Parlamentswahl in Österreich: Wien, am Tag nach dem Rechtsruck

Unterwegs mit Schriftsteller Doron Rabinovici. Wie erklärt sich dieses Ergebnis in einem Land, das so reich wie kaum ein anderes ist?

Hein-Christian Strache steht vor einer Flagge Österreichs, um ihn herum ist sonst alles schwarz

Finster: In Österreich stehen mit Heinz-Christian Strache (o.) und Sebastian Kurz „interessante“ Zeiten an Foto: afp

WIEN taz | Der Morgen nach der Wahl beginnt in Wien in sonniger Normalität. Asiatische Touristengruppen belagern den Stephansdom, weiße Zweispänner traben Richtung Hofburg. Männer in Mozart-Aufmachung laden zu klassischen Konzerten ein. Ein Wien wie aus dem Bilderbuch.

Dass im Land am Sonntag ein neues Parlament gewählt worden ist und dabei rund 60 Prozent der Österreicher ihre Stimmen zwei rechten Parteien gaben – zumindest oberflächlich betrachtet ist das im Alltag der Stadt noch nicht angekommen. Einziger sichtbarer Hinweis: die Wahlplakate. Ulrike Lunacek, die Parteivorsitzende der Grünen und große Wahlverliererin, flattert traurig im Wind. Sebastian Kurz lächelt daneben siegessicher und frisch aufs Volk hinunter. Noch in der Nacht plakatierten seine Anhänger ein großes „Danke“ auf das Konterfei ihres Parteivorsitzenden.

Unweit des Stephansdoms hält ein grauer Minibus, am Steuer: Doron Rabinovici, Schriftsteller, Denker, politischer Aktivist. Vor 17 Jahren, im Herbst 2000, hatte er aus Protest gegen eine Regierungsbeteiligung der FPÖ zu einer Großdemonstration aufgerufen. Motto: „Nein zur Koalition mit dem Rassismus“.

Am Montag gibt es keine große Demonstration. Rabinovici kommt gerade von einem Fernseh-Interview, hat sich kamerafein gemacht mit schwarzer Jeans, schwarzem Wollpullover, weißem Hemd. Den gestrigen Abend hat er in der Wiener Staatsoper verbracht. Der „Feuervogel“ von Strawinsky. Weit weg vom politischen Geschehen. Weit weg von Kurz und Co. Von Rabinovici wollen wir an diesem sonnigen Tag wissen, was da am Sonntagabend eigentlich passiert ist und warum.

Verschmelzung von Professorenbrille und Schnappatmung

Mit rund 31 Prozent ist da der bisherige Außenminister Sebastian Kurz zum Wahlsieger gekürt worden – und mit ihm seine Partei, die ÖVP. Erst seit diesem Mai im Amt des Parteivorsitzenden, schaffte es Kurz rasend schnell, die ÖVP auf einen neuen Kurs zu bringen. Auf seinen Kurs. Zur Nationalratswahl trat er dann auch mit neuem Namen an: der „Liste Sebastian Kurz – die Neue Volkspartei“. Aus Schwarz wurde Türkis und aus der ÖVP die neue „Liste Sebastian Kurz – die Neue Volkspartei“.

Der zweite Sieger der Rechten heißt Heinz-Christian Strache und sitzt der FPÖ vor. Nur ein knapper Prozentpunkt trennt ihn vom historischen Wahlergebnis in Höhe von 26,9 Prozent, das 1999 der damalige Parteichef Jörg Haider eingefahren hatte. Heinz-Christian Straches Verdienst ist es, die zerrissenen Rechtspopulisten wieder groß gemacht zu haben. Das Projekt ist gelungen – mit dem Schönheitsfehler, dass ein jahrelang stabiles Umfragehoch von mehr als 30 Prozent durch das Erscheinen von Sebastian Kurz jäh beendet worden ist. Aber, wie Strache in einer ersten Reaktion feststellte: „Fast 60 Prozent haben das FPÖ-Programm gewählt.“

Doron Rabinovici

„Die Österreichersehnen sich nach einer Vergangenheit, die esso nie gegeben hat“

Denn Sebastian Kurz hat sein Anti-Flüchtlings- und Anti-Zuwanderer-Programm von der FPÖ abgeschrieben. Noch nie war die strukturelle rechte Mehrheit in Österreich so deutlich. Während die ÖVP als neue Volkspartei also nach rechts gerückt ist, hat sich die FPÖ im Wahlkampf als moderater präsentiert. Statt plumper Reime im Stil von „Daham statt Islam“ oder „Willst du eine Wohnung haben, musst du nur ein Kopftuch tragen“, präsentierten die Parteistrategen Heinz-Christian Strache staatstragend. Neuerdings ausgestattet mit einer Professorenbrille, spielt der Parteichef den Nachdenklichen und versucht nicht mehr, mit Schnappatmung noch mehr Botschaft in einen Satz zu stopfen.

