Pflegeskandal in Franken: Rechtsfreier Raum im Heim

Im unterfränkischen Gleusdorf wurden die Geschäftsführer einer Seniorenresidenz wegen Verdacht auf Totschlag in Haft genommen.

Ein Haus im Dunkeln

Im Dunkeln: die Seniorenresidenz Schloss Gleusdorf in Bayern Foto: dpa

MÜNCHEN taz | Der Fall könnte Signalwirkung entfalten für den Umgang mit Missständen und Straftaten in Pflegeheimen: Im unterfränkischen Gleusdorf haben Staatsanwaltschaft und Polizei auf eine Art und Weise durchgegriffen, die ihresgleichen sucht. Wegen des „dringenden Tatverdachts des Totschlags“ wurden die Geschäftsführer und der Pflegedienstleiter der Seniorenresidenz Schloss Gleusdorf in Haft genommen. Es kam zu weitreichenden Durchsuchungen, die auch einen Arzt betreffen, gegen den ein Verfahren wegen „Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse“ eingeleitet ist, so die Staatsanwaltschaft in einer Mitteilung.

In dem Heim mit 70 Bewohnern soll es zu 5 bis 6 Todesfällen gekommen sein, die womöglich Totschlag waren. Die Ermittler berichten von fehlerhafter medizinischer Versorgung, unterbliebener ärztlicher Behandlung und nicht erfolgter Einweisung ins Krankenhaus. Konkret benennen sie den Fall eines Bewohners, für den nach einem Sturz mehrere Tage lang kein Arzt geholt wurde, obwohl sich sein Zustand drastisch verschlechterte. Deshalb starb der Mann.

Ist Gleusdorf, 60 Kilometer östlich von Schweinfurt gelegen, ein Einzelfall? Der bekannte Münchner Pflegekritiker Claus Fussek glaubt das nicht. „So etwas spielt sich möglicherweise jeden Tag irgendwo in Deutschland ab“, sagte er der taz. „Die Pflegeheime stellen weitgehend rechtsfreie Räume dar.“ Heimbewohner seien „hilflose, ausgelieferte Menschen“. Dass nun tatsächlich einmal Verantwortliche inhaftiert werden und gegen sie auf diese Weise ermittelt wird, hat Fussek „bisher noch nicht erlebt“. Bemühungen bei früheren ähnlichen Verdachtsfällen seien bisher im Sand verlaufen.

Die Misshandlungen und vermuteten Straftaten kamen durch zwei Anzeigen ans Licht. Im Laufe der Ermittlungen erhärtete sich dann auch der Verdacht des Totschlags durch Unterlassung, Behandlungsunterlagen und Dienstpläne wurden beschlagnahmt, ein medizinischer Sachverständiger wurde hinzugezogen. Weitere Auskünfte will der zuständige Sprecher der Staatsanwaltschaft Bamberg derzeit nicht geben, die Ermittlungen würden noch dauern.

Im Bayerischen Rundfunk erzählte eine ehemalige Pflegekraft der „Seniorenresidenz“, dass der Pflegedienstleiter einem Bewohner in ihrer Anwesenheit Insulin gespritzt habe. Zwei Minuten später sei der Mann tot gewesen. Der Leiter habe die Pflegerin bedroht: „Wenn du einem was sagst, erlebst du dein blaues Wunder.“

In der Region melden sich nun mehr und mehr ehemalige Beschäftigte des Heims und Angehörige ehemaliger Bewohner, die von Ungereimtheiten und Misshandlungen berichten. Die dem Landratsamt unterstellte Heimaufsicht hatte als Kontrollbehörde bei ihren Besuchen bisher keine schwerwiegenden Mängel entdeckt. Immer wieder wird aber – nicht nur im Fall Gleusdorf – berichtet, dass Heime vor Besuchen informiert werden.

Die „Seniorenresidenz“ werde nun häufiger stichprobenartig kontrolliert, sagte die Sprecherin des zuständigen Landratsamts. Weiter sind 70 Bewohner in dem Heim untergebracht – alte Menschen sowie ehemalige Drogen- und Alkoholabhängige. Gegenüber Medien erteilt das Haus keine Auskunft.

Für den Sozialpädagogen Fussek, der sich seit 20 Jahren gegen Missstände in Heimen einsetzt, tragen auch das Personal und die Angehörigen eine Mitschuld. „Alle müssen ihrer Verantwortung nachkommen“, sagt er und meint: „In Deutschland fehlt eine Art Amnesty oder Pro Asyl für Alte.“

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