Produktionsstopp für VHS-Videotechnik: Die Nostalgie-Kassette

Der letzte VHS-Hersteller stoppt Ende Juli die Produktion. taz-AutorInnen erinnern sich (nicht) an die Videokassette.

Ein schwarz-weiß-Bild mit alten VHS-Rekordern im Ladenregal

War mal High End. Ist aber schon lange her … Foto: dpa

Das Ding geht nicht kaputt

Was Unterhaltungselektronik angeht, bin ich nicht die Schnellste. Das gebe ich zu.

Meine Stereoanlage kam vom Sperrmüll und begleitete mich bis zum Ende des Studiums. Als Fernseher kaufte ich noch 2012 eines der letzten Röhrengeräte neu, weil ich das Bild irgendwie besser fand, als das der Flachbildschirme. Allerdings wird der 37-Zentimeter-Bildschirm subjektiv immer kleiner, weil alle anderen Fernseher immer größer werden. Und im Urlaub hatte ich dann mal ein Smart-TV, so eine Verbindung von Computer und Fernseher … Hm.

Aber mein Fernseher geht ja noch und der Videorekorder auch. Ohnehin kann man immer noch ’ne Weile warten, bis die Technik ausgereift ist. So habe ich es ja auch schon mit dem Videorekorder gemacht – und? Er läuft immer noch. Ob ich will oder nicht. Gekauft in der Endphase des Videorekorderwesens. Dafür dann Topqualität.

Nun konkurriert er mit dem DVD-Player und einer DVBT-Box um die raren Ein- und Ausgänge des Röhrenfernsehers. Nach ungefähr zehn Anrufen bei diversen Hotlines hatte ich alles zusammen verschaltet. Die Kabel… Ach, lassen wir das.

Ich benutze ihn immer noch zum Aufzeichnen von Sendungen, die spät in der Nacht laufen. Man kann ihn zwar zeitlich nicht mehr programmieren, das ist bei der Umstellung auf DVBT verloren gegangen, aber ich habe VHS-Kassetten, die, wenn man Longplay drückt, sechs bis acht Stunden aufnehmen.

Ich gebe zu, das ist doch ein bisschen umständlich. Und ehrlich gesagt, ist es auch schon lange her, dass ich das letzte Mal die Riesenkassette reingeworfen… Sehr, sehr lange. Hm.

Also. Vielleicht tausch ich ihn doch jetzt mal aus? Vielleicht gegen einen Festplattenrecorder? Oder hat man das heute auch schon wieder nicht mehr? (Heide Oestreich)

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VH-was?

„Möchtest du einen Text über das Ende der VHS schreiben?“, fragt ein Kollege – und ich frage mich, ob das Ende der Volkshochschulen bevorsteht.

Sofort bin ich in Sorge um meinen Hebräischkurs und informiere mich online, um Zweifel auszuräumen. Ich öffne hastig die E-Mail und bekomme schnell Entwarnung: Es geht gar nicht um Volkshochschulen – Aufatmen –, sondern um Schallplatten.

Die sind jetzt wieder im Trend, und deshalb ist es umso trauriger, dass die Firma Funai deren Produktion zum Ende des Monats einstellt. Dass Schallplatten wieder trendy sind, habe ich mitbekommen, aber mich nie damit auseinandergesetzt. Schallplatten sind für mich so wie das Internet für Rentner.

Wofür so ein großes Gerät anschaffen, wenn man auch alles kompakt auf dem MP3-Player oder iPod haben kann? Ich informiere mich erst mal und werde von Wikipedia in ein anderes Zeitalter versetzt. Nostalgie vorprogammiert.

VHS – das steht für Video Home System –, das sind diese großen, schwarzen Videokassetten, links und rechts ein durchsichtiger Bereich, in dem sich dann der Film dreht. Ich lese mir den Abschnitt „Technische Daten“ durch. „Das Vollbildverfahren wird nicht unterstützt“, heißt es darin, und sofort erinnere ich mich an den alten grauen Fernseher, ein links und rechts abgeschnittenes Bild und „Die wilden Hühner“.

