Polnische Juden in Deutschland: Die Blaupause

Es ist die Generalprobe zu den Novemberpogromen. Im Oktober 1938 werden die neunjährige Berti Bukspan und ihre Familie aus Frankfurt vertrieben.

Boykott gegen juedische Einrichtungen

Judenanfeindungen vor den Novemberpogromen: Am 1. April 1933 ruft die SA in Berlin zum Boykott jüdischer Einrichtungen auf Foto: picture alliance

TEL AVIV/FRANKFURT AM MAIN taz | Ende Oktober 1938. Bis zum Novemberpogrom sind es noch 14 Tage. Aber das wissen die Menschen nicht, ja nicht einmal die Nazis kennen den Fahrplan zur Austreibung und Entrechtung der deutschen Juden, zur Brandstiftung in ihren Synagogen, Zerstörung ihrer Wohnungen und Geschäfte und der darauf folgenden Deportation von 30.000 Männern in die Konzentrationslager.

Die sechsköpfige Familie Bukspan lebt in der Frankfurter Uhlandstraße 25, an der Ecke zur Ostendstraße. Das ist keine besonders feine Wohngegend, aber auch kein von Absteigen geprägtes Viertel. Die Wohnung hat vier Zimmer und eine große Küche. Berti Bukspan, die Drittgeborene, teilt sich ihr Kinderzimmer mit den Schwestern Regina und Sonja. Die Neunjährige besucht die Jüdische Schule am Röderbergweg. Ihre Lieblingsessen sind Pellkartoffeln und Linsensuppe.

Berti Bukspan, die heute den Namen Batia Schutz trägt und in einem Altersheim in Tel Aviv lebt, erinnert sich.

„Eingeschult wurde ich 1936. Meine Klassenlehrerin hieß Fräulein Dr. Fuchs. Sie hatte rotes Haar und sagte zu uns: ‚Ich heiße Fräulein Dr. Fuchs und wenn ihr wollt, dann könnt ihr jetzt ob meiner roten Haare singen: Fuchs, du hast die Gans gestohlen.‘ In der Schule musste man still bleiben. Aber wenn man einmal geredet hat, war das auch nicht so schlimm. Ich war sehr glücklich in der Schule. Unsere Familie machte öfters Ausflüge in den Ostpark. Häufig sind wir in den Zoo gegangen, und zum Baden im offenen Schwimmbad am Ostpark.“

Die Eltern kamen aus Polen

Der Vater Simon ist gebürtiger Pole und kam nach dem Ersten Weltkrieg nach Deutschland. Die Mutter Malka stammt aus Frankfurt am Main, ihre Eltern sind ebenfalls aus Polen ins Reich gekommen. Der Vater hat lange mit Stoffen gehandelt, bis die Nazis es ihm verboten haben. Bruder Aaron geht in eine jüdische Anlernwerkstatt, die Mutter ist Hausfrau.

„Vater war selbstständig, er hatte aber mehrere Partner. Nach 1933 musste er aufhören zu arbeiten, das war 1936 oder 1937. Wir mussten von unseren Ersparnissen leben. In unserer Familie ging es religiös zu. Es wurde koscher gegessen. Wir besuchten regelmäßig ein Bethaus nahe der Uhlandstraße. Das lag in einer ganz schmalen Gasse.“

Batia Schutz

„In unserer Familie sprach niemand Polnisch. Aber wir galten irgendwie als minderwertig“

Die Bukspans gehören zu den sogenannten Ostjuden, die vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg in großer Zahl nach Deutschland einwanderten. Sie flohen vor Pogromen im russischen Zarenreich, zu dem Polen bis 1918 gehörte, und versuchten der furchtbaren Armut zu entgehen, die im Osten Europas herrschte. Es waren Flüchtlinge. Und als solche sie in Deutschland nicht angesehen, sondern werden angefeindet.

„In unserer Familie sprach niemand Polnisch. Aber wir galten irgendwie als minderwertig. Auch die deutschen Juden haben auf uns herabgeschaut. Die Ostjuden waren weniger wert. Und irgendwie hat man sich abgesondert.“

Die eingewanderten polnischen Juden gelten in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg vielen Deutschen als unreinlich. Es heißt, und das nicht nur unter eingefleischten Rechtsradikalen, sie würden undurchsichtige Handelsgeschäfte betreiben, wären gar im Mädchenhandel engagiert und eine Gefahr für die deutsche Volksgesundheit. Die Mär von jüdischen Ritualmorden wird wieder aufgewärmt.

