Pop von St. Vincent: Ein guter Song ist wie ein Geheimnis

„Masseduction“ heißt das neue Album der US-Popkünstlerin St. Vincent. Darin verhandelt sie das Ende einer lesbischen Liebe.

Die Künstlerin in einem pinken Raum

Willkommen in der Gebärmutter-Installation: St. Vincent als Gesamtkunstwerk Foto: Nedda Afsari

Das Gewöhnliche ist augenscheinlich nicht die Welt der US-Musikerin St. Vincent, die mit bürgerlichen Namen Annie Clark heißt. Zum Interview im Londoner Stadtteil Camden holt mich ihre Assistentin ab. In ihrem Kapuzenmantel erinnert diese an einen Mönch – sie schweigt auch genauso beharrlich. Mit Handzeichen deutet sie an, man möge ihr folgen.

Es geht ins Nachbargebäude, wo in einem Innenraum ein hölzerner Kubus aufgebaut ist. Durch eine winzige Tür gelangt man ins Innere. Dort ist alles pink und grell ausgeleuchtet: Wände, Licht, Tisch und Stühle, man wähnt sich in einer begehbaren Kunst­installation. „Hier sieht es aus wie in einer psychedelischen Gebärmutter“, erklärt St. Vincent, in Tulsa, Oklahoma geborene, in Texas aufgewachsene und gegenwärtig in New York lebende Künstlerin.

Schmal ist die 35-Jährige, sie trägt zum schwarzen Bustier eine knallenge Kunststoffhose. Clarks Brille hat getönte Gläser, die schwarzen Haare sind zur akkuraten Prinz-Eisenherz-Frisur drapiert: eine Art Gesamtkunstwerk. Interessiert, freundlich, aber auch ein bisschen streng mustert St. Vincent ihr Gegenüber.

Eigentlich gilt sie als verschlossen. Als Künstlerin, die ihr Privatleben nach Möglichkeit abschirmt. Das stimme nur bedingt, stellt Annie Clark sofort klar: „Es muss nur niemand wissen, was ich zum Frühstück esse. Und doch, auf allen meinen Alben sind Songs, deren Texte Sorgen, Freuden, manchmal sogar intime Details preisgeben.“ So verwundert es nicht, dass die erste Single ihres neuen Albums „Masseduction“, gesprochen: „Mass Seduction“, ihr Liebesleben reflektiert, oder, besser: das Ende einer Beziehung.

Unterschiedliche Musen

Wer das Trennungslied „New York“ inspiriert hat? Cara Delevigne, spekuliert die Boulevardpresse. Mit dem britischen Topmodel war die Musikerin gut anderthalb Jahre liiert. Danach datete sie eine Weile die Schauspielerin Kristin Stewart. Ein gefundenes Fressen für Paparazzi, die sich zeitweilig eng an Clarks Fersen hefteten: „Ich habe gemerkt, wie sehr mich diese Jagd als Mensch isoliert, wenn man nicht mal eben in den Supermarkt gehen kann. „Hautnah erlebte St. Vincent die Hatz auf ihre Ex Cara Delevigne mit: Paparazzi, Verfolgungsjagden und Belästigungen, ein Albtraum, sagt sie rückblickend. „Ich habe Cara beschützt“, erinnert sie sich. „Für mich bleibt sie ein wunderbarer und freundlicher Mensch.“ Ob ihre Verflossene die Initialzündung für den Song „New York“ war, lässt sie bewusst offen: „Ich habe verschiedene Musen: Freunde, Geliebte und New York als Stadt.“

Auf jeden Fall kommt dieser Song ganz anders daher als erwartet – eine Klavierballade ohne Gitarren. St. Vincent nickt. „Ich habe in der Vergangenheit einige bombastische Rocksongs eingespielt“, gesteht sie. „Darum wollte ich jetzt unbedingt aus diesem Klangmuster ausbrechen.“

Die Songs von St. Vincent sind intim, düster, schroff und trotzdem frei von Bekenntniszwang

Dennoch hat sie sich gegen allzu Balladeskes entschieden. In Songs wie „Pills“ oder „Hang on me“ setzt sie programmierte Uptempo-Beats ein. „Happy Birth­day Johnny“ kommt als reduzierte Lofi-Nummer mit dezenten Pedal-Steel-Einsprengseln daher und feiert das Wiedersehen mit einem alten Bekannten. Die Figur „Johnny“ geisterte bereits durch zwei frühere Alben. Ob sie an eine reale Person angelehnt ist, verrät St. Vincent nicht: „Das müssen die Hörer selbst ergründen.“

St. Vincent ist eine Künstlerin, die sich frei macht von der Diktatur des Bekenntniszwangs: „Für mich fühlt sich ein toller Song wie ein Geheimnis zwischen HörerInnen und Sängerin an.“ So ging es Clark auch, als sie mit Anfang 20 die Musik von David Bowie für sich entdeckte. Die Glamrock­ikone hat St. Vincent ebenso geprägt wie der australische Finsterfürst Nick Cave. Eine Zeile aus dessen Song „There she goes my beautiful World“ stand Pate für ihren Künstlernamen.

Dunkle Seite der Macht

Wie Cave setzt auch St. Vincent auf energische Bühnenshows, die manchmal auch zur Grenz­erfahrung für Zuschauer werden, Nebenwirkungen kalkuliert die Künstlerin mit ein. Während ihrer letzten Tournee hat sie sich beim Crowdsurfing den Fuß gebrochen. Wird sie das künftig bremsen? Sie lacht: „Natürlich nicht. Ich mag direkten Kontakt zum Publikum.“ Ihren Fans wird sie also wieder im Vollkontakt ihre neuen Songs vorstellen. Diese handeln diesmal von den dunklen Seiten der Macht, Herrschen und Beherrschen, Verführung. Den Schlüssel zum Verständnis von „Masseduction“ liefert Trumps Präsidentschaft, könnte man meinen.

St. Vincent: „Masseduction“ (LomaVista/Caroline International/Universal). Live: 26. 10., Huxley’s Neue Welt, Berlin

Doch der kontroverse US-Präsident war für St. Vincent nicht Motor ihrer Texte: „Seine Präsenz ist eher indirekt. Ich glaube, das Persönliche ist politisch, das Politische persönlich.“ Etwas konkretere Kritik am US-Präsidenten hätte man von St. Vincent schon erwartet. Nicht nur, weil sie sich dem Feminismus verschrieben hat, seit ihrer Jugend. „Wie kann eine Frau von sich behaupten, sie sei keine Feministin?“ ereifert sie sich. „Das würde ja bedeuten, sie hätte etwas gegen Gleichberechtigung und gleiche Entlohnung für Frauen und Männer.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.