Pro & Contra Stricken auf dem taz.lab: Kapitalismus wegstricken?

Der Trend zum Stricken, den wir auf dem taz.lab mit einem eigenen Workshop würdigen, spaltet die Gemüter. Zwei taz-RedakteurInnen streiten mit.

Die Stricknadel, das Kampfinstrument für Friede und Sozialismus und gegen Ausbeutung und Konsumterror? Bild: rtr

PRO - Von Waltraud Schwab

Wenn eine sinnstiftende Tätigkeit – Stricken ist eine – von vielen in unserem Land verlacht wird, dann ist das politisch. Strickliesel, Strickmadam, Häkeltante - altmodisch, hinterwäldlerisch, von gestern.

Aber wie kommen die Leute dazu, die, die stricken können, zu verlachen, ohne zu merken, dass sie damit die frauenfeindliche Ideologie der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit tradieren? Als Kleidung nicht massengefertigt wurde, war Handarbeit ein Teil der Subsistenzökonomie. Ein gestrickter Pullover war wertvoll; die Strickerin nicht nur Produzentin, sondern auch Designerin.

» Aufgeheult wird, wenn Kinder glauben, Kartoffeln wachsen in Plastiktüten. Nicht aufgeheult wird, wenn Menschen in Bangladesh beim Herstellen von 5€-Pullovern sterben «

Denn glauben Sie nicht, dass eine versierte Handarbeiterin nach Anleitung arbeitet. Ihre Anleitung ist das weitergereichte Wissen, mit dem sie Neues gestaltet. In der Wirtschaftswunderzeit wurde Frauen dieses Können endgültig aus der Hand genommen und verindustrialisiert.

Die geschlagenen Kriegsheimkehrer mussten in jener Zeit wieder die Herren im Haus werden, die Frauen wurden aus den Arbeitsplätzen, die sie im Krieg anstelle der Männer eingenommen hatten, verdrängt. Im Gegenzug wollte man es ihnen an Heim und Herd schön machen mit Staubsaugern, Waschmaschinen und Trevira.

Mit dem Verlust der Bekleidungsproduktion ging auch das Wissen um Produktionsmaterialien einher – Polyamid, Polyester und mit ihr die Petrochemie, sowie importierte Baumwolle vertrieben Schurwolle und Hanf. Heute kennen die meisten den Unterschied zwischen Baumwolle, Viskose, Acryl, Seide, Schurwolle und anderen Fasern nicht.

Stricken ist politisch, weil Kulturtechniken und kulturelles Wissen damit verknüpft sind, weil die Tücken der industrialisierten Bekleidungsproduktion daran exemplifiziert werden können, weil Konsum daran gelehrt werden kann.

Aufgeheult wird, wenn Kinder glauben, Kartoffeln wachsen in Plastiktüten. Nicht aufgeheult wird, wenn ein Pullover fünf Euro kostet und Menschen in Bangladesch beim Herstellen sterben.

WALTRAUD SCHWAB

Sie ist Redakteurin der taz.am Wochenende und Kuratorin des Strick-Workshops auf dem taz.lab.

Glückliche Schafe, möglichst noch vom Öko-Bauernhof, als Wollieferanten einer wohlhabenden Minderheit. Bild: dpa

CONTRA - Von Manuel Schubert

Eine neue Selbstermächtigung, ein Mittelfinger gegen die Konsumgesellschaft, ein quasi revolutionärer Akt mit der Stricknadel als Kampfinstrument für Friede und Sozialismus. Das Wortgehubere um den aktuellen Semi-Hype namens Stricken geizt nicht mit Superlativen. Allein: Es ist nicht vielmehr als heiße Luft bzw. Wollflusen auf dem politischen Laminat.

Der Strick-Hype ist hinlänglich konsumtechnisch eingemeindet, rationalisiert und monetarisiert. Während die StrickerInnen-Bewegung noch die Billigklamotten aus Fernost geißelt, wird die Wolle längst im Container aus Indien oder Asien herbei geschifft.

» Stricker und Strickerinnen sind Teil der Konsummeute. Ihr ach so alternatives Leben ist Lifestyle, das Stricken dessen aktueller Hype «

Die wohlmeinenden StrickerInnen, die in hippen Cafés und Clubs sitzen oder an Verkehrspoller herum stricken, verwenden Material, das unter prekärsten Umständen produziert wurde. Gefärbt in Anlagen, die jeder Beschreibung spotten, wenn es um Arbeits- und Umweltschutz geht.

Die Wolle – ein sozialer und ökologischer Albtraum. Zugegeben, nur einer unter vielen. Allerdings: Wer es gut meint, der strickt sowieso öko - mit Schafswolle, die sorgsam von handgestreichelten Schafen europäischer Öko-Bauernhöfe geschoren wurde. Allein: Wer soll sich das leisten können? Genau. Öko-Stricken – ein elitäres Baby einer wohlhabenden Minderheit.

Die moderne „Knitting“-Bewegung, wie Stricken heutzutage so „fashionable“ heißt, hat nichts zu tun mit Selbstermächtigung und zeigt sicherlich nicht den Mittelfinger gegen eine übergriffige Konsumgesellschaft, eher schon: Daumen hoch.

Das Stricken ist längst – im Wortsinne - tief verstrickt in den Kapitalismus. Stricker und Strickerinnen sind Teil der Konsummeute. Ihr ach so alternatives Leben ist Lifestyle, das Stricken dessen aktueller Hype. Er wird vorbei gehen.

MANUEL SCHUBERT

Er ist Redakteur des taz.lab und der Aus-der-taz-Seiten