Brennende Synagoge in Frankfurt/ Main, 1938

Am 10. November 1938 wird die Börneplatzsynagoge in Frankfurt/ Main von einem Nazi-Mob in Brand gesetzt Foto: picture alliance

Nazis knüpfen an die weitverbreiteten Ressentiments an

Das Antisemitenblatt Der Hammer schreibt 1923: „Die Zahl verschwundener junger Menschen wächst genau im Verhältnis zu der der sich einschleichenden Ostjuden! Es sind seit zwei Jahren mehrere hundert Kinder und junge Menschen beiderlei Geschlechts spurlos verschwunden. – Wir sprechen den Verdacht aus, daß beide Erscheinungen ursächlich zusammenhängen – weil es keine andere Erklärung gibt und weil diesem vertierten Gesindel alles zuzutrauen ist.“

Die sozialdemokratische Neue Zeit notiert zwei Jahre zuvor: „Den meisten (Ostjuden) fehlt jeder Sinn für Ordnung und Reinlichkeit. So wie ihre Kleidung von Löchern und Schmutz starrt, so sind auch ihre Häuser von einer nicht zu beschreibenden Unsauberkeit.“

So werden die als Ostjuden bezeichneten Menschen in der Weimarer Republik als „raffende, nichtsnutzige Ausländer“ wahrgenommen – im Gegensatz zu sauberen, rechtschaffenen Deutschen. Leicht konnten die Nazis an die weitverbreiteten Ressentiments anknüpfen, diese verstärken und schon früh eine Ausweisung dieser Menschen fordern. Nach 1933 finden im ostjüdisch geprägten Berliner Scheunenviertel regelmäßig Razzien statt, die sogar im Rundfunk übertragen werden. Das NS-Regime widerruft die Einbürgerung von etwa 39.000 Juden, die zwischenzeitlich die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen hatten.

Batia Schutz erinnert sich:

Zum Schauen

Zur „Polenaktion“ läuft noch bis zum 30. Dezember eine sehenswerte Ausstellung in den Räumen des Centrum Judaicum (Oranienburger Str. 28-30) in Berlin. Eintritt 7,- Euro, ermäßigt 4,50 Euro. Der Begleitband zu der Schau (296 Seiten) kostet 20 Euro.

Am 6. November eröffnet im Berliner Dokumentationszentrum Topographie des Terrors (Niederkirchnerstr. 8) die Ausstellung „Kristallnacht“ – Antijüdischer Terror 1938. Ereignisse und Erinnerung. Die Schau läuft bis zum 3. März 2019, der Eintritt ist frei.

Der Weg in den Abgrund. Das Jahr 1938 ist der Titel einer Ausstellung, die noch bis zum 28. 2. 2019 in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz (Berlin, Am Großen Wannsee 56-58) gezeigt wird. Eintritt frei.

Sieben Kisten mit jüdischem Material“ – von Raub und Wiederentdeckung 1938 bis heute lautet der Titel der Sonderausstellung über den Raub jüdischer Ritualgegenstände. Jüdisches Museum München, St.-Jakobs-Platz 16. Bis 1. 5. 2019. Eintritt 6 (ermäßigt 3) Euro. Der Katalog (320 Seiten) kostet 29,80 Euro.

In Grevenbroich eröffnet am 9. November in der Villa Erckens (Am Stadtpark) die Ausstellung Nacht des Terrors. Der Novemberpo­grom 1938.

Das Leipziger Kultur- und Begegnungszentrum Ariowitsch-Haus, das Staatliche Museum für Archäologie in Chemnitz und die Jüdische Gemeinde zu Dresden zeigen gleichzeitig die Ausstellung Bruch Stücke. Die Novemberpogrome in Sachsen 1938. Das Begleitbuch (244 Seiten) kostet 19,90 Euro.

Zum Lesen

Barbara Schieb und Jutta Herscher haben in ihrem Buch 1938. Warum wir heute genau hinschauen müssen zeitgenössische Texte zusammengestellt und kommentiert. 2018, Elisabeth Sandmann Verlag, 200 Seiten, 24,95 Euro.

Sven Felix Kellerhoff untersucht in Ein ganz normales Pogrom am Beispiel des Dorfs Guntersblum, wie aus dem Hass Demütigung und Brandstiftung erwuchsen, dort, wo jeder jeden kannte. 2018, Klett-Cotta, 248 Seiten, 22 Euro.

