Propaganda-DVD beim Verfassungschutz: Früher Hinweis auf den NSU

Hätte der Verfassungschutz schon früh vom NSU wissen können? Eine DVD mit der Aufschrift „NSU/NSDAP“ liegt der Behörde wohl seit 2005 vor.

Wird eine Erklärung finden müssen: der oberste Verfassungsschützer Hans-Georg Maaßen. Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Am Mittwoch verdichtete sich der Verdacht, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) schon seit 2005 vom NSU gewusst haben könnte. In jenem Jahr erhielt das BfV über den V-Mann und Rechtsextremen „Corelli“ eine DVD mit rechtsextremem Material, darunter einer Datei mit dem Titel „NSU/NSDAP“. Erst vor wenigen Monaten, im Februar diesen Jahres, will aber der Verfassungsschutz Hamburg eine solche DVD von einem V-Mann bekommen und weitergeleitet haben.

Die Datei mit dem brisanten Titel soll der V-Mann des Hamburger VS, so die Behörde, zwar von „Corelli“ erhalten, dann aber einfach vergessen haben. Erst beim Aufräumen will er sie wieder entdeckt haben, hieß es bisher. Der Fall ist für das BfV äußerst unangenehm: „Corelli“ alias Thomas R. war von 1994 bis 2007 eine ihrer Topquellen. Das Amt stufte R., der sich im Umfeld des NSU bewegte, intern mit der höchsten Bewertungsstufe „B“ ein – das heißt: Diese Quelle galt als verlässlich. Allein das BfV soll ihm insgesamt 180.000 Euro gezahlt haben – das bisher höchste bekannte Honorar für einen V-Mann.

In einer nichtöffentlichen Sitzung hatte sich der Innenausschusses des Bundstages in der vergangenen Woche mit „Corelli“, der am 7. April leblos in seiner Wohnung in Paderborn von Beamten gefunden wurde, auseinandergesetzt. Der Hamburger VS-Chef Thorsten Voß wurde befragt. Eine unerkannte Diabetes-Erkrankung soll die Todesursache sein. Zweifel bestehen – auch im Innenausschuss. In der nächsten Sitzung soll der Fall erneut aufgriffen werden.

Von 2005 bis 2009 will der Hamburger V-Mann mehrmals mit „Corelli“ in Kontakt gewesen sein und fünf CDs von ihm bekommen haben. Auch die Generalbundesanwaltschaft soll den V-Mann vernommen haben. Im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München haben Nebenkläger bereits im April und Juli Beweisanträge gestellt um ihn vorzuladen und die Vorgänge um die DVD und „Corelli“ mit einzubeziehen. „Die aktuellen Entwicklungen zeigen, wie dringend dem nachzugehen sei“, sagt NSU-Nebenkläger Björn Elberling.

Lügen oder Unfähigkeit

Das BfV habe bei Corelli gleich zwei Mal gelogen, sagt Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der Linken und Mitglied im Innenausschuss: „Zum einen hat das BfV immer behauptet – durch alle Untersuchungsausschüsse hinweg – es habe nie vor dem 4.11.2011 einen Hinweis auf die Existenz des NSU im BfV gegeben. Und zum anderen, hat der aktuelle BfV-Präsident Maaßen im Innenausschuss noch in der letzten Woche behauptet, er habe von der NSU/NSDAP-CD erst im Mai 2014 erfahren“, so Martina Renner. Entweder habe Maaßen den Innenausschuss belogen oder aber, er habe sein Amt nicht im Griff, sagt Renner.

Heftige Kritik kommt auch vom Grünen Abgeordneten Hans-Christian Ströbele: „Wenn die Meldungen zutreffen, dann sind alle Beteuerungen der Bundesregierung, dass die deutschen Sicherheitsbehörden von der Existenz des NSU bis zum Tod von Böhnhardt und Mundlos am 4.11.2011 nichts wussten und nichts wissen konnten, falsch“. Denn nicht nur „Corelli“ wusste offenbar seit neun Jahren vom NSU, sondern er informierte auch seinen V-Mann-Führer. Zusätzlich wurde die übergebene NSU-DVD schließlich vom BfV ausgewertet, so Ströbele.

Das BfV weist die Vorwürfe zurück. „Im Rahmen der Aktensichtung für ein laufendes Ermittlungsverfahren wurde im BfV eine CD aus dem Jahr 2005 gefunden, die das Kürzel 'NSU/ NSDAP' enthält“, räumt Stefan Mayer jedoch ein. Der Pressesprecher des BfV sagt zudem, dass die CD an das Bundeskriminalamt übergeben wurde. Nach bisherigem Kenntnisstand enthielte zumindest eine Datei dieser CD das Kürzel, ebenso wie die CD aus Hamburg. Aus diesem Kürzel allein ließ sich damals nicht auf die Existenz eines rechtsextremistischen Terrortrios schließen, sagt Mayer.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.