Polit-Krimi zur Islamismusdebatte: Dann brennt eine Moschee

Deutschland nach einem Anschlag: Der Roman "Radikal" von Yassin Musharbash erzählt von Islamisten und Islamhassern in Berlin. Ein leider brandaktueller politischer Krimi.

Brennpunkt Berlin. Bild: mimo7985 / photocase.com

Dies ist ein politisches Buch. Äußerlich kommt "Radikal", der Debütroman von Yassin Musharbash, wie ein Krimi daher. Ein gut geschriebener dazu. Mit gut gesetzten Irreführungen und Cliffhangern gelingt es Musharbash, den Leser über die knapp 400 Seiten zu fesseln.

Doch es geht ihm offensichtlich nicht nur um spannende Unterhaltung. "Radikal" erzählt von Islamisten und Islamhassern. Von einem Attentat auf einen Bundestagsabgeordneten. Musharbash veranschaulicht, was ein Terroranschlag in Deutschland auslösen könnte. Und leitet dies ab aus längst vorhandenen Strukturen. Das macht den Krimi zu einem politischen, leider brandaktuellen Buch.

Die Geschichte spielt im Berlin von heute. Sie strotzt nur so vor aktuellen Bezügen. Der Tod von Osama bin Laden findet genauso Erwähnung wie die Ehec-Epidemie, die Ende Mai die Republik beschäftigte. Das Berlin im Buch unterscheidet sich von der realen Hauptstadt nur in einem Punkt. Musharbashs Protagonisten agieren kurz nach vorgezogenen Neuwahlen.

Der Obama von Kreuzberg

Diese Fiktion schafft Platz für den Protagonisten des Buches. Lutfi Latif, ein studierter, eloquenter Kreuzberger, Harvard-Absolvent und Kolumnist der New York Times. Oder wie es im Buch heißt: "der Shootingstar der weltweiten Gemeinschaft der Exilmuslime. Zumindest derer, die im Westen leben". Latif zieht für die Grünen in den Bundestag ein – und wird zum Liebling der Medien, die ihn zum "Obama von Kreuzberg" hochstilisieren, auch weil er "genau wie der US-Präsident mit einer Anwältin verheiratet war und zwei Töchter hatte". Bald schon ist Latif als Deradikalisierungsbeauftragter der kommenden Bundesregierung im Gespräch.

Doch dann explodiert eine Bombe bei einer Sendung des Frühstücksfernsehens, bei der Latif zu Gast ist. Es gibt zahlreiche Tote. Schnell, sehr schnell werden die Attentäter von Politik und Medien einsortiert: Al-Qaida ist verantwortlich. Schließlich gibt es sogar ein Bekennervideo.

Musharbash hat seinen Roman im Juni beendet. Als Anders Behring Breivik Ende Juli in Oslo 76 Menschen tötete, lagen die Rezensionsexemplare von "Radikal" bereits in den Redaktionen. So belegte der Anschlag in Norwegen auf gruselige Weise, wie nah Musharbash mit seiner Fiktion der Realität gekommen ist. Auch nach dem Attentat in Oslo waren sich Terrorismusexperten der hiesigen Medien binnen wenigen Stunden einig, dass nur al-Qaida dahinterstecken könne. Und dann war doch alles ganz anders.

Musharbash weiß, wovon er spricht. Der 36-Jährige gehört selbst zu diesen Experten. Vor fünf Jahren erschien sein Sachbuch "Die neue al-Qaida. Innenansichten eines lernenden Terrornetzwerks". Hauptberuflich arbeitet er als Redakteur bei Spiegel Online, Spezialgebiet: Terrorismus.

Umso mehr sind Leser geneigt, Musharbashs Schilderungen von Netzwerken der Islamisten in Deutschland für bare Münze zu nehmen. Auch seine Schilderung von Hahnenkämpfen in der Redaktion eines fiktiven deutschen Nachrichtenmagazins gewinnen vor seinem beruflichen Hintergrund besonderen Reiz.

Thilo heißt hier Enzo

Im Fokus der Geschichte steht aber weniger der Terrorismus der Fremden aus dem Osten als die Macht der heimischen Islamhasser. Sumaya, die junge Mitarbeiterin des Bundestagsabgeordneten, und vor allem ihr Freund, ein klandestin arbeitender Islamismusexperte, erkunden das Netzwerk radikaler Islamgegner, die keineswegs nur am spinnerten Rand der Gesellschaft zu finden sind. So ist es nur konsequent, dass auch Thilo Sarrazin in der Figur des Enzo Graether Erwähnung findet.

En passant gewährt Musharbash, dessen Vorfahren zum Teil aus Jordanien stammen, Einblick in die Weltsicht junger gebildeter Muslime in Berlin. Doch die naheliegende Lösung, alles in Schwarz-Weiß zu beurteilen, umgeht er geschickt. Eher liegen ihm die Zwischentöne, die Brüche. Etwa wenn er Sumaya, deren Familie aus Palästina stammt, durch die Oranienburger Straße in Berlin-Mitte schlendern lässt, eine Touristenmeile, an der es ihrer Meinung nach nur ein einziges schönes Gebäude gibt: die Synagoge. Oder wenn ihr Freund, der Islamismusexperte, den islamophoben Aktivisten nahekommt. Räumlich, personell. Argumentativ.

Dann brennt eine Moschee. Ein Kommissar torpediert seine Ermittlungen. Und eine Journalistin verhindert einen Text. "Es gab keine Helden in dieser Geschichte", heißt es kurz vor Ende. "Sie hatten sich in den Halbschatten zerren lassen."

Yassin Musharbash: "Radikal". Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011, 400 Seiten, 14,99 Euro

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