Vor fünf Jahren erschienen, unbedingt lesenswert: Eine Nacht im November 1938: Ein zeitgenössischer Bericht, akribisch aufgezeichnet von dem Journalisten Konrad Heiden und erstmals 1939 auf Englisch erschienen. 2013, Wallstein-Verlag, 192 Seiten, 19,90 Euro.

Ein Standardwerk mit einer Fülle erschütternder Augenzeugenberichte ist die Publikation Novemberpogrom 1938: Die Augenzeugenberichte der Wiener Library, London, herausgegeben von Ben Barkow, Raphael Gross sowie Michael Lenarz. 2008, Jüdischer Verlag im Suhrkamp-Verlag, 933 Seiten, 19,95 Euro. (kih)

„Nach 1933 habe ich mitbekommen, dass die Eltern uns immer öfter gesagt haben, wir sollten nicht laut sein, wir sollten nicht auffallen. Mein Bruder wurde öfters auf der Straße geschlagen. Man hat damals nicht auf der Straße gespielt. Es hieß immer von den Eltern, wir sollten ins Haus kommen. Es gab auf den Straßen immer mehr Paraden. Mit unseren Nachbarskindern hatten wir nichts, gar nichts zu tun.“

Nach 1918 war eine Massenabschiebung der Ostjuden an den polnischen Behörden gescheitert. Dennoch kommt es immer wieder zu Ausweisungen der „lästigen Ausländer“, etwa bei Passvergehen und besonders in den ersten Jahren der Weimarer Republik. In Quedlinburg, Stargard und an anderen Orten existieren bis 1923 Internierungslager, vor allem für arbeitslose Ostjuden, die ausgewiesen werden sollen. Als 1921 in Stargard in einer verschlossenen Baracke ein Feuer ausbricht, entkommen die Gefangen durch die Fenster. Dafür werden sie anschließend mit Gewehrkolben traktiert, und ihnen wird gesagt, beim nächsten Mal sollten sie ruhig verbrennen.

Besonders angefeindet werden die Ostjuden

Namentlich Bayern geht rigoros vor: In München tauchen am 17. Oktober 1923 Kriminalbeamte in den Wohnungen von Ostjuden auf, nehmen Hausdurchsuchungen vor und verteilen Ausweisungsbefehle. In Ingolstadt entsteht ein Internierungslager, in dem sogar ein 13-jähriger Schüler gefangen gehalten wird.

„Wir bemühten uns um eine Auswanderung nach Palästina. Das erste Einwanderungszertifikat kam nach Frankfurt, besorgt von einem Bruder der Mutter, der schon in Palästina lebte. Da haben die Eltern gesagt, sie möchten gerne die ganze Wohnungseinrichtung mitnehmen. Das hat sich hingezogen, und das Zertifikat ist abgelaufen.“

Die Nazis planen im Herbst 1938 noch nicht, alle Juden zu ermorden. Ihr Ziel ist es, die drangsalierte Minderheit aus Deutschland zu vertreiben. Alle Juden verlieren ihre Stellungen, ihre Geschäfte und Betriebe werden „arisiert“, sie werden von der übrigen Bevölkerung separiert. Besonders angefeindet werden die Ostjuden, so wie Berti Bukspan und ihre Familie in der Uhlandstraße 25.

Das polnische Parlament beschließt 1938, dass Personen, die sich länger als fünf Jahre im Ausland aufhalten, die polnische Staatsangehörigkeit aberkannt werden soll. In Warschau befürchtet man, dass bis zu 20.000 polnische Juden nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Nazi-Reich zurückkehren könnten. Wer nicht bis zum 30. Oktober 1938 ein Visum in seinem Pass vorweisen kann, dessen Dokument wird automatisch ungültig.

Die Nazis, besorgt, diese Juden danach nicht mehr abschieben zu können, reagieren brutal: Sie planen noch vor dem 30. Oktober die Ausweisung von 20.000 polnischen Juden. Zuständig sind die örtlichen Polizeibehörden, aber auch die Gestapo, die SS und das Rote Kreuz werden mit einbezogen. Es ist der 28. Oktober 1938.

