Petra Pau über rechten Terror in Freital: „Wir haben ein größeres Problem“

Der Generalbundesanwalt sollte bei rechtem Terror schneller eingreifen, sagt Petra Pau. In Deutschland gebe es eine Situation wie Anfang der 90er-Jahre.

Eine Deutschland-Fahne hängt vor einem Haus in Freital.

Ist das nur noch Patriotismus? Deutschlandfahne in Freital Foto: dpa

taz: Frau Pau, die Leute, die in Freital verhaftet wurden, sind nach unseren Recherchen größtenteils nicht als organisierte Rechtsextreme bekannt geworden, stehen jetzt aber unter Terrorverdacht. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht?

Petra Pau: Das zeigt, dass wir ein weit größeres Problem haben, als die Kommunalpolitiker vor Ort, aber auch Polizei und Öffentlichkeit bisher sehen. Wir haben ja nicht nur in Freital Bürgerwehren, die Keimzellen rechtsterroristischer Strukturen sein könnten. Das ist in den letzten Jahren nicht nur unterschätzt, sondern auch verharmlost worden – trotz der Erfahrung mit dem NSU.

Wie beurteilen Sie konkret die Ereignisse in Freital?

Obwohl es in Freital wöchentlich, manchmal sogar täglich Übergriffe gegeben hat, haben ein Jahr lang weder Polizei noch andere Druck gemacht. Man hat nicht gesehen, welche Gefahr es für Leib und Leben von Menschen gab. Ich hoffe, dass die Übernahme des Ermittlungsverfahrens durch den Generalbundesanwalt und auch das Agieren von Bundespolizei und BKA eine Signalwirkung entfaltet.

Welche?

Wir wissen aus Erfahrung, dass nur, wenn Täter eine ernsthafte Konsequenz fürchten müssen, Nachahmer abgeschreckt werden. Wir haben eine Situation wie Anfang der 90er Jahre: Straflosigkeit bei schwersten Straftaten ermutigt Täter und ihre Sympathisanten immer wieder. Deshalb sehe ich Freital auch nicht isoliert. Wir haben auch Bautzen, Nauen, Wuppertal, wo übrigens auch Leute, die vorher nicht in rechten Strukturen organisiert waren, sich über Facebook- oder Whatsapp-Gruppen zu Straftaten verabredet haben.

Agiert der Generalbundesanwalt entschlossen genug? Bis er Freital an sich gezogen hat, hat es gedauert, andere Fälle – wie Nauen – wurden geprüft und nicht übernommen.

Die 52-Jährige ist Abgeordnete der Linkspartei und Vizepräsidentin des Bundestages. Pau war Obfrau ihrer Fraktion im ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags und ist dies auch beim zweiten.

Spätestens nach dem NSU sollten Generalbundesanwalt (GBA) und auch die örtlichen Staatsanwaltschaften konsequenter und schneller eingreifen. Ich verstehe nicht, warum sich der GBA nicht auch um Nauen kümmert. Dort gibt es seit Monaten sowohl eine rechtsextreme Drohkulisse als auch konkrete Straftaten, schwerste Brandstiftungen und Bedrohungen von Menschen. Im vergangenen Jahr gab es eine Gesetzesänderungen, die das Eingreifen des GBA schneller möglich macht. Er wäre gut beraten, sich den im ganzen Land vorhandenen und entstandenen rechtsterroristischen Strukturen zuzuwenden.

Sie sehen im ganzen Land rechtsterroristische Strukturen?

Ausgangsbedingungen für neue rechtsterroristische Strukturen sind längst an vielen Orten in Deutschland gegeben: Nazis, Rassisten, die sich durch die Brandreden von AfD- und CSU-Politikern und Nein-zum-Heim-Mobilisierungen legitimiert fühlen, schwerste Straftaten zu begehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.