Owen Pallett auf dem Week-End-Festival: „Depression kann kreativ machen“

Er machte den Soundtrack für Spike Jonzes Film „Her“. Der Violinist Owen Pallett über Pleiten dank Pop, queere Instrumentalmusik und gute Freunde nachts um drei.

Über Queerness: „Die schwulste Band der Musikgeschichte war zweifellos Kraftwerk – und da war kein einziger Schwuler dabei.“ Bild: promo

taz: Herr Pallett, Sie haben eine klassische Ausbildung als Musiker, Ihr Soundtrack http://www.youtube.com/watch?v=RR2CgqdGSjEfür Spike http://www.youtube.com/watch?v=RR2CgqdGSjEJonzes Film „Her“ war sogar für den Oscar nominiert. Bekannt geworden sind Sie aber als Popmusiker, etwa bei The Arcade Fire. Was ist schwieriger: einen Popsong zu komponieren oder einen Soundtrack?

Owen Pallett: Schwierig ist das falsche Wort, die Erwartungen sind unterschiedlich. Songs zu schreiben ist manischer, kreativer. Wenn ich einen Song geschrieben habe, spiele ich ihn meinen Freunden sofort am Telefon vor. Von Soundtracks erzähle ich meistens nicht mal meinen Eltern etwas. Finanziell gesehen sind Soundtracks aber eine sichere Bank, bei Popsongs weiß man oft nicht, ob man am Ende dafür bezahlt wird. Ich arbeite mittlerweile mehr an Soundtracks als an Popsongs. Es mag zynisch klingen, aber ich war wegen meiner Popmusik zu viele Jahre lang entweder pleite, krank oder hungrig, um damit wie bisher weiterzumachen.

Welche Herausforderungen bietet ein Soundtrack?

Das kommt drauf an, meistens geht es ums Geld. Man bekommt ein festes Budget, und immer, wenn man die Musik häufig überarbeiten muss, bleibt weniger davon übrig. Ich habe schon an Soundtracks gearbeitet, mit denen ich am Ende kein Geld verdient habe. Das zu ändern ist eine Herausforderung für mich. Musikalisch wäre es mir lieber, wenn ein Score mehr für sich stehen könnte, so als wäre er ebenso wichtig wie ein Schauspieler. Meistens soll ein Soundtrack nur die Lücken im Plot füllen und so den Cuttern und dem Regisseur die Arbeit abnehmen. Oder er soll Emotionen transportieren.

Als Musiker mit klassischer Ausbildung haben Sie ein analytisches Verhältnis zur Musik. Letztes Jahr haben Sie Songs von Daft Punk und Lady Gaga für das Onlinemagazin Slate musikwissenschaftlich erklärt. Wie fühlt es sich denn an, wenn Menschen Ihnen von den Emotionen erzählen, die sie in Ihrer Musik zu hören meinen?

Das ist kompliziert. Wenn ich meine eigenen Alben anhöre, verstehe ich einfach nicht, wie Leute meine Musik überhaupt mögen können. Die Musik, die ich mache, ist ganz anders als die Musik, die ich am liebsten höre. Im Moment höre ich viel elektro-akustische Musik, aber um diese zu produzieren, fehlen mir einfach die nötigen Fähigkeiten. Ich lese aber jeden Artikel, höre jeden Podcast und jede Radiosendung über mich, weil mich interessiert, wie meine Musik wahrgenommen wird. Es gibt eine Menge fast schon akademischer Artikel über meine Musik, in denen Autoren den Zusammenhang von Texten und Harmonien herausarbeiten. Wenn sich mein Publikum so viel Mühe macht, dann war meine Arbeit wohl ganz okay. Aber manchmal ist es auch frustrierend, zum Beispiel wenn Autoren meine Musik mit Musicals vergleichen.

Warum ärgert Sie dieser Vergleich?

Ich hasse Musicals, ich verachte sie. Ich finde es schrecklich, wenn Leute finden, dass sie meine Musik nicht hören wollen, weil sie aus einer queeren Perspektive geschrieben ist und sie sich nicht damit identifizieren wollen oder können. Aber das ist natürlich ein Problem, das Frauen wohl schon seit Jahrhunderten kennen. Ich würde mich einfach freuen, wenn die Leute sich mehr hinterfragen würden.

Der Mann: Owen Pallett, 35, ist ein Violinist aus Montreal, Kanada. Er begann seine Karriere als Arrangeur für Arcade Fire, Pet Shop Boys oder Taylor Swift. Seit 2005 veröffentlichte Pallett vier Soloalben unter dem Pseudonym Final Fantasy und seinem eigenen Namen. Sein aktuelles Album „In Conflict“ dreht sich um Schwellenzustände zwischen Manie und Depression. Pallett arbeitet auch als Komponist für Soundtracks. Seine Stücke für Spike Jonzes Film „Her“ waren 2014 für den Oskar nominiert.

Das Festival: Das Week-End-Festival in der Stadthalle Köln/Mülheim findet vom 27. bis 29. November statt und geht dieses Jahr in die vierte Auflage. Die Veranstalter bringen Stars mit Nachwuchskünstlern zusammen. Dieses Jahr bestreitet der britische Künstler Jarvis Cocker (Pulp) etwa ein DJ-Set, die junge britische Spoken-Word-Rapperin Kate Tempest tritt neben der New Yorker Discopunk-Band ESG auf.

