Politisches Theater in Dresden: Kein Zurücklehnen mehr

Pegida-Sprüche und ein Grundkurs in Arabistik: Mit einem Doppelschlag findet das Staatsschauspiel Dresden zu großem politischem Theater.

Szene aus „Graf Öderland“ von Volker Lösch am Schauspiel Dresden.

Szene aus „Graf Öderland“ von Volker Lösch am Schauspiel Dresden Foto: dpa

Kein Theater kommt an den anschwellenden Bocksgesängen, an den militanten Selbstvergewisserungsversuchen, an dem vorbei, was aus den immer noch fruchtbaren Schößen derzeit wieder kriecht. Am Dresdner Staatsschauspiel wird in besonderer Weise um Antworten und die passenden Mittel gerungen. Nach sechs Jahren verzweifeln Intendant Wilfried Schulz und seine Mannschaft spürbar an diesen bornierten Dresdnern.

Die neue Schärfe und politische Positionierung der letzten Spielzeit, bevor Schulz nach Düsseldorf wechselt, mutet auch wie eine Flucht nach vorn aus der eigenen Fassungslosigkeit an. Wenn man dazu einen Volker Lösch holt und nach vier Jahren den Dresdner Bürgerchor wieder zusammenruft, weiß man am Haus, was man will. Und wenn der Untertitel zur Stückvorlage von Max Frischs „Graf Öderland“ „Wir sind das Volk“ lautet, ahnt man schon, dass hier Pegida vorgeführt werden wird.

Doch eine Beschränkung darauf würde zu kurz greifen. Es geht um ein weit verbreitetes dumpfes Aufbegehren gegen einen Zustand der Agonie in „Öderland“, für das Frisch 1951 verblüffend treffende Worte fand: „… wo man aus Trotz lebt Tag für Tag, nicht aus Freude … es wächst uns die Muße nicht an Bäumen, die heitere, angstlose, freie …“

Es schwelt und raucht, flirrt und wabert in der Sprache und in den bedrohlichen Videohintergründe von Clemens Walter. Besonders im Osten Deutschlands kann man dafür Begriffe finden: Orientierungslosigkeit, Sinnleere, enttäuschte Hoffnungen und Versprechungen der vermeintlichen Wende zum Besseren. Der Bürgerchor berichtet leidenschaftlich vom Gefühlsstau, der sich gegen Flüchtlinge entlädt.

Eine Menetekel

Bei Max Frisch entdeckt ein Staatsanwalt seine Sympathie für einen Mörder, der scheinbar ohne Motiv, nur aus Frust, mordet. Der Staatsanwalt entdeckt dieselbe Leere in sich und wird zum Anführer der Unzufriedenen. Eine Parabel auf Machtergreifungsmechanismen und ein Menetekel, was passieren kann, wenn sich „Volk und Führer“ finden. Das Stück bietet das Gerüst für Pegida- und Soziologenzitate, eigene Chortexte und die wie 1989 „aus ihren Rollen“ tretenden Schauspieler, die sich erstaunlich bruchlos in diese Vorlage einfügen.

Völker Lösch vertraut bei üblen Pegida-Originalzitaten auf der Bühne immer noch auf resistente Keime eines aufgeklärten und wachen Bewusstseins der Zuschauer. Auf der anderen Seite setzt er auf Empathiefähigkeit, wenn er die Berichte über Misshandlungen Jugendlicher und die schlichte Antwort des Syrers Yussef auf wüste Flüchtlingsbeschimpfungen einfach für sich sprechen lässt.

Für sich sprechen auch die Schauspieler. Sie würden gern für viel mehr Dresdner sprechen als für jene, die am Schluss sechs Minuten stehend applaudierten. Die Hauptdarsteller Ben Daniel Jöhnk und Lea Ruckpaul appellieren mit Verve, endlich etwas zu tun, den „Soziologenblick“ zu verlassen.

Toleranz gegen Nazi-Gift

Annedore Bauer ätzt am unverblümtesten gegen 25 Jahre Ignoranz und schweigende Toleranz der CDU gegenüber dem Nazi-Gift, die der Radikalisierung Vorschub geleistet habe. Das kann man angesichts der Situation nicht als Agitprop abtun. Es ist auch kein Kabarett, wenn gegen Ende der Kommissar mit Sigmar-Gabriel-Bauch und der Innenminister im violetten Tantenkostüm der Kanzlerin auftreten. „Ihr gehört nicht zu uns!“, rufen sie, aber in welch selbstgefälliger Weise sie sich teils schon im Führerduktus vom „Pack“ distanzieren, schürt wiederum eher Empörung gegen „die da oben“.

Eine fulminante Inszenierung, zu der man sich verhalten muss, die kein bequemes Zurücklehnen auf der „Reservebank“ gestattet. Was ist, wenn die „Bewegung“, wie im Stück, tatsächlich zur Axt greift, der von Pegida schon beschworene Bürgerkrieg ganz Europa erfasste?

Ergänzung und schönsten Kontrast zugleich bot dann am Sonntag „Morgenland“ im intimen Rahmen der Bürgerbühne. Lasst doch die Araber, die uns so in Panik versetzen, einfach für sich sprechen, ließe sich das Konzept von Leiterin Miriam Tscholl formulieren. Sieben Akteure, als „Dresdnerinnen und Dresdner aus dem Orient“ angekündigt, teils Flüchtlinge, teils länger hier lebend, gehen in die Charmeoffensive.

Einladung zum Tee

Sie offerieren eine Art Schnupperkurs Orient, der zunächst einmal gängige Klischees auf die Schippe nimmt, mehr und mehr aber spielerisch informiert. Man sitzt zwanglos an runden Tischchen im Raum, trinkt schwarzen Tee und bekommt jeweils für fünf Minuten Besuch von einem der Akteure.

Die fetzen sich gelegentlich auch untereinander, wenn es etwa um Religion, die Rolle der Frauen oder vorehelichen Sex geht, und beweisen dabei viel emanzipierte Lockerheit und Selbstironie! Mehr hätte man sich von den Heimattelefonaten am Schluss gewünscht, in denen die Akteure ihre Beobachtungen über uns und unsere „seelische Trockenheit“ mitteilen. Ein heiterer Grundkurs Arabistik, wie er für jeden Pegida-Demonstranten verbindlich vorgeschrieben werden sollte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.