Panter Preis-Nominierte I: Symbol der Klimabewegung

Die Mahnwache Lützerath ist Anlaufstelle der bedrohten Nachbardörfer, Infopoint, Kulturzentrum und Café am Rande der Kante in den Tagebau Garzweiler.

Im Mahnwache-Team sind gut 15 Menschen von 17 bis 67 Jahren aktiv Foto: Barbara Schnell

Von BERND MÜLLENDER

taz Panter Preis, 27.08.22 | Die Mahnwache Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier ist eine Art Vorposten des Widerstands: Zelt und Wohnwagen, Bänke und Stühle, bunte Plakate, Infotafeln, Spendenbüchse. Davor, gerade mal 50 Meter entfernt, ist schon die senkrechte Kante in den Tagebau Garzweiler. Links daneben endet die weggegrabene Landstraße von Immerath nach Keyenberg: „Betriebsgelände!“ Und gleich hinter der Mahnwache leben rund hundert Leute in Baumhäusern, auf Wiesen und in den Nebengebäuden des Landwirts Eckhard Heukamp. Sonst ist hier in weitem Umkreis niemand mehr.

24/7 ist die Wache besetzt, abwechselnd von gut 15 Menschen, 17 bis 67 Jahre alt. Täglich kann die Situation eskalieren. Graben sich die RWE-Bagger plötzlich noch näher? Von wo werden Polizeihundertschaften anrücken? Die Mahnwache würde sofort alarmieren – per Glocke, mit Tröten, mit Walkie-Talkies und Handy-Notruf.

Der taz Panter Preis wird von der taz Panter Stiftung vergeben - zum dritten Mal in Folge an Menschen, die sich für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Klimakrise engagieren. Dieses Jahr geht es unter dem Motto „Klima für Gerechtigkeit“ um einen Klimaschutz, der sozial gerecht gestaltet wird.

Im Juli 2020, erzählt Mahnwachlerin Blanche, „waren hier nur eine Feuertonne und Campingstühle. Jetzt haben wir sogar einen winterfesten Wohnwagen. Es wäre höchstens ein Traum gewesen, dass es uns im Spätsommer 2022 noch gibt, um uns diesem Verbrechen an Mensch und Natur entgegenzustellen“. Blanche, 33, ist Finanzbuchhalterin in Mönchengladbach, sie lebt mal dort, mal hier.

Ihr Mitstreiter Dirk, den sie scherzhaft „Bürgermeister“ der Mahnwache nennen, ist „wirklich stolz auf die zwei Jahre. Aber das ging nur durch Solidarität und Hilfen von außen.“ Dirk, 37, hat in Aachen in einer Fabrik gearbeitet. „Damals hab ich den Job geschmissen und bin seitdem, ja, Vollzeitaktivist.“

Naturzerstörung durch RWE

„Wir haben eine Ernährungskrise, und hier soll weiter einer der besten Ackerböden Deutschlands unwiederbringlich vernichtet werden“, schimpft Andrea, die dritte Gesprächspartnerin. Die 52-Jährige ist MTA in einer Apotheke in Jülich. „Alles vertrocknet, und hier wird weggepumpt, dass die Bauern im weiten Umkreis ihre Felder nicht mehr bewässert bekommen.“ Sie zeigt auf ein Dutzend Windräder einen Kilometer entfernt: Ja, die kämen auch weg. „Ein Wahnsinn!“ Erneuerbare als Vergangenheitstechnologie.

Eine taz-Vorjury hat sechs Kandidat:innen ausgewählt. Vom 17. September bis 15. Oktober findet die Leser:innen-Wahl statt. Zudem wird ein Jurypreis vergeben. Beide Preise sind mit je 5.000 EUR dotiert und werden am 12. November verliehen. Infos: taz.de/panter.

Der neuerliche Glutsommer liefert Argumente von selbst gegen die achselzuckende Naturzerstörung von RWE, den größten CO2-Emittenten Europas. Den Kohleausstieg in der Gaskrise verschieben? Als ob Kohle einen nennenswerten Beitrag leisten könne, schimpft Dirk und spottet: „Alles Milchmäd­chen­rech­nun­gen. Als könnte man in den Gasbrenner der Heizung zu Hause ersatzweise ein Stück Kohle reinstecken.“

Die Wache nennt sich auch „Café an der Kante“, sie ist Anlaufstelle für Menschen der bedrohten Nachbardörfer und Infopoint: „Unglaublich, wie viele Menschen hier auftauchen, ganze Schulklassen, auch unangemeldet, oder E-Bike-Gruppen auf Wochenendausflug“, sagt Dirk. „Wenn die eine Besichtigungstour möchten, dann machen wir das gern.“ Neulich, erzählt Andrea, habe jemand gesagt: „Ihr seid das Kulturzentrum von Erkelenz.“ Übertrieben? Es gibt hier Open-Air-Kino, Konzerte von Pop bis Klassik, Kabarett, Riesenpartys in der Lagerhalle nebenan, Erzählabende von Umgesiedelten.

Blanche erzählt von einem Besucher aus Düsseldorf und dessen schöner Idee: Seitdem hocken viele Hundert Stofftiere in langer Reihe auf dem Grenzwall vor der Kante, vom traurigen Teddybär bis zum schwitzenden Pinguin-Ensemble, als mahnende Bewacher der Wache. Manchmal, sagt Blanche, komme sie sich „durch die vielen Neugierigen selbst schon vor wie im Zoo“. Aber: „Jeder Stromnutzer sollte mal hier gewesen sein, um zu sehen, wie der Strom in die Steckdose kommt.“

Romantische Momente im Antikohlekampf

Schräg hinter der Mahnwache wachsen Kürbisse, Tomaten, Bohnen, Erdbeeren zur Selbstversorgung, KoLaWi genannt, Kollektive Landwirtschaft. Bei Sonnenuntergang sorgt eine Menschenkette mit Gießkannen für die romantischen Momente im Lützerather Antikohlekampf. Das Wasser kommt aus „Pfützerath“. So heißt der Tümpel gleich daneben, gespeist durch eine defekte RWE-Pumpe. Nein, das sei keine Sabotage gewesen, beteuert Andrea, sondern ein technischer Unfall.

Die Mahnwache hat maßgeblich mitgewirkt, dass nicht mehr der verschonte Hambacher Wald, 30 Kilometer südlich, sondern Lützerath zum Symbol der Klimabewegung wurde. „Hier ist die 1,5-Grad-Grenze“, sagt ein Schild vor dem Kohleabgrund. Auch Greta Thunberg war 2021 hier.

Das absurde Szenario: Es könnte sein, dass die Mahnwache bei der Panter-Preisverleihung im November schon nicht mehr existiert. Denn ab September hat RWE Zugriffsrecht auf Gehöft und Gelände, am 1. Oktober beginnt die Rodungssaison. Umgehend könnten Vernichtungstrupps mit Äxten und Kettensägen aufmarschieren. Die Mahnwache wird Alarm auslösen, auch extern: Über 10.000 Menschen in der Region haben unterschrieben, sich einer Räumung entgegenzustellen.

Infos: mahnwache-luetzerath.org