VHS, das sind die Kassetten, mit denen unsere Eltern uns früher aufgenommen haben, damit wir uns die Filme anschauen können, wenn wir groß sind. Und nun wird die Produktion der Abspielgeräte also eingestellt. Das bedeutet, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, sämtliche Kindervideos retten. Am besten auf den iPod. (Djamilia Prange De Oliveira)

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Filme ohne Schluss

Der Cut kam immer unvorbereitet und hinterhältig. Der Film neigte sich dem Schluss zu, die Spannung war auf dem Höhepunkt, und dann auf einmal flimmerte der Bildschirm schwarz-weiß. Entsetztes Schweigen, gefolgt von einem genervten Ruf: „Mama, das Ende ist wieder nicht drauf!“

Meine Erinnerung an Videokassetten sind vor allem Filme ohne Enden. Schuld ist mein Opa. Er hatte damals für mich und meine Schwestern zig Filme aus dem Fernsehen auf Video aufgenommen. Das war super, aber Opa gab öfters mal die Aufnahmedauer falsch ein. Die Filme brachen häufig kurz vor Schluss ab. So wurde die Schlussviertelstunde mit Opas Filmen eine Art russisches Roulette: Geht es weiter oder ist gleich Schluss? Dann trifft es dich eiskalt.

Beim dritten Teil der Winnetou-Reihe zum Beispiel wussten meine Schwester und ich, dass Winnetou stirbt. Wir waren bereit, sehr viel zu weinen. Doch zwanzig Minuten vor Ende das vertraute Flimmern. Diesmal dauerte das Schweigen länger, bevor wir heulten: „Mama, das Ende ist nicht drauf!“

Aus Gründen, die ich nicht mehr nachvollziehen kann, kamen wir nie auf die Idee, einen der Filme einfach als VHS-Kassette zu kaufen. Stattdessen schauten wir treuherzig die unvollständigen Filme an. Vielleicht hofften wir darauf, dass es eines Tages nach dem Cut von Zauberhand weitergehen würde. Ich erwähne sicherheitshalber, dass das nie passierte.

Winnetous Tod habe ich dann doch noch gesehen, nach einem neuen Anlauf von Opa. Blöderweise waren allerdings beide Winnetou-Kassetten gleich beschriftet. Die abgeschnittene hat nie jemand weggeworfen – sodass sie doch noch manchmal im Recorder landete. (Alina Schwermer)

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Diese gewisse Körnigkeit

Nun muss er wohl für – meine – Ewigkeit reichen: Wenn keine VHS-Rekorder mehr hergestellt werden, muss mein Exemplar, das immerhin auch schon siebzehn Jahre zuverlässig tut, was ein solches Gerät zu tun hat, noch pfleglicher behandelt werden, als es ohnehin schon der Fall ist.

Wo soll ich sonst alte Tapes (Eurovision Song Contests aus den noch YouTube-freien Jahren der Achtziger) abspielen? Oder TV-Dokus bis in die frühen nuller Jahre aufgezeichnet – garantiert mit dieser gewissen Körnigkeit der Bilder, die einem damals nicht auffiel. Ohne diesen perfektionswahnhaften HD-Quatsch von heute.

Man mag sagen: Alles, was man auf VHS brachte, ist doch wiederzuhaben. In besserer Qualität – so, wie man auf YouTube sehr alte „Tatort“-Filme gucken kann (Kressin, Haferkamp), diese in hübsch verwaschenen Farben.

Aber: Es fehlt dann diese gewisse Rumpeligkeit, die VHS-Recorder so haben.

Ein Festplattenrecorder bleibt stumm, eine Konserve aus dem Netz auch. Ein ESC von 1985 darf nicht perfekt aussehen, man muss das Fernsehantike spüren können. So wie „You’re So Vain“ von Carly Simon (1971) erst diese gewisse Wehmut anklingen lässt auf der tausendfach gehörten Vinylplatte, mit allen Kratzern und Stäubchenspuren, die von der Tonabnehmernadel in die Boxen übertragen werden.

VHS-Rekorder erinnern daran, dass sie einst das wichtigste, weil erste Instrument waren, Gesehenes und Gehörtes zu konservieren. Bis dahin dachte man: Grandiose Momente, vergangen – man könne sie nie mehr wiedersehen. Man hüte sie gut, die alten Kästen: wie Oldtimer, die als schiere Autos nicht mehr in die Zeit passen. (Jan Feddersen)

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