„Am Morgen kamen zwei SS-Männer in unsere Wohnung. Sie trafen dort aber nur meine Mutter und zwei meiner Schwestern an. Ich war so wie mein Bruder schon in der Schule, und mein Vater, so glaube ich, in der Synagoge zum Morgengebet. Meine Mutter kam begleitet von einem SS-Mann in meine Schulklasse. Ich sehe das Bild noch vor mir. Meine Mutter hatte auch so einen braunen Mantel, so wie die Farbe der Uniformen von den Nazis. Der Mann trug ein Hakenkreuz. Ich saß ganz hinten in der Klasse. Ich wundere mich heute noch, dass ich nicht aufgestanden und zu meiner Mutter gelaufen bin. Ich habe da gesessen, bis die Lehrerin zu mir kam und gesagt hat, ich müsse jetzt weg. Und ich bin mit nach Hause gegangen.“

Festnahmen von großer Brutalität

Im ganzen Reich werden die polnischen Juden, deren Adressen aus den polizeilichen Ausländerkarteien und der Judendatei der Gestapo bekannt sind, zu Hause abgeholt. In manchen Regionen, etwa in Berlin, sind es vornehmlich die Männer, denen der Ausweisungsbefehl zugeht, in der Vermutung, dass ihre Familien später „freiwillig“ nachfolgen würden. Anderswo, so in Frankfurt am Main, betrifft es die gesamten Familien.

„Während meine Mutter unterwegs war, hatte sie jemand aus der Nachbarschaft gesehen, und der hat meinem Vater informiert, der dann auch meinen Bruder geholt hat. Sie sind in die Wohnung gekommen. Und dort haben die Männer gesagt: ‚Jetzt packt, was ihr könnt! Viele warme Sachen, und wir bringen euch zur Bahn.‘ Ich habe meinen Schulranzen, meinen Teddy und das Portemonnaie mit meinem Schmuck mitgenommen.“

In anderen Fällen sind die Festnahmen von großer Brutalität begleitet. Der polizeiliche Gummiknüppel kommt zum Einsatz. Die Aktion erfolgt bei Tageslicht und kann von der Öffentlichkeit überall wahrgenommen werden.

Die Menschen werden in Sammelstellen gebracht, kommen von dort unter polizeilicher Bewachung zu den Bahnhöfen und werden in bereitgestellte Sonderzüge gesetzt. Sie dürfen nur zehn Mark mitnehmen. Ihre gesamte Habe müssen sie zurücklassen.

„Und so sind wir dann an den Frankfurter Ostbahnhof gekommen und nach Polen geschickt worden. Das war, glaube ich, ein ganz normaler Zug. Die Fahrt dauerte 24 Stunden, und wir haben auf den Koffern gesessen, während die Eltern stehen mussten. Dann kamen wir an die Grenze. Als Kinder haben wir das gar nicht so richtig mitbekommen. Dann kamen wir hinüber nach Polen. Wir durften nicht mehr zurückkehren.“

Tausende werden an der polnischen Grenze abgewiesen

In vielen Fällen werden die Ausgewiesenen gezwungen, am deutschen Grenzbahnhof Neu-Bent­schen auszusteigen und von dort kilometerweit zu Fuß die Grenze nach Polen zu überqueren. Es ist stockdunkel. Polizisten mit Gewehren begleiten die Menschen mit ihrem Gepäck über holprige Feldwege nach Osten.

Doch Tausende werden an der Grenze von den Polen abgewiesen. Die Juden irren tagelang ohne Verpflegung im Niemandsland oder an den Bahnhöfen umher, bis Polen die Vertriebenen doch noch aufnimmt.

Es ist dies die erste Massenausweisung der Nazis – eine Deportation noch nicht in den Tod, aber doch mit äußerster Brutalität und Effizienz durchgeführt. Sie betrifft mehr als 17.000 Menschen und sie wird zur Blaupause für die nachfolgenden Transporte.

Die Frankfurter Zeitung berichtet tags darauf im Innenteil in einer Kurzmeldung über den „Abschub unerwünschter polnischer Staatsangehöriger“ und schreibt, dass „einige Tausend polnische Staatsangehörige, die von den deutschen Behörden als unerwünscht angesehen werden, nach der polnischen Grenze abbefördert worden“ seien. Dass es sich ausschließlich um Juden handelt, erwähnt das Blatt nicht.

