Petition für sexuelle Selbstbestimmung: Gleiches Recht für jedes Geschlecht

Die Bundesvereinigung Trans* sammelt Unterschriften für das dritte Geschlecht – ohne Attest. Die Petition starteten sie vor dem Bundestag.

Eine Menschenmenge steht vor dem Bundestag. Sie halten eine Regenbogenflagge und Banner hoch. Die Menschen lächeln in die Kamera.

Eine kunterbuntes Bild: Seit 2015 macht sich der BVT* für mehr sexuelle Selbstbestimmung stark Foto: Tim Lüddemann

BERLIN taz | Markus Marielle Hirtz steht vor dem Bundestag. Es ist heiß. Er hält sich am hölzernen Pult fest und beginnt zu reden. Laut. Entschlossen. Hinter ihm, auf dem Rasen, eine meterlange Regenbogenflagge. „Wir fordern die Bundesregierung auf, den Entwurf zurückzuziehen, uns zu respektieren. Wir wollen Selbstbestimmung!“. Aus der bunten Menge kommen Applaus und Rufe der Begeisterung. Es ist der Auftakt einer Petition der Bundesvereinigung Trans* e.V. (BVT*). Der Auftakt eines Kampfs, für mehr Selbstbestimmung und Vielfalt.

Die BVT* sammelt Unterschriften. Stimmen, die sich gegen den Referentenentwurf der Bundesregierung zum dritten Geschlecht, und für mehr Freiheit aussprechen. Hirtz ist in der AG Lobby der Vereinigung und stellte den Auftakt gemeinsam mit vielen anderen Freiwilligen auf die Beine. In dem Entwurf, erläutert die Bundesregierung, dass zukünftig ein dritter Geschlechteseintrag möglich sein soll. Wer sich jedoch offiziell einem alternativen Geschlecht zuordnen lassen will, benötigt dafür ein ärztliches Attest. Hirtz kann darüber nur den Kopf schütteln: „Wir reden hier doch von Menschen, nicht von Kranken.“

Hirtz hat ein freundliches Gesicht, begrüßt jeden mit einem Lächeln. Vertreter*innen anderer Organisationen und Verbände sind gekommen. Unter anderem der LSVD und die Aktion Standesamt sind vor Ort. Gemeinsam sind sie ein bunter Fleck auf der Wiese vor dem Bundestag. Zwischen den Regenbogenflaggen und Plakaten stehen viele, die sich aus dem Gebäude mit der Glaskugel auf den Weg machten. Vertreter*innen der Linken, der SPD, der FDP und den Grünen. „Die anderen zwei Parteien schaffen wir auch noch“, sagt Hirtz und lacht.

Neben dem Redner*innenpult stehen Hirtz' Mitstreiter*innen Josh und Yan. Sie halten eine Flagge in den Farben der BVT*. Auf den blauen, rosa und weißen Streifen steht in schwarzen Lettern „Selbstbestimmung“ geschrieben. Hirtz Stimme wird energischer. Er zeigt auf ein Plakat links neben ihm. Dort steht ein Auszug des Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung: „Wir respektieren geschlechtliche Vielfalt. Alle Menschen sollen unabhängig von ihrer sexuellen Identität frei und sicher leben können – mit gleichen Rechten und Pflichten.“ Hirtz holt tief Luft und fragt „Sehr geehrte Bundesregierung, wieso handelt ihr nicht nach euren eigenen Worten?“, bevor er das Wort übergibt.

Zwischen Regenbogenflaggen und Plakaten

Sven Lehmann war bis Anfang 2018 Landesvorsitzender der Grünen NRW. Der Bundestagsabgeordnete dankt seinem Vorredner, dankt der BVT* für ihren Einsatz. Er erzählt von einem Angriff auf eine transsexuelle Studentin in Leipzig. „Solche Übergriffe sind leider keine Einzelfälle, es muss sich etwas ändern“, sagt das Bundestagsmitglied entschlossen. „Wäre Herr Seehofer nicht so viel damit beschäftigt zurückzutreten, und vom Rücktritt zurückzutreten, dann hätte er Zeit sich das Grundgesetz durchzulesen. Dort steht, dass die Würde des Menschen unantastbar ist.“

Diese Würde sehen Lehmann und seine Parteikolleg*innen verletzt. „Kinder sollen nicht zwangsoperiert werden dürfen, sie sollen später selbst entscheiden können. Niemand weiß besser, wer er ist und wer er sein will, als der Mensch selbst.“ Jens Brandenburg, aus der Bundestagsfraktion der FDP stimmt ihm zu: „Gemeinsam müssen wir uns gegen die Fehler des Innenministeriums stark machen – und das Fraktionsübergreifend.“

Markus Marielle Hirtz

„Sehr geehrte Bundesregierung, wieso handelt ihr nicht nach euren eigenen Worten?“

In der Menge steht Kaspar Schumacher. Seine Schuhe fallen sofort ins Auge, denn die Schnürsenkel haben die Farben des Regenbogens. Auf seinem Arm hat es sich sein Hund Antonio gemütlich gemacht. An sein Bein gelehnt steht ein Schild: „Warum sollen meine Eltern über meinen Körper entscheiden dürfen?“

Diese Aussage hat für ihn eine ganz persönliche Bedeutung: „Ich musste damit warten ich selbst zu sein, bis ich 18 war. Meine Eltern wollten viele Dinge nicht unterschreiben. Das war einfach ein scheiß Gefühl.“ Schumacher betrifft die dritte Option nicht, sagt er. Doch viele seiner Freund*innen würden darunter leiden, sich weder dem Geschlecht Mann, noch Frau zuordnen zu können. Für sie setzt Schumacher seine Unterschrift auf den Petitionsbogen.

Es gibt nicht nur Blau und Rosa

Es müsse sich noch vieles ändern, findet er. „Besonders in den gesetzlichen Regelungen für transsexuelle Minderjährige muss sich etwas tun.“ Schumacher kämpft dafür, dass trans- und intersexuelle Minderjährige geschützt werden, und die Eltern mehr Unterstützung erhalten. „Es geht um das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen“, sagt er entschlossen.

Hirtz rollt die Regenbogenflagge ein. Er ist begeistert von den Redner*innen und den Menschen, die kamen, um ihre Unterschrift dazulassen. Ihre Stimme für mehr Selbstbestimmung und Vielfalt. Man müsse für sich selbst und seine Rechte einstehen, erklärt Hirtz, man dürfe nicht darauf warten, dass dies ein anderer übernimmt. „Es wird ein heißer Herbst“, sagt er. Sein Blick wandert Richtung Bundestag. „Wir werden kämpfen.“

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