Sie haben mal gesagt, Sie mögen es nicht, wenn Ihre Homosexualität mit Ihrer Musik in Verbindung gebracht wird. Warum eigentlich nicht?

Ich bezeichne mich nicht mehr als schwul, sondern als queer. Das Zitat ist auch aus einem alten Interview von 2005 und man muss es im Kontext sehen. Damals musste man von Homosexualität singen, um als schwuler Musiker zu gelten. Ich habe aber überwiegend instrumentelle Alben mit Elektronik und Violine gemacht und wurde nicht so häufig zu Events der Gay-Community eingeladen wie etwa die Hidden Cameras. Letztlich ging es mir darum, zu zeigen, dass es auch queere Instrumentalmusik geben kann. Arca hat zum Beispiel die queerste Platte der letzten Monate gemacht, ohne dass es darauf einen Hinweis gäbe. Total Freedom oder Terre Thaemlitz machen ebenfalls queere Musik, die elektronisch experimentiert und rein instrumental ist.

Woher kommt diese Verbindung von experimenteller Musik und Queerness?

Auch 2014 werden queere Menschen noch mit bestimmten Erwartungen konfrontiert, die sie zurückweisen müssen: Erwartungen an ein bestimmtes Familienleben, an Partnerschaft und dergleichen. Das führt dazu, dass es für sie naheliegend ist, viele Traditionen zurückzuweisen, auch künstlerische. Aber es wäre natürlich lächerlich zu behaupten, dass straighte Menschen keine experimentelle, queere Musik machen können. Die schwulste Band der Musikgeschichte waren zweifellos Kraftwerk – und da war kein einziger Schwuler dabei.

Auf Ihren eigenen Alben haben Sie immer codiert über Homosexualität geredet, zum Beispiel mithilfe der Videospielserie „Final Fantasy“. Auf Ihrem letzten Album, „In Conflict“, finden sich aber sehr persönliche Texte. Warum?

Eigentlich wollte ich nur ein paar simple Songs schreiben, für die ich nicht so lange brauche wie sonst. Also habe ich gedacht, ich erzähle aus meinem Leben, was keine gute Idee war. Ein paar Tage nach Fertigstellung eines Songs habe ich die Person aus diesem Song nicht mehr wiedererkannt. Ich hatte heftige psychische Probleme, gleichzeitig wurde in den Medien viel über Selbstmord unter queeren Jugendlichen geredet. Also habe ich mich entschieden, ein Album zu komponieren über psychische Krankheiten und die Schwierigkeit, in binären Oppositionen wie „queer/straight“ existieren zu müssen.

Hat Ihnen die Musik bei der Bewältigung Ihrer Probleme geholfen?

Nein, überhaupt nicht. Musik zu komponieren ist nicht kathartisch für mich, sondern eine Arbeit, die ihren Tribut von mir fordert. Ich leide unter einer bipolaren Störung. Wenn ich manisch bin, schreibe ich viele Songs, wenn ich depressiv bin, kann ich nicht arbeiten.

Was hat Ihnen denn dann geholfen? Medikamente?

Ich versuche Medikamente zu vermeiden, weil sie meine Kreativität einschränken. Ich mache auch keine Therapie. Stattdessen habe ich mich mit ein paar Freunden zusammengetan, die auch in Kreativjobs arbeiten. Wir verstehen uns so gut, dass wir uns selbst nachts um drei anrufen können, um uns gegenseitig zu beruhigen. Einige dieser Freunde haben mir schon mehrere Male das Leben gerettet und sie haben mir versichert, dass ich das Gleiche für sie getan hätte.

In einem Song reden Sie auch vom „Geschenk der Depression“. Was meinen Sie damit?

Ich versuche mir deutlich zu machen, dass Depressionen auch ein Geschenk sein können. Die tollsten Menschen, die ich kenne, haben meistens eine unglaublich traumatische Erfahrung hinter sich. Das meine ich nicht verherrlichend und wünsche es auch niemandem. Aber diese Traumata können Menschen empathisch werden lassen oder sie produzieren deshalb Kunst, die unglaublich schön ist. So etwas kann kreativ machen und deshalb würde ich meine Depression auch am ehesten als Geschenk beschreiben wollen.

Am morgigen Samstag spielen Sie auf dem Week-End-Festival in Köln – einmal mit Ihrer eigenen Band und dann als Teil eines Tributs an Brian Eno, mit dem Sie auch schon zusammengearbeitet haben. Was bedeutet Ihnen die Musik des britischen Künstlers?

Als ich zwölf war, habe ich sein Album „Taking Tiger Mountain (By Strategy)“ in meiner Schulbibliothek gehört und war total angefixt. Eno ist unglaublich, er hat das Genre Ambient erfunden, er hat den Harmonizer in die Popmusik eingeführt, er hat viele tolle Alben produziert. Mir gefällt aber seine Stimme am besten. Sie klingt sehr dünn, sehr unaufgeregt. Manche Leute malen ein Gemälde mit ihrer Stimme, er füllt eine Tabelle damit aus. Das hat mir sehr geholfen, weil ich ähnlich singe. Enos Stimme war für mich eine Art Talisman, die mir geholfen hat, meine eigenen Songs zu singen.

Und worum geht es bei Ihrem Brian-Eno-Tribut?

Das verrate ich nicht. Aber ich habe einen neuen Drummer in der Band. Sein Timing ist perfekt, er spielt fast wie ein Computer und er sieht aus wie ein Muppet. Ich denke, meine deutschen Fans werden ihn mögen.

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