Pressefreiheit in der Türkei: Erkaufte Freundschaften

In den 80er Jahren wurde der türkische Medienmarkt privatisiert, die Branche musste Profit machen. Das hatte auch Vorteile.

Zeitungsständer, von schräg unten aufgenommen. Sonnenschein im Gegenlicht

Heute regiert die AKP: türkische Tageszeitungen nach der Parlamentswahl im November 2015 Foto: Imago

ISTANBUL taz | Im Sommer 1980 druckte die Hürriyet eine Titelgeschichte über eine angeblich kommunistische Stadt am Schwarzen Meer. In der Kleinstadt Fatsa, so die Zeitung, wehe keine türkische Fahne mehr, stattdessen sei linke Anarchie ausgebrochen.

Hürriyet legte ihren Lesern nahe: So geht es nicht weiter. Mit diesem Artikel startete der Militärputsch am 12. September 1980. Hürriyet, das heute von Staatspräsident Erdoğan so massiv bedrängte Flaggschiff des Dogan-Konzerns, war damals die Staatszeitung schlechthin.

Die publizistische Opposition war kleiner. Eine davon war die linke, unabhängige Demokrat, zu der die taz nach ihrer Gründung 1979 als erste türkische Publikation Kontakt aufnahm. Der währte aber nur kurz, Demokrat wurde nach dem Putsch im September verboten.

Der Putsch 1980 beendete für mehrere Jahre eine publizistische Freiheit, die erst durch eine vorangegangene Revolte zwanzig Jahre zuvor möglich geworden war. Die damaligen republikanischen Militärs, die gegen eine rechte Regierung aufbegehrt hatten, hinterließen die liberalste Verfassung, die die Türkei bis dato gehabt hatte. Nicht zuletzt darauf beruhte der Meinungspluralismus der 1970er Jahre.

Die Zeit der Holdings

Als Mitte der 80er mit Ministerpräsident Turgut Özal eine zivile Regierung die Macht übernahm, begann eine Revolution auf dem türkischen Medienmarkt, die die Situation bis heute prägt. Özal ebnete den Weg für private Fernseh- und Radiosender und kommerzialisierte die gesamte Branche. Auch der Printmarkt veränderte sich: Bis dahin gehörten die großen Zeitungen Verlegerfamilien, denen es um ihr Produkt ging. Jetzt ging es nur noch ums Geschäft.

Mit Özal kam die Zeit der großen Holdings, die unter anderem auch Zeitungen und Fernsehsender im Portfolio hatten. Unternehmer wie die Uzan-Familie, der Konzern von Aydın Doğan und der Unternehmer Dinç Bilgin übernahmen die Medienlandschaft.

Dünya basın özgürlüğü günü 3 Mayıs 2016'da taz 16 Türkçe-Almanca özel sayfa ile yayınlandı. Türkiye'de çalışan gazetecilerle birlikte hazırlandı. Cünkü basın özgürlüğü hepimizi ilgilendirir.

die günlük gazete'de yayınlanan Türkçe yazılara buradan ulaşabilirsiniz.

Zum Internationalen Tag der Pressefreiheit erschien die taz am 3. Mai 2016 mit 16 türkisch-deutschen Sonderseiten zum Thema „Pressefreiheit in der Türkei“ – erstellt von türkischen JournalistInnen zusammen mit der taz-Redaktion. Weil Pressefreiheit uns alle angeht.

„taz.die günlük gazete“ – learn more about our project (in German)

Aydın Doğan hatte 1979 bereits die renommierte Milliyet gekauft, Hürriyet und andere Zeitungen kamen in den 90er Jahren dazu. Dinç Bilgin kaufte Sabah und gründete wie die Uzan-Familie noch einen Fernsehsender. Die Unternehmer erhofften sich von ihren Mediensparten nicht nur Geld, sondern auch positive Presse für ihre übrigen Firmen. Das bedeutete vor allem: Politikern schmeicheln, damit die Staatsaufträge und billige staatliche Kredite abwerfen.

Eine positive Folge hatte das allerdings alles: Plötzlich waren im Fernsehen politische Diskussionsrunden zu sehen, die das Staatsfernsehen TRT nie gezeigt hätte. Da nach dem Tod von Özal in den 90er Jahren überwiegend schwache Regierungen übernahmen, gab es wenig staatliche Zensur.

Gesellschaftliche Vielfalt

Im Kampf um Einschaltquoten durfte plötzlich sogar offen über die kurdische Frage diskutiert werden. Erstmals zeigte das Fernsehen die gesellschaftliche Vielfalt. Die Grenzen des Journalismus setzten bis auf einige Tabus, wie den Genozid an den Armeniern, nicht mehr der Staat, sondern die ökonomischen Interessen der Unternehmer.

Das war die Situation, als die AKP Ende 2002 an die Regierung kam. In den liberalen ersten Jahren ließ sie den Medien noch Freiheiten. Mit seiner Wiederwahl 2007 wähnte sich Tayyip Erdoğan stark genug, gegen die vermeintlichen kemalistischen Netzwerke, die ihn angeblich stürzen wollten, vorzugehen. Dazu gehörten auch Hürriyet und Sabah.

Sabah stellte er gänzlich unter die Kontrolle eines befreundeten Geschäftsmanns, der Doğan-Holding hetzte er die Steuerfahndung auf den Hals.

Heute ist Hürriyet aus Angst vor der AKP so sehr um Erdoğans Wohlgefallen bemüht, dass die Zeitung wie eine Regierungspostille auftritt. Wirklich kritische Presse ist kaum übriggeblieben. Rund 90 Prozent der Medien werden direkt oder indirekt vom Staat kontrolliert.

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