Pro & Contra Bildentfernung: Können Killer Künstler sein?

Hamburgs Kunsthalle hat ein Bild von Zwelethu Mthethwa abgehängt, weil er wegen Mordes verurteilt wurde. Ist das Zensur oder Pietät? Darüber ist zu debattieren

Da wo ein großformatiger Abzug hing, hängt nun ein kleiner und ein Zettel Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz| Die Kunsthalle Hamburg hat sich entschieden, eine Fotoarbeit des südafrikanischen Künstlers Zwelethu Mthethwa aus ihrer am 17. Februar eröffneten aktuellen Ausstellung „Warten“ zu entfernen. Anlass dafür ist, dass er am 16. März nach einem fast zwei Jahre dauernden Indizienprozess wegen Mordes einer Frau verurteilt wurde. Mthethwa, der zu den weltweit gefragtesten Malern und Fotografen der Gegenwart zählt, beteuert bis heute seine Unschuld. Diskutiert wird jetzt die Entscheidung von Kuratorin Birgit Kölle sein Bild aus der Schau zu entfernen. Sie verteidigt sie als Akt der Pietät gegenüber dem Opfer und seinen Angehörigen. Aber lässt sie sich nicht eher als skandalöser Akt der Zensur sehen?

Nein. Die kuratorische Entscheidung verdient Respekt

Stammtisch, ick hör dir raunen: Wenn man das Foto des Südafrikaners Zwelethu Mthethwa abhängt, müssen auch Werke des Mörders Caravaggio und der des Kindesmissbrauchs verdächtigen Kirchner und Mühl weg aus Ausstellungen und Sammlungen.

Allerdings, das Argument greift nicht: Denn erstens liegen die erwähnten Fälle lange zurück, und die Gesellschaft ist im Umgang mit Ambivalenzen hellhöriger, differenzierter geworden. Zweitens leben die damaligen Täter und Opferangehörigen nicht mehr, öffentliches Interesse und Brisanz sind verflogen.

Für Mthethwa gilt das nicht. Der Künstler ist – anders als zu Beginn der Ausstellung „Warten“ in der Hamburger Kunsthalle – frisch wegen des brutalen Mordes an der 23-jährigen Prostituierten Nokuphila Kumalo verurteilt. Damit dreht sich die Perspektive, gibt für Ausstellungsmacher und -besucher den Blick frei auf den politischen Hintergrund dieses Prozesses, den Aktivistinnen der Sex Workers Education and Advocacy Taskforce (Sweat) begleiteten.

Denn Sexarbeit ist seit 1957 in Südafrika kriminalisiert, Prostituierte weitgehend rechtlos. Das befördert die Brutalität von Freiern, da selten geahndet und im quasi straffreien Raum. Das Urteil gegen Mtehthwa hat also nicht nur individuelle, sondern auch gender-politische Bedeutung.

Dass Hamburgs Kunsthalle kein Werk des verurteilten Täters zeigen will, das – ausgerechnet – eine halbnackt daliegende Schwangere im Alter der Ermordeten zeigt, ist ein so verständlicher wie nötiger Akt der Empathie. Zugleich ein politisches, frauen-solidarisches Statement. Und schließlich ist es ein Akt der Zivilcourage, denn die erwähnten Totschlag-Argumente werden verlässlich kommen.

Dabei muss die Entscheidung, das Bild abzuhängen, ja gar nicht für die Ewigkeit gelten. Sie ist eine Reaktion auf ein aktuelles Ereignis, mehr nicht. Denn natürlich wird die Kunsthalle das Bild, das ihr gehört, deshalb nicht verkaufen oder für immer verstecken.

Es geht vielmehr um die Debatte über Erträglichkeitsgrenzen und über moralische Grenzen anhand eines aktuellen exemplarischen Falls. Denn natürlich: Kunst darf alles. Aber darf das auch der Künstler? Und wie viel genau ist „alles“? Spannende Fragen, die Hamburgs Öffentlichkeit dank der beherzten Entscheidung der Kunsthalle genau jetzt diskutieren darf. Petra Schellen

Ja. Diese Bildzensurist blanke Heuchelei

Zwelethu Mthethwa ist ein verurteilter Mörder. Und er ist ein international anerkannter Künstler, den die Hamburger Kunsthalle für wichtig genug befunden hat, Teil ihrer Ausstellung über das „Warten“ zu sein. Wohl wissend, dass er damals schon unter Mordanklage stand.

Wenn sie ihn und seine Arbeit nun nicht mehr würdig findet und das mit „Respekt für die Angehörigen des Opfers“ begründet, muss man fragen: Hatten die vor seiner Verurteilung keine Gefühle? Ohnehin ist das ein merkwürdig symbolisches Argument: Weder ist sehr wahrscheinlich, dass die Angehörigen Mthethwas Beteiligung an der Ausstellung im fernen Hamburg mitbekommen haben, noch seinen Ausschluss daraus. Und falls doch, ist es gut vorstellbar, dass sie andere Sorgen haben.

Das Abhängen der Fotografie „Mother and Child Nr. 11“, das seine Hochschwangere zeigt, richtet sich vielmehr an das heimische Publikum. „Wir zeigen saubere, moralisch integre Kunst“, ist die Botschaft. Und dafür muss eben auch der Künstler mit seiner Persönlichkeit bürgen. Aber kann Moral überhaupt ein Kriterium für Kunst sein?

Aber man muss gar nicht bis zum Killer und gefeierten Maler Caravaggio zurückgehen, bis ins frühe 17. Jahrhundert, um dieser Frage nachzugehen. Die Hamburger Kunsthalle selbst hatte dem Mehrfach-Ritualmord der Gruppe um Charles Manson vor acht Jahren eine ihrer besseren Ausstellungen gewidmet, die in durchaus verstörender Weise auch die Faszination des Grauens in der Hippie-Bewegung thematisiert hat.

Der Kunstbetrieb muss sich daran gewöhnen, dass die interessanten Positionen häufig aus gesellschaftlichen Spannungsgebieten kommen statt aus dem akademischen Milieu saturierter Wohlstandsgesellschaften. Vor allem aus Schwellenländern wie Südafrika, wo bitterste Not einerseits und die nötige Kaufkraft für Kunst von Weltrang andererseits oft nur durch einen Bretterzaun voneinander getrennt sind.

Wie diese Gesellschaften insgesamt, werden auch die Künstlerbiografien immer wieder Brüche aufweisen. Wer deswegen im Sinne eines moralischen Reinheitsgebots auf ihre Kunst verzichtet, kann seinen Laden eigentlich zumachen. Denn er verwaltet nur den Mainstream-Kanon, den er mit dem Stempel „100% moral-übergeprüft“ serviert. Jan Kahlcke

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Seit 2000 Redakteurin der taz am Standort Hamburg. Schwerpunkte: Kultur und -politik, Drittes Reich, Judentum, Religion allgemein.

Jan Kahlcke, war von 1999 bis 2003 erst Volontär und dann Redakteur bei der taz bremen, danach freier Journalist. 2006 kehrte er als Redaktionsleiter zur taz nord in Hamburg zurück

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