Politische Folgen der „Arabellion“: Revolten dauern manchmal länger

Bürgerkrieg in Syrien, Militärregierung am Nil: Es scheint, als sei beim Arabischen Frühling alles schiefgegangen. Doch der Streit ist noch nicht ausgefochten.

Anhänger der Muslimbruderschaft in Kairo: 2014 wird für die Umbrüche in der arabischen Welt ein entscheidendes Jahr werden. Bild: dpa

KAIRO taz | Es ist drei Jahre her, da machte am Kairoer Tahrirplatz ein Witz die Runde. „Jemand hat Mubarak erzählt, dass sich die Menschen von ihm verabschieden wollen. Und Mubarak fragt: Ja wo gehen sie denn hin?“ Ägyptens Präsident Mubarak ging. Das Volk blieb, zunächst voller Hoffnungen, inzwischen abgelöst von einer großen Portion Enttäuschung. Und auch im Westen machte bald das Wort vom Arabischen Frühling die Runde, der zur Eiszeit verkommen sei. Oft schwingt viel Häme mit, beim Blick auf unsere Nachbarn am südlichen und östlichen Mittelmeer. Und gerne wird unter dem, was dort passiert, das ultimative Urteil gefällt: Die Araber und Muslime kriegen es wieder nicht gebacken, sie sind demokratie-unfähig.

Es ist scheinbar alles schiefgegangen. In Syrien tobt der Bürgerkrieg, den weder Baschar Assad noch die Rebellen gewinnen. Das politisch polarisierte Ägypten befindet sich in der Sackgasse, in der die Militärs hoffen, wenigstens eine Friedhofsruhe herstellen zu können. In Libyen geben statt des Staates undurchsichtige Milizen den Ton an. Und auch Tunesien durchlebte ein turbulentes Jahr mit der Ermordung von Oppositionspolitikern und dem verzweifelten Versuch, eine Art nationaler Einheit herzustellen. Nur am Golf ist es ruhig, denn dort ist alles autokratisch regiert wie bisher.

Es ist eine Mär, zu glauben, dass politische und gesellschaftliche Prozesse der Logik von Jahreszeiten folgen. Die arabische Welt befindet sich mitten im Umbruch. Und es gibt dabei zwei wesentliche politische Konfliktlinien. Da ist einmal der Streit um die Rolle der Religion in der Politik zwischen Islamisten und Liberalen. Jahrzehntelang hatten die Diktaturen die Debatte mit Gewalt verhindert. Mit ihrem Sturz ist dieser Streit voll ausgebrochen, muss das wohl auch in seiner Heftigkeit, denn er ist überfällig.

Die arabischen Gesellschaften müssen aushandeln, welche Rolle die Religion im Staat, in der Politik und in der Gesetzgebung haben soll. Dabei gibt es zu dieser Frage nirgends einen gesellschaftlichen Konsens, sondern nur eine Polarisierung, an deren Ende aber ein Kompromiss stehen muss. Ob dies mit oder ohne blutiges Intermezzo geschehen wird, wird sich zeigen.

Ägypten, ein hoffnungsloser Fall?

Am weitesten sind beim Aushandeln dieses Konflikts die Tunesier gekommen, mit ihrem Versuch, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden und eine gemeinsame Verfassung zu schreiben. Hoffnungslos wirkt dagegen der Fall Ägypten, in dem die Muslimbrüder zunächst mithilfe ihres Wahlsiegs im Alleingang eine Verfassung schrieben und die andere Seite dabei völlig ausklammerten, und nun die andere Seite das Gleiche mithilfe von Panzern versucht.

Der arabische Wandel ist nach Jahren der Diktatur auch von einem großen Stück politischer Unerfahrenheit geprägt. Jede Seite glaubt, die andere über den Tisch ziehen zu können. Demokratisch ausgehandelte Kompromisse haben keinerlei Tradition.

Die zweite politische Konfliktlinie der arabischen Welt ist die zwischen Revolution und Restauration. Die alten Regime bestehen nicht nur aus einem Diktator, sondern auch aus einem alten System, das im Staatswesen und im Sicherheitsapparat tiefe Wurzeln geschlagen hat. Die Kräfte der Restauration sind wieder überall am Werk. Und deren wichtigster Sponsor sind die Golfstaaten, allen voran Saudi-Arabien, das kein Interesse an einem demokratischen Experiment in Nordafrika hat und dessen Albtraum eine islamistische Bewegung wie die Muslimbrüder ist, die durch Wahlen legitimiert ist. Nichts stellt das autokratische System Saudi-Arabien mehr infrage.

