Performance mit und ohne Brille: Theater des Verschwindens

In "We disappear" lässt Alexander Giesche als Artist in Residence des Bremer Theaters einen Dramaturgen hilflos blinken

Noch ist Tarun Kade zu erkennen. Bild: Landsberg/Bremer Theater

BREMEN taz | Vielleicht wäre es prinzipiell sogar möglich, Alexander Maximilian Giesches Performance „We disappear“ als Dramatisierung des zehnten Kapitels von Michel Foucaults „Ordnung der Dinge“ zu sehen. Uraufführung war im Herbst in München. Jetzt hatte die Arbeit des Artist in Residence am Theater Bremen Premiere. Und darin bringt er zum Beispiel, ganz am Ende, den Dramaturgen Tarun Kade zum Verschwinden.

Der hat sich zuvor als eine Art 3-D-Version des vitruvianischen Menschen in eine durchsichtige Aufblaskugel gezwängt hat: Er bleibt zwar an Ort und Stelle, verschwindet aber doch, indem sich nämlich die Kugel allmählich mit Bühnennebel füllt. Zum Schluss ist sie milchglasweiß. Und an Kade erinnert nur das hilflose Blinken seiner LED-Stirnlampe durch das Meer von Qualm, das sein Gesicht verschluckt hat.

Ohrstöpsel und Sonnenbrillen

Aber ein so präziser Sinn, eine so eindeutige Referenz würde die Poesie des Abends tilgen, die sich auch aus ihrer Vagheit speist, aus der Vielfalt ihrer Assoziationen.

Durch eine einzige Theorie auf die Bühne zu schauen, wäre insofern ungefähr so schlau, wie im Theater die Sonnenbrille aufzubehalten, die es am Eingang gratis nebst Ohrstöpseln gibt: Auf Dauer ginge etwas verloren, etwas von der Farbigkeit der Bilder, vom Licht der Visionen.

Sie entstehen im Erproben eines gestisch-szenischen Vokabulars, wenn das Ding seinen Zeugcharakter verliert, indem es sich reko.heid.1935/sdef:TEI/get:ins Werk setzt. Oder, mal weniger hochtönend: Indem ein Tischtennisball zum Requisit wird.

Ein ganzer Schwung von denen, tausende, fallen auf Knopfdruck, zu Boden, verteilen sich. Ein Gebläse wird angeworfen, ein anderes ihm schräg gegenüber, auch: mal sehen, was passiert. Wer die innere Ruhe der Produktion teilt kann von diesem staunenden Zuschauen groß Glück erfahren.

Keine große Schauspielkunst

Wer hingegen mit dem Wunsch, große Schauspielkunst zu erleben, ins Theater gegangen ist, den wird „We disappear“ schrecklich enttäuschen. Denn Derartiges versagt sich das vierköpfige Performer-Team, dem noch Bühnenbildnerin Nadja Fistarol und DJ Mirko Hecktor, angehören: Der wenigstens kann, aus einem früheren Leben als Balletttänzer, größere On-stage-Erfahrungen einbringen.

Aber auf die kommt es nicht an. Stattdessen thematisiert die Produktion – und zwar bereits mit der Ausgabe von Augen- und Ohrenschutz – die Art, Bühnengeschehen wahrzunehmen. Sie spielt damit, spielt mit genau den Erwartungen, die sie enttäuscht, indem scheinbar schrecklich wenig passiert.

Geradezu sinnbildlich dafür wird ganz zu Anfang mit einem Kompressor ein sehr stabiler Ballon aus schwarzem Kautschuk aufgepumpt. Alle vier Performer, ausgestattet wie eine Seilschaft im Hochgebirge, sitzen am Bühnenrand davor und verstoppeln sich die Ohren.

Warten auf den großen Knall

Das Publikum aber tut es ihnen nach, wie auf einen stummen Befehl hin: reine Mimesis, Nachahmung, die ja keine unwesentliche Rolle gespielt hat bei der Entstehung von dem, was wir Theater nennen. Sie wird hier als strategische Maßnahme kenntlich.

Deren Zweck ist es, die Außenwelt zu beherrschen, die Dinge und ihre Gefahren, als Versuch, die Welt auf Distanz zu halten. Oder aber sich aus ihr ausschließt, sich abkapselt. Dann wird der Kompressor abgestellt und dem Ballon entweicht die Luft und ordentlich legt Hecktor die schlaffe Hülle zusammen. Schließlich ist es die Aufgabe des Menschen, Ordnung in die Dinge zu bringen.

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