Politische Debatte um „Reichsbürger“: „Knallharte Neonazis, sonst nichts“

Sollten „Reichsbürger“ besser überwacht werden? Der Verfassungsschutz prüft eine Neubewertung, die Länder wollen Waffenscheine einziehen.

Ein weißes Hemd, auf dem Königreich Deutschland steht

Mit eigenem Merchandising und Slogan: „Königreich Deutschland“ Foto: dpa

BERLIN taz | Es wird ungemütlich für die „Reichsbürger“. Nach dem mutmaßlichen Mord an einem Polizisten wird gegen die Szene härter vorgegangen. Der SEK-Beamte war in der Nacht auf Donnerstag seinen Verletzungen erlegen, nachdem der „Reichsbürger“ Wolfgang P. aus dem bayerischen Georgensgmünd am Vortag auf ihn und drei weitere Beamte geschossen hatte.

Eine „entsetzliche Nachricht“ nannte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) den Todesfall. Er beauftragte den Verfassungsschutz, dessen bisherige Bewertungen über „Reichsbürger“ zu überprüfen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) kündigte an, die Szene stärker zu überwachen. Allen „Reichsbürgern“, die legal eine Waffe besäßen, müsse diese entzogen werden.

Aus dem Bundestag gab es Kritik, dass solche Überprüfungen nicht längst erfolgten. Der SPD-Innenexperte Uli Grötsch sagte: „Wir müssen es endlich beim Namen nennen: Das sind knallharte Neonazis, sonst nichts.“ Damit gehörten „Reichsbürgern“, wie allen anderen Rechtsextremen auch, ihre Waffen sofort entzogen.

Vor zwei Jahren hatte der Verfassungsschutz bei einer Länderabfrage festgestellt, dass bundesweit rund 400 Neonazis einen Waffenschein besitzen. Aktuelle Zahlen gibt es nicht. Die Behörden können den Schein einziehen, wenn der Besitzer als „unzuverlässig“ gilt – so wie es im Fall Wolfgang P. der Plan war.

Wegen versuchten Totschlags in der JVA

NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) sagte, auch seine Behörden prüften einen Entzug von Waffenscheinen bei „Reichsbürgern“. „Waffen gehören nicht in die Hände erklärter Staatsfeinde.“ In NRW zählt der Verfassungsschutz eine „niedrige dreistellige Zahl“ an „Reichsbürgern“.

Auch Brandenburg, mit mehr als 300 Anhängern eine der Hochburgen der Szene, prüft einen Waffenentzug der „Reichsbürger“. „Wo wir einen Besitz feststellen, sehen wir zu, diesen zu untersagen“, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Die „Reichsbürger“ zeigten zuletzt „eine klare Tendenz Richtung Rechtsextremismus“. „Auch treten sie zunehmend aggressiv auf. Das ist eine ernste Gefahr.“

Die Szene verteidigt die Tat: Wolfgang P. habe aus „Notwehr“ geschossen

Bereits Ende August hatte ein „Reichsbürger“ in Sachsen-Anhalt auf Polizisten geschossen, der frühere „Mr Germany“ Adrian Ursache. Die Beamten wollten eine Zwangsräumung durchsetzen, zwei wurden leicht verletzt. Ursache, der seinen eigenen Staat „Ur“ ausgerufen hatte, sitzt wegen versuchten Totschlags in der JVA Leipzig in U-Haft.

Erst am vergangenen Wochenende hatten „Reichsbürger“ dort für seine Freilassung demonstriert: Ursache werde „ohne Rechtsgrundlage durch die BRD gefangen gehalten“. Auch die Tat von Wolfgang P. wird in der Szene verteidigt. „Notwehr“ sei diese gewesen, heißt es in Internetgruppen der Szene. P. sei schließlich „ohne rechtliche Grundlage überfallen“ worden.

Die Szene ist äußerst zersplittert

Die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic kritisierte, die „Reichsbürger“ würden seit Jahren verharmlost, obwohl teils „ganze Waffenlager ausgehoben wurden“. Gerade dem Bundesverfassungsschutz fehle hier „bisher jede Sensibilität“.

Tatsächlich wird die Szene nur von den Landesämtern für Verfassungsschutz überwacht. Dort habe man sie aber im Blick, wie es aus diesen Reihen am Donnerstag hieß. „Es erscheint uns sinnvoll, die Beobachtung der Reichsbürgerbewegung auszuweiten“, sagte dennoch Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer. „Dies ist nötig, um das Gesamtlagebild weiter zu verdichten und die Gefährdungseinschätzung zu konkretisieren.“

Das Problem für die Sicherheitsbehörden: Die Szene ist äußerst zersplittert. Die Reichsbürger organisieren sich in vielfältigen Fantasiestaaten, bestreiten aus unterschiedlichsten Gründen die Existenz Deutschlands.

Dennoch gibt es Bezüge zueinander. Immer wieder Treffen „Reichsbürger“ auf Demonstrationen aufeinander. Und auch Wolfgang P. etwa solidarisierte sich mit Adrian Ursacher. Von „Unrechtstätern“ sei dieser „angegriffen“ worden, teilte der P. einen Internetbeitrag. Einen Tag später zog er selbst eine Waffe.

Inzwischen prüft die Bundesanwaltschaft, ob dessen Schüsse in ihre Zuständigkeit fallen. „Wir haben den Fall im Blick“, sagte ein Sprecher der taz.

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