Diese beiden politischen Fronten liberal versus islamistisch und Restauration versus Revolution überlappen sich zum Teil in Ägypten. Bisher funktioniert dort die Vermarktungsstrategie der Restauration und des Sicherheitsapparats relativ gut, als vermeintliche Verteidiger der Freiheit wieder die Unfreiheit einzuführen. Aber auch hier tickt für die Restauration eine Zeitbombe. Denn die Menschen erwarten von Militär und Sicherheitsapparat, dass auch ihre wirtschaftlichen Probleme gelöst werden und eine Perspektive für mehr Fairness eröffnet wird. Das neue Prinzip der Rechenschaftspflicht wird früher oder später auch die Restauration wieder einholen.

Skrupellose Regime

Denn die alten restriktiven Regime waren auf Angst gebaut und diese haben die Menschen inzwischen verloren. Das gilt aber auch für die Regime, die wie im Falle Syriens und Ägyptens immer skrupelloser werden und die auch nichts mehr darum geben, wie auf internationaler Ebene über sie gedacht wird. Auch sie haben ihre Angst verloren. Das wiederum führt dazu, dass der Westen im arabischen Umbruch nur als Zaungast zuschauen kann. Man kann sich dort nicht so recht entscheiden. Unterstützt man die durch Wahlen legitimierten Islamisten oder die Liberalen, deren Werte dem Westen näherstehen, die aber nur mithilfe der Armee genug politisches Gewicht bekommen haben? Entscheidet er sich für das legitimierte Gestrige oder die Liberalen auf dem Panzer?

Restauration und Liberale sind inzwischen so miteinander verwoben, das sie nur schwer als positives Gegengewicht zu den Islamisten dienen können. Also laviert der Westen und versucht sich alle Türen offen zu halten. Die neuen Player sind ohnehin die Regionalmächte Iran, die Türkei und Saudi-Arabien. Letztere, vermeintliche Bündnispartner des Westens, verfolgen ihre eigenen Interessen und haben beispielweise den Konflikt in Syrien zum regionalen Stellvertreterkrieg umgewandelt. Wenn es dafür eine Lösung gibt, dann liegt der Schlüssel nicht in Washington, Moskau oder Europa, sondern in Teheran, Ankara und Riad. Vielleicht ist mit der Machtlosigkeit des Westens in diesem arabischen Umbruch auch das wirkliche Ende des Kolonialismus gekommen, dessen Wesen es immer war, die Region in Einflusssphären aufzuteilen.

2014 wird für diese arabischen Umbrüche ein schwieriges, aber auch ein entscheidendes Jahr werden. Es wird turbulent werden und sicherlich auch blutig. Die Tunesier werden weiter an ihrer nationalen Einheit arbeiten, auch weil sie das abschreckende Beispiel der ägyptischen Polarisierung vor sich haben. Die Ägypter wiederum schreckt das Beispiel Syrien, und sie werden alles tun, dass die Polarisierung nicht in einem Bürgerkrieg endet.

Und die Syrer: Sie stellen derzeit das Ende der Abschreckungskette dar, mit der Gewissheit, am Tiefpunkt angelangt zu sein, der allerdings noch lange andauern kann. Diesen Monat haben die Vereinten Nationen verkündet, dass sie die syrischen Toten nicht mehr zählen können. Bisher sind die Syrer ohne Namen gestorben, nun ist ihr Tod nicht mal mehr eine Zahl.

Der arabische Umbruch ist blutig, turbulent, instabil, und die politischen Akteure sind politisch unerfahren. Die Reibungsflächen zwischen Liberalen, Islamisten, Revolution und Restauration laufen heiß. Aber es bleibt ein Umbruch, und das ist das Gegenteil von Stillstand. Auf Arabisch heißt es: „El Haraka Baraka“ – „in der Bewegung liegt der Segen“. Weswegen auch hier kein arabischer Schlussstrich gezogen werden kann.

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Auch Jahre nach Beginn des „Arabischen Frühlings“ reißen die Massenproteste nicht ab. Ein ganzes Jahrzehnt ist tief durch die Arabellion geprägt. Im Schwerpunkt-Dossier „Zehn Jahre Arabischer Frühling“ berichten taz-Korrespondent*innen und Gastautor*innen aus den Umbruchsländern vom Maghreb über Nordafrika bis nach Syrien, den ganzen Nahen Osten und die arabische Halbinsel.

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