Presse-Auslosung im NSU-Prozess: Aufregung ohne Ende

Vertreter der NSU-Opferangehörigen fürchten eine erneute Verschiebung des Prozess-Auftakts. Die erste Klage ist schon auf dem Weg nach Karlsruhe.

Gerichtspräsident Karl Huber neben den Losboxen für die „Presse-Tombola“. Bild: Reuters

BERLIN taz/dpa | Einen Tag nach der Verlosung der festen Presseplätze für den Prozess gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer der Terrorzelle NSU in München hält die Aufregung an. FAZ, Tagesspiegel, Zeit, Welt, taz: All diese Zeitungen sind leer ausgegangen und prüfen nun zumindest juristische Schritte.

Die Klage eines freien Journalisten ist bereits auf dem Weg nach Karlsruhe. Den Eingang konnte das Bundesverfassungsgericht am Dienstagmittag allerdings noch nicht bestätigen. Martin Lejeune hatte im ersten Anlauf zur Journalisten-Zulassung ebenfalls einen Platz ergattert und ging nun im Losverfahren leer aus. Er findet: Der Vorsitzende Richter im NSU-Prozess könne nicht nach dem Motto verfahren: „Der Herr hat es gegeben, und der Herr hat es genommen.“

In seiner Verfassungsbeschwerde moniert Lejeune unter anderem, dass es beim Losverfahren zwar feste Kontingente für ausländische Medien, Nachrichtenagenturen, öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk sowie Zeitungen gab – aber keine für Onlinemedien und freie Journalisten. Das verletze den Gleichheitsgrundsatz, findet er.

Der zweite Anlauf bei der Zulassung der Journalisten war nötig geworden, weil beim ersten Anlauf, bei dem allein die Geschwindigkeit zählte, keinerlei türkische und griechische Medien einen der 50 festen Plätze bekamen – und das obwohl acht der zehn Opfer des NSU türkische Wurzeln hatten und eines griechische.

Das Bundesverfassungsgericht ordnete vor zweieinhalb Wochen im Eilverfahren Korrekturen an. Das Münchner Oberlandesgericht München entschied sich daraufhin für einen kompletten Neustart und verschob den Beginn des NSU-Prozesses auf den 6. Mai.

Häme über „Presse-Tombola“

An diesem Montag wurde nun ausgelost. Wegen fester Kontingente für Medien aus den Herkunftsländern der Opfer haben nun unter anderem die türkischen Zeitungen Sabah und Hürriyet und der griechische Rundfunksender ERT einen sicheren Platz auf der Pressetribüne bekommen. Damit ist der zentrale Fehler des ersten Zulassungsverfahrens behoben.

Dafür hatten bis auf Bild und die Junge Welt keine überregionalen deutschen Tageszeitungen Losglück. Die Zahl der freien Journalisten mit Sitzplatzgarantie sank von sieben auf drei.

Opfervertreter verfolgen die erneute Diskussion mit Sorge. Die Münchner Rechtsanwältin Angelika Lex, die die Witwe eines NSU-Mordopfers als Nebenklägerin vertritt, befürchtet angesichts drohender Klagen gegen das Losverfahren eine zweite Prozessverschiebung. „Ich finde es sehr bedauerlich, dass wir wieder Unsicherheit haben, ob das Verfahren tatsächlich am nächsten Montag beginnen kann“, sagte Lex dem Bayerischen Rundfunk.

In den Kommentarspalten der Onlinemedien und in den sozialen Netzwerken wird das Thema hitzig diskutiert. Einige werfen dem Münchner Oberlandesgericht Unfähigkeit vor. Andere machen sich über Medien wie Brigitte, TOP FM und Hallo München lustig, die in der „Presse-Tombola“ einen Platz bekommen haben.

Wiederum andere kritisieren die Journalisten, die sich zu sehr mit sich selbst beschäftigten, und dabei das eigentliche Thema aus den Augen verlören: die Morde und Bombenanschläge des NSU und das Versagen des Staates bei den Ermittlungen. Die Journalistin und Buchautorin Sabine Rennefanz schreibt auf Twitter: „Wenn wir Journalisten uns über die Taten so erregt hätten wie über die Akkreditierung, hätte es keine 'Dönermorde' geben müssen.“

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Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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