Privatisierung in Braunschweig: Das Haushaltswunder

Wie die Beratungsgesellschaft KPMG den Verkauf der Stadtwerke Braunschweig von einem Verlustgeschäft zu einem guten Deal schönrechnete.

Privat betrieben: Gas- und Dampfturbinenanlage des Braunschweiger Heizkraftwerks Mitte. Bild: BSEnergy

HAMBURG taz | Wie wahr ist Braunschweigs Haushaltswunder? Weil die Diskussion über diese Frage nicht abreißen mochte, hat Oberbürgermeister Gert Hoffmann (CDU) die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG beauftragt, durchzurechnen, ob sich der Verkauf der Braunschweiger Stadtwerke gelohnt hat.

Vermutlich wie gewünscht, kamen die Prüfer zu dem Ergebnis, dass der Verkauf die Haushaltslage nachhaltig verbessert habe. „Hier liegt eine richtige Fälschung vor“, ärgert sich der Braunschweiger Matthias Witte, der sich in der Sache an verschiedenste Stellen gewandt hat – meist vergeblich.

Braunschweig hat unter Hoffmann in den Jahren 2002 folgende eine Reihe städtischer Betriebe privatisiert, um die Schuldenlast zu drücken. Vorderhand scheint die Rechnung aufgegangen zu sein. Anstelle eines Haushaltsdefizits, wie die meisten Kommunen, hat Braunschweig im vergangenen Jahr einen Überschuss erwirtschaftet. Umstritten ist, ob es sich dabei nicht nur um einen mittelfristigen Effekt handelt und die Stadt nicht auf Dauer Nachteile erleidet.

Die Prüfer der KPMG haben jeweils für den Fall der Privatisierung und der Nicht-Privatisierung ausgerechnet, was die Stadt unterm Strich pro Jahr gewinnt oder verliert. Sie addieren dabei das Ergebnis der „Stadt Braunschweig Beteiligungsgesellschaft“ (SBBG), zu der auch die Stadtwerke gehören, das Gewerbesteueraufkommen der Versorgungs AG, die Zinsen auf die städtischen Schulden und den Erlös aus dem Verkauf respektive die Dividenden der Nibelungen-Wohnungsgesellschaft.

Dabei ergibt sich auf Dauer unterm Strich ein jährliches Minus von 13 Millionen Euro im Falle der Privatisierung gegenüber sechs Millionen Euro im Falle der Nicht-Privatisierung.

79 Millionen Euro Miese mehr

Eigentlich ein klarer Fall, der sich mit der betriebswirtschaftlichen Barwertmethode auch in einen Unternehmenswert zu einem Stichtag umrechnen lässt. Zum 1. Januar 2009 wäre das Konstrukt im Privatisierungsfall mit 218 Millionen Euro in den Miesen gewesen, im Falle der Nicht-Privatisierung nur mit 139 Millionen Euro. Die Privatisierung hätte die Stadt auf lange Sicht also 79 Millionen Euro gekostet.

KPMG rechnet diese „kalkulatorische Verschuldung zur Deckung des künftigen Kapitalbedarfs“ aber nur aus, um sie mit dem Verschuldungsstand am 1. Januar 2009 zusammenzubringen: 239 Millionen Euro im Privatisierungsfall, 561 Millionen bei Nicht-Privatisierung. Die Gutachter addieren die Summen zu einem „kalkulatorischen Gesamtverschuldungsstand“ – und schlussfolgern: „Wenn diese beiden Effekte zusammengefasst werden, ergibt sich ein Vorteil der Privatisierung von insgesamt rund 242,5 Millionen Euro.“

Eine Milchmädchenrechnung, sagt Kritiker Witte. In einem Schreiben an die Wirtschaftsprüferkammer äußert er den Verdacht, dass KPMG mit ihrem „kalkulatorischen Gesamtverschuldungsstand“ die „Schulden fälschlich doppelt gewertet hat, indem sie einmal den Betrag der Schulden verbucht hat und dann noch den Barwert der Zinsen draufgerechnet hat, die für diese nie abgelösten Schulden zu zahlen sein werden“.

Von Äpfeln und Birnen

In der Tat sieht es so aus, als hätten die Wirtschaftsprüfer hier Äpfel mit Birnen addiert: Der Unternehmenswert wird mit der Barwertmethode ja aufgrund der erwarteten zukünftigen Zahlungsströme ermittelt. Und diese ergeben sich aus der aktuellen Finanzlage des betrachteten Konstrukts.

Folglich könnte KPMG sinnvollerweise nur die jeweiligen Schuldenstände zum Stichtag vergleichen oder die Unternehmenswerte auf Basis der künftigen Verluste – aber eben nicht beides miteinander verrechnen. Ganz abgesehen davon, dass ein Vergleich der Verschuldung nichts über die Vermögenslage aussagt: Für das Geld, das die Stadt beim Verkauf erhalten hat, musste sie ja ihre Unternehmensanteile weggeben.

Auf eine Anfrage des Vorsitzenden der Piratenfraktion im Braunschweiger Rat, Jens-Wolfhard Schicke-Uffmann, hin räumte die Verwaltung ein, dass ihr keine anderen Gutachten bekannt seien, in denen die Kenngröße „kalkulatorischer Gesamtverschuldungsstand“ vorkomme. Auch im Internet findet sich dazu nichts. „Der ’kalkulatorische Gesamtverschuldungsstand‘“, sagt Schicke-Uffmann, „ist von KPMG erfunden worden.“ Als Kennzahl sei er sinnlos.

Fast doppelt so teuer

Ihm gegenüber räumte die Verwaltung zudem ein, dass die Privatisierung für die Stadt nach den Annahmen der KMPG auf 100 Jahre gerechnet fast doppelt so teuer ist wie die Nicht-Privatisierung: Demnach stehen 36,3 Milliarden Schulden gegenüber 18,6 Milliarden. „Allein die Höhe dieser Zahlen zeigt schon, dass es keine sinnvolle Interpretation geben kann“, findet die Verwaltung.

KPMG kommentiert die Kritik nicht. Das stehe nur dem Auftraggeber des Gutachtens zu, teilte eine Sprecherin mit. Zur Frage, ob es sinnvoll gewesen sei, den Schuldenstand und den Unternehmenswert auf Basis künftiger Zahlungen miteinander zu verrechnen, verweist die Stadt darauf, dass die Angelegenheit vier Jahre zurückliege.

„Zum damaligen Zeitpunkt waren aus Sicht der Verwaltung Fragestellungen, Berechnungsmethoden und Ergebnisse richtig“, so Stadtsprecher Rainer Keunecke. Mittlerweile hätten sich jedoch wesentliche Eckdaten, etwa wegen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, stark geändert. „Unter diesen Umständen ist für uns die damalige Diskussion praktisch erledigt.“

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