedoch noch lange Kohle fördern. Bei den TeilnehmerInnen des Klimacamps kommen die Pläne darum schlecht an. Sie wollen stattdessen, dass Vattenfall die Tagebaue und Kraftwerke behält, um sie schnellstmöglich sozial- und klimaverträglich stillzulegen. Tatsächlich hat die schwedische Regierung noch keine endgültige Entscheidung getroffen, ob sie dem Verkauf zustimmt. Die Prüfung soll mehrere Monate dauern. Auch deswegen ist das Anti-Kohle-Bündnis in der Lausitz.

Und so entsteht auf den Wiesen rund um den Tagebau in Brandenburg an diesem Wochenende etwas, das auch in den kommenden Jahren Bedeutung entfalten wird: Eine neue, verjüngte – und vor allem: internationale – Klimabewegung.

Drüben auf dem Feld üben zwölf Franzosen eine Sitzblockade, daneben laufen einige Hundert andere in ihren weißen Ganzkörperanzügen hin und her. Erst proben sie das Umfließen, dann das Durchbrechen von Polizeiblockaden. Und dann ist noch Artur da, ein Niederländer. Er hat seine aufblasbaren Pflastersteine mitgebracht. Das sind riesige silberfarbene Würfel, die aus Luft bestehen. Sie sollen die neuen Barrikaden der Bewegung bilden. Über der Gruppe fliegt eine kleine Drohne mit Kamera. Es ist ein Test für später, wenn die Bewegung ihre Formationsläufe dokumentiert und in dem Territorium, das sie erkämpfen will, ihre eigene Bildsprache inszeniert. Kommandiere und erobere.

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