In der deutschen Öffentlichkeit erregt die Massenausweisung wenig Interesse. Von Protesten der Kirchen ist nichts bekannt. Die Inlandsabteilung des Geheimdienstes SD berichtet Ende Oktober aus Hannover: „Die Abschiebung von etwa 1.300 polnischen Juden wurde von der Bevölkerung fast nicht bemerkt.“ Dagegen heißt es für den SD-Abschnitt Süd-West, die Massenausweisung habe „beträchtliches Aufsehen“ hervorgerufen.

Eine Aktion ist von mörderischer Effizienz

Die weitgehend geräuschlose Ausweisung der Ostjuden hat den Nazis gezeigt, mit wie wenig Widerstand bei folgenden Aktionen zu rechnen ist. Der seit Jahrzehnten verfemten Minderheit innerhalb der drangsalierten jüdischen Minderheit weint kaum ein christlicher Bürger auch nur eine Träne nach.

Unter den Ausgewiesenen ist auch die Familie des in Paris lebenden 17-jährigen Herschel Gryn­szpan, ebenfalls Juden mit polnischer Staatsangehörigkeit, die in Hannover gelebt haben. Eine Schwester informiert Herschel Anfang November aus Polen über ihr Schicksal. Grynszpan besorgt sich eine Pistole, begehrt am 7. November Einlass ins deutsche Konsulat in Paris und schießt auf den Legationssekretär Ernst Eduard von Rath. Zwei Tage später, am 9. November 1938, stirbt der Diplomat an seinen Schusswunden.

Die Nazis nutzen den Mord zur Inszenierung der Pogromnacht. Kurz darauf werden etwa 30.000 jüdische Männer in ihren Wohnungen festgenommen, in Sammelstellen verfrachtet und von dort in die Konzentrationslager Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald gebracht. Dort werden sie zum Teil monatelang festgehalten, erniedrigt und gefoltert. Mindestens 400 Menschen kommen allein am 9./10. November ums Leben, Hunderte weitere sterben in den Konzentrationslagern.

Gedenken im Bundestag: Am 9. November wird der Bundestag der Revolution von 1918 und der Maueröffnung von 1989 gedenken. Dazu sprechen am Morgen Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Im Anschluss wird der Schauspieler Ulrich Matthes die Rede Philipp Scheidemanns zur Ausrufung der Republik von 1918 zitieren. (taz)

Die Aktion ist von mörderischer Effizienz. Die Nazis haben von der Ostjuden-Ausweisung gelernt, wie so etwas zu organisieren ist. Die deutschen Juden aber setzen nun alles in Bewegung, um aus ihrer Heimat, die zu einem Mörder-Staat geworden ist, zu flüchten. Juden dürfen, anders als Berti Bukspan ein paar Jahre zuvor, nicht mehr den Zoo besuchen, keine Badeanstalt mehr betreten und sie dürfen im Frankfurter Ostpark die Bänke nicht mehr benutzen.

Deportation für die SS zum Sonderpreis

Bald darauf, ab 1941, fahren wieder Züge von Deutschland nach Osten. Die Deutsche Reichsbahn besorgt die Deportation der deutschen und europäischen Juden in die Vernichtungslager effizient, pünktlich und für die SS zu einem Sonderpreis.

„Wir kamen nach Krakau. Dort gab es noch Familie von meinem Vater, aber die konnten uns nur moralisch helfen. Wer uns sehr geholfen hat, das war die jüdische Gemeinde. Die hat uns in Unterkünfte zum Schlafen verteilt und im Gemeindehaus hat man Essen bekommen. Wir waren drei Monate in Polen, dann haben wir neue Einreisezertifikate für Palästina bekommen. Wir sind mit der Bahn nach Constanța in Rumänien gefahren und dann mit dem Schiff nach Tel Aviv. Wir wurden ausgebootet. Es war kein richtiger Hafen. Da kamen Araber mit kleinen Booten, und man hat uns einfach vom Schiff in diese Boote hineingeworfen.“

Etwa 130.000 deutschen Juden gelingt die rechtzeitige Auswanderung nicht. Sie scheitern an Visa-Bestimmungen und Bürgschaften, an fehlenden Transit-Visa, an fehlendem Geld, an Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Behörden, zu hohen Wartenummern des US-Konsulats, verschlossenen Grenzen, wohin man schaut.

Sie sind ermordet worden, ebenso wie viele der mindestens 17.000 Juden, die 1938 nach Polen ausgewiesen worden sind und die nicht, so wie die Familie von Berti Bukspan, das Glück hatten, ein Einwanderungszertifikat zu erhalten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.