Dass der Wahlkampf zwischen SPÖ und ÖVP vor allem in der letzten Phase in eine regelrechte Schlammschlacht ausartete, konnte er als lachender Dritter beobachten und mit Sorgenfalten vor ernstem Schaden für die Demokratie warnen.

Den Arierparagrafen noch in den Statuten

Vom Trommler hat sich Strache zu einem Politiker gewandelt, dem neben Schikanen für Zuwanderer und Flüchtlinge auch die Existenzängste der kleinen Leute ein Anliegen sind. So setzte er sich für eine Mindestpension von 1.200 Euro für alle, die 40 Jahre Arbeitsleben hinter sich haben, ein. Wer erinnert sich da noch, dass sich der „Vordenker“ vor 30 Jahren noch mit Neonazis herumtrieb?

Neuerdings ausgestattet mit Professorenbrille, spielt Heinz-Christian Strache den Nachdenklichen und versucht nicht mehr, mit Schnappatmung noch mehr Botschaft in einen Satz zu stopfen

Kleine Gemeinderäte, die mit Hitler-Devotionalien erwischt wurden, verstieß er aus der Partei. Den Abgeordneten Johannes Hübner, der in einer Rede den Schöpfer der österreichischen Verfassung mit antisemitischem Hohn verunglimpfte, strich er von der Kandidatenliste. Mit Norbert Hofer, der sich bei den Präsidentschaftswahlen im Vorjahr nur knapp dem Grünen Alexander Van der Bellen geschlagen geben musste, verfügt die FPÖ jetzt über einen zweiten herzeigbaren Herren.

Dass bei einer Umfrage 42 Prozent der ÖVP-Wähler und immerhin 20 Prozent der Sozialdemokraten den Spitzenkandidaten als wichtigstes Motiv für ihre Wahlentscheidung genannt haben, muss Strache zu denken geben. Denn nur fünf Prozent seiner Wähler sahen die Strahlkraft des Vordenkers als Hauptmotiv. Viele von denen, die sich gerne an einer Führerfigur orientieren, sind also zu Sebastian Kurz übergelaufen.

Wie moderat die FPÖ tatsächlich geworden ist, wird man sehen, wenn sie mit Sebastian Kurz in die Regierung gehen sollte. Das Reservoir an herzeigbarem Personal ist noch geringer als der Vorrat an fachlich qualifizierten Kräften, die sich bei der Verteilung von Ministerposten empfehlen können. In sämtlichen Gremien der FPÖ dominieren die deutschnationalen Burschenschafter, die in ihren Statuten noch den Arierparagrafen haben, Frauen als netten Aufputz betrachten und sich um die „Umvolkung“ der Gesellschaft sorgen. Auch der immer so moderat auftretende Norbert Hofer wollte partout nicht einsehen, was am Tragen eines Kornblumen-Ansteckers, dem einstigen Erkennungszeichen der illegalen Nazis, anstößig sein sollte. Auf Österreich kommen also „interessante Zeiten“ zu, wie die Chinesen sagen würden. Und das ist nicht unbedingt eine Empfehlung.

Alle wollen mit allen sprechen

Nach dem vorläufigen Ergebnis, noch ohne die Briefwähler, hat die SPÖ und deren Spitzenkandidat Sebastian Kern knapp 27 Prozent der Stimmen erreicht. Als glänzender Ritter der Sozialdemokratie war er angetreten. Sein Slogan: „Damit der Aufschwung bei allen ankommt.“ Auch sein Zug ist zum Stillstand gekommen. Vermutlich. Denn noch hat die SPÖ eine Koalition mit der FPÖ nicht gänzlich ausgeschlossen, noch ist ungeklärt, wer da demnächst in Wien regieren soll: ÖVP und FPÖ, die quasi natürlichen Verbündeten, SPÖ und FPÖ oder doch erneut eine Große Koalition?

Er werde mit allen ins Gespräch gehen, sagt Sebastian Kurz am Sonntagabend. Was sich aber schon abzeichnet: Die intensivsten Gespräche wird er wohl mit der Schwester im Geiste führen, der FPÖ.

