Patriarchat außer Sicht: Männliche Machtkämpfe

In Hannover wird Shakespeares Komödie „Maß für Maß“ ausschließlich mit Frauen besetzt. Die Verfremdung soll männliche Verhaltensweisen sichtbar machen.

Frauen in typischen Männerrollen: So soll "Maß für Maß" Anreize schaffen, Geschlechterrollen zu hinterfragen. Bild: Katrin Ribbe

HAMBURG taz | Mit Theaterklassikern verhält es sich wie mit vielen Bereichen der Gesellschaft: Es gibt in ihnen deutlich weniger Rollen für Frauen als für Männer. Vor allem jenseits der üblichen Partien der jungen Geliebten und unschuldigen Teenager bleibt für Schauspielerinnen mittleren Alters wenig übrig. Die Macht, sie liegt auch bei Shakespeare in fast allen Werken in den Händen der Männer. Die tragen ihren Kampf dann auf die unterschiedlichste Weise aus: fair oder unfair, offen oder hinterrücks – aber stets weitgehend unbehelligt vom weiblichen Geschlecht.

Florian Fiedler, seit fünf Jahren Hausregisseur am Schauspiel Hannover und dort seit 2011 Leiter des Jungen Schauspiels, will diese Geschichte nicht fortschreiben. Am Samstag bringt er seine Version von Shakespeares „Maß für Maß“ zur Premiere. Und inszeniert damit ausgerechnet jene Komödie Shakespeares, in der es wie in kaum einer anderen um die Versuchungen der Macht und die Kontrolle weiblicher Sexualität geht. Das geschieht ausschließlich durch Männer – jedenfalls in der Vorlage.

Shakespeare erzählt die Geschichte des Herzogs Vincentio, der in Wien mit Nachsicht und viel Verständnis regiert – allerdings blühen deshalb bald Korruption und Prostitution auf. Doch die Hände schmutzig machen will sich der Herzog nicht – geliebt will er werden, nicht gefürchtet. Und so begibt er sich vorgeblich ins Exil und überlässt die Macht für eine begrenzte Zeit seinem Statthalter Lord Angelo.

Der Hardliner soll die Ordnung wiederherstellen, die alten Gesetze durchdrücken und der Politik wieder einen moralischen Anspruch verleihen, kurz: endlich aufräumen mit der verkommenen Gesellschaft. Tatsächlich verkleidet sich Vincentio aber als Mönch, um Angelo bei seiner Amtsführung zu beobachten.

Als Erstes fällt Angelo ein Todesurteil: Der reiche Claudio soll durch den Strick sterben, weil er bereits vor der Eheschließung mit seiner Geliebten geschlafen hat. Dessen letzte Hoffnung ruht jetzt auf seiner Schwester Isabella, einer jungen Nonne, die durch ihre Unschuld das Herz des harten Angelos erweichen soll. Die Novizin bittet um Gnade und tatsächlich: Der Lord fackelt nicht lange und lässt seine Prinzipien fallen. Für eine Nacht mit der unschuldig-reinen Schönheit will er ihren Bruder gern laufen lassen. Doch die junge Frau weist ihn ab, und der Herzog sieht sich gezwungen, das strauchelnde Staatswesen doch wieder in die eigenen Hände zu nehmen.

Da sind sie also wieder, die klassischen Frauenrollen: eine heißblütige Geliebte und eine bedrohte Unschuld, beide jung und schön – und das allein, unter vielen Männern. Männer jedoch werden bei Fiedler auf der Bühne überhaupt nicht zu sehen sein. Der Regisseur hat das Stück ausschließlich mit Frauen besetzt und damit eine Art Frauenquote für das Theater übererfüllt.

Wenn Frauen männliche Verhaltensweisen im Kampf um die Macht spielten, würden diese durch die Verfremdung besonders deutlich sichtbar, erklärt Fiedler seinen Ansatz. Shakespeares Stück sei voller sexistischer Anspielungen, die gar nicht auffielen, wenn sie ein Mann ausspreche. „Aber wenn ich die von einer Frau höre, bin ich irritiert“, betont der Regisseur. Neue Bilder entstünden deshalb durch die weibliche Besetzung. Und neue Anreize für die Zuschauer, um zu reflektieren, was überhaupt männlich oder weiblich bedeute – und welche Unterschiede es zwischen den Geschlechtern tatsächlich gebe.

Denn dass Mann und Frau unterschiedlich sind, will auch Fiedler nicht leugnen. Einige Gegensätze hat er in der Probenarbeit selbst entdeckt: Die Atmosphäre, erzählt Fiedler, sei eine andere als in gemischten Ensembles gewesen. „Die Arbeit war immer sehr ernst und sehr konzentriert“, sagt er: „Männer nehmen die Konzentration, aber auch die Anspannung eher mal mit einem Witz raus.“

■ Premiere: Sa, 10. 1., 19.30 Uhr, Schauspielhaus Hannover. Weitere Aufführungen: 18. 1., 30. 1., 31. 1.
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