Petition für Verkehrshelfer in Newcastle: Ja zu Rentnern mit Lutscher

Newcastle muss sparen. Und will daher in Zukunft auf Schülerlotsen – die sogenannten „Lollipop People“ – verzichten. Und was wird aus den Kindern?

Eine „Lollipop Woman“ – Sheila Gallagher – vor St. Paul's Cathedral in London Foto: CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Fünfzehn Jahre lang stand Michele Armstrong an der Kreuzung Brunton Lane und Fawdon Walk im nordenglischen Newcastle. Als Lollipop Lady sorgte sie dafür, dass die Kinder sicher in ihre Grundschule Kingston Park gelangten. Nun will der Stadtrat von Newcastle Armstrong und die anderen Lollipop-Leute einsparen. Das wollen die Eltern der Schulkinder mit einer Petition verhindern.

Ein Lollipop ist ein Lutscher. Der Spitzname für die Lotsen wurde vom Bauchredner John Bouchier erfunden, der in den Sechzigern mit seiner Puppe Charlie Schulen besuchte, um den Kindern Verkehrsregeln beizubringen. Der Lotsenstab mit dem runden Stoppschild erinnerte ihn an einen Lutscher.

Der Begriff ist allemal schöner als das offiziell ausgemusterte deutsche Wort Schülerlotse. Heute ist von Verkehrshelfern die Rede, weil sie nicht mehr nur für Schulwege eingesetzt werden, sondern auch bei Großereignissen wie Fußballspielen. Anders als in England, wo das Lutschervolk meist schon im Rentenalter ist, dürfen in Deutschland bereits Elfjährige lollipoppen.

Ein weiterer Unterschied ist, dass die englischen Kollegen – wenn auch miserabel – bezahlt werden. Die Stadtverwaltung von Newcastle hat daher Anfang Oktober beschlossen, die Schülerlotsen zu entlassen. Dadurch spare man 212.000 Pfund im Jahr. Der Stadtrat habe keine andere Wahl, sagt Newcastles Bürgermeister Nick Forbes. Die Regierung in London habe „die Stadt aufgegeben“, Newcastle müsse 70 Millionen Pfund bis 2020 einsparen. Ab dann habe die Stadt Müllabfuhr, öffentliche Büchereien, Straßenreinigung und Sozialarbeiter selbst zu bezahlen. Und eben Lollipopper. Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2000 dürfen die Bezirksverwaltungen auf sie verzichten. So soll es in Newcastle nun kommen.

„Road Rage“ gegen Rentner

Unbezahlte Freiwillige dürfen den Job aus Versicherungsgründen nicht übernehmen. Als eine Gruppe von Eltern dem Stadtrat anbot, die Kosten für eine Schülerlotsin selbst zu übernehmen, hieß es, dass dafür 55.000 Pfund fällig würden. 47.000 Pfund davon seien Verwaltungsgebühren.

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„Lollipopper haben es nicht leicht“, sagt Elaine Gadomski, eine der Initiatorinnen der Petition für Michele Armstrong. „Sie wäre trotz ihrer fluoreszierenden gelben Jacke mehrmals fast überfahren worden, weil die Kreuzung unübersichtlich ist und die Autos die Warnschilder gerne ignorieren“, sagt sie. „Die Kreuzung ist gemeingefährlich. Auf dem Weg zur Schule gibt es einen toten Winkel, und trotzdem kommen die Autos um die Ecke gerast. Wegen der Büsche kann man auch die Autos auf der Gegenfahrbahn nicht sehen.“

Hinzu komme oftmals Road Rage, also die Wut von Autofahrern, die ausrasteten, wenn sie von Rentnern mit Lutschern aufgehalten würden. Knapp 1.400 Fälle werden im Durchschnitt jedes Jahr in England gemeldet.

Es gab zudem immer wieder einmal Vorfälle, die den Lollipop People Aufmerksamkeit zuteil werden ließen. Voriges Jahr etwa wurde ein Lutscher-Mann entlassen, weil er eine Feuerwehr im Einsatz seelenruhig warten ließ, bis fünf Feuerwehrleute ihn von der Straße trugen.

Die neuen Milchmänner

Die Petition für Michele Armstrong ist bisher von nahezu 40.000 Menschen unterzeichnet worden. Es gibt weitere Petitionen für Lollipop-Leute in Newcastle – zum Beispiel für Dave, den „winkenden Lollipop Man“, 71 Jahre alt. Oder für Carol Frampton, die „irgendwie schon immer vor der Walkergate-Grundschule“ in Newcastle gestanden und den 500 Kindern über die Straße geholfen habe, wie Elaine Gadomski sagt.

Newcastle spart und fängt bei den „Lollipop People“ – in Deutschland bekannt als Schülerlotsen – damit an. Eltern finden das falsch.

Das wollen die Initiatoren dieser Petition: dass die Lollipopper weiter beschäftigt werden.

Das wollen sie nicht: dass sie entlassen werden.

Das wollen sie eigentlich: dass ihre Kinder nicht unter Autos geraten.

Zu finden unter: thepetitionsite.com

„Wenn es so weitergeht, gehören Lollipop-Leute bald ins Reich der Folklore“, sagt sie. Heutzutage müsse man Kindern den Hit „No Milk Today“ der Beatband Herman’sHermits erklären, weil es keine Milchmänner mehr gebe. Spätere Generationen werden „The Lollipop Man“ nicht verstehen, mit dem die Rockband The Sweet dem Lutschervolk ein Denkmal gesetzt hat: „Du gehst auf die Mädchenschule / Und ich gehe auf die Jungsschule / Wir sind getrennt durch den Lollipop Man / Ich muss die Straße überqueren / um dich zu treffen / Deshalb muss ich am Lollipop Man vorbei.“

Aus und vorbei. Jedenfalls in Newcastle, sofern die Petitionen das nicht verhindern.

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