Doron Rabinovici fährt durch die sonnigen Straßen Wiens. Den Morgen nach der Wahl empfindet er als „still“. Die große Aufregung: nicht da. „Wir haben den Tabubruch ja bereits hinter uns“, sagt Rabinovici. Im Jahr 2000 die FPÖ an der Bundesregierung mit der ÖVP. Seit 2015 eine gemeinsame Regierung aus FPÖ und SPÖ im Burgenland. Und nun eben FPÖ und ÖVP gemeinsam im Parlament. Na und?

Also gar kein Aufschrei? „Doch, bei den Grünen-Wählern“, sagt Rabinovici. Er lacht. Es ist ein eher ein trauriges Lachen. Mit rund 3 Prozent verpassten die Grünen am Sonntag den Einzug ins Parlament. Vorläufig. Bis Donnerstag werden noch rund 750.000 Briefwahlstimmern ausgezählt. Vielleicht gelingt es den Grünen also doch noch, über die Vierprozenthürde zu kommen.

Sehnsucht nach glorreicher Vergangenheit

Aber: mit oder ohne die Grünen. Die österreichische Gesellschaft ist seit Sonntag auf dem Weg nach rechts außen. Nur: Warum rückt Österreich überhaupt nach rechts? Ein Land, das im europäischen Vergleich wirtschaftlich gut dasteht, in dem die Arbeitslosenquote bei rund 6 Prozent liegt und dessen Hauptstadt als eine der lebenswertesten Europas gilt?

Eine Erklärung von Rabinovici muss erst einmal warten. Das viele Reden seit dem Morgen hat ihn hungrig gemacht. Man fährt in ein Restaurant in den 2. Bezirk, Heimat und Wirkungsstätte Rabinovicis. Im benachbarten Hamakon, früher jüdisches Kulturzentrum, heute alternative Theaterstätte, liest er oft aus seinen Büchern, führt Diskussionen – auch über den Zustand der österreichischen Gesellschaft.

„Die Leute haben Angst, dass es in der Zukunft schlechter geht“, sagt Rabinovici über einer bunten Sushi-Platte und grünem Tee. Und: „Die Österreicher sehnen sich nach einer Vergangenheit, die es so nie gegeben hat.“ Die Zeiten, in denen Politiker den Bürgern das Versprechen von Kontrolle geben konnten, seien vorbei, sagt er. Der Sieg der rechten Parteien ist für Rabinovici auch ein Sieg der Ängste: vor der Globalisierung, dem sozialen Abstieg, vor angeblicher „Überfremdung“.

Die ÖVP und Sebastian Kurz warben ihre Wähler mit der Forderung nach mehr Grenzschutz und einen verschärften Asylpolitik. Sie haben erfolgreich am rechten Rand gefischt. Kurz war es, der mit dem erfolgreichen „Abdichten“ der Balkanroute im Februar 2015 auf Werbetour ging. Der versprach, künftig die zentrale Mittelmeerroute zu schließen und islamische Kindergärten verbieten zu lassen.

Das Versagen der Linken und Sozialdemokraten

Dass Kurz sich thematisch bei der FPÖ bedient habe, sei einer Legitimierung der Rechten gleichgekommen, sagt Rabinovici. Grund für den Aufstieg der Rechten sieht der Schriftsteller aber auch in der Schwäche der Gegenkräfte. „Es ist nicht gelungen, den Menschen eine soziale, demokratische und wirtschaftliche Alternative zu bieten.“ Auch die SPÖ trage eine Mitschuld an dem Aufstieg von ÖVP und FPÖ, sagt Rabinovici. Es habe vor der Wahl keine dezidierte Absage an eine mögliche Koalition aus SPÖ und FPÖ gegeben. „Man wollte im Spiel sein.“ Ein Fehler, wie sich nun herausstelle.

Das Sushi ist fast alle, der Tee auch. Rabinovici muss an den Schreibtisch. Zum Abschied gibt er noch einen kleinen Exkurs in die Zukunft Österreichs: Österreich als illiberale Demokratie, die nicht die versprochene soziale Verbesserung bringen werde, die sich die Wähler wünschen. Ähnlich wie in Polen oder Ungarn, sagt Rabinovici.

Was sicher ist: Österreich ist nach rechts gerückt. Ein Zusammenleben in der Europäischen Union wird vermutlich schwerer werden.

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