Osteuropäische Roma im Ruhrgebiet: „Die müssen weg, fertig“

In der Hoffnung auf ein besseres Leben ziehen osteuropäische Roma ins Ruhrgebiet. Dort werden sie systematisch ausgebeutet und gehasst.

Duisburg-Rheinhausen, In den Peschen – das Paradies sieht anders aus. Bild: Andreas Probst

DUISBURG taz | Placuta Moise hat Angst. In ihrer Duisburger Wohnung ist die aus Rumänien stammende Roma gerade von vier Schlägertypen in schwarzen Lederjacken bedroht worden, vor Zeugen. Geschickt hat die Schläger Moises Vermieter, ein aus Jugoslawien stammender Mann mit Verbindungen zum Duisburger Rotlichtmilieu.

Mehr Miete fordere der für die 80 Quadratmeter große Wohnung, in der sie mit ihrem Mann, drei Söhnen, zwei Schwiegertöchtern und vier Enkelkindern lebt, berichtet die 38-Jährige. Statt 350 seien ab sofort 450 Euro fällig, haben die Schläger verkündet.

Erst als Journalisten zu Besuch in die penibel aufgeräumte Wohnung kommen, treten sie widerwillig den Rückzug an. Zahlen wird Placuta Moise trotzdem: Einen Vertrag, in dem die Höhe der Miete festgeschrieben ist, hat sie nicht. Gezahlt wird in bar, ohne Quittung. Die Drohung, sonst mit Gewalt aus ihrer Wohnung geworfen zu werden, wirkt.

Angst hat Moise auch vor ihren Nachbarn. Denn die Rumänin lebt mit ihrer Familie und Hunderten weiteren Roma im kleinbürgerlichen Stadtteil Rheinhausen unter der Adresse „In den Peschen“. Dahinter verbirgt sich ein heruntergekommener, überbelegter Wohnblock aus den sechziger Jahren.

Im Keller sind die Stromzähler herausgerissen, im Hausflur kleben Blutflecken an der Wand. Bis zu 350 Menschen sollen in den 22 Wohnungen leben. Genaue Zahlen hat niemand: Immer wieder ziehen neue Bewohner ein, andere verschwinden über Nacht.

In den Ein- bis Zweifamilienhäusern gegenüber herrscht hinter gepflegten Vorgärten und Fachwerkverblendung deutsche Gemütlichkeit – nur die „Zigeuner“, tönt ein Anwohner, störten: „Die müssen weg, fertig“, sagt er. „Eine Zumutung“ sei die Anwesenheit der Roma, findet eine Seniorin: Immer wieder türme sich Müll vor dem Wohnblock, würden Essensreste aus den Küchen auf die Straße geworfen.

Wie eine Bürgerwehr

Zu sehen ist von alldem – nichts. Wer sich aber rund um den Wohnblock umschaut, wird sofort in Manier einer Bürgerwehr angesprochen. An einen Einbruch in parkende Autos solle man „besser gar nicht denken“, warnt ein Mittdreißiger, der um die Ecke wohnt.

„Sie müssen wissen, hier sind Zigeuner hingezogen. Die klauen einfach alles.“ Im Hinterhof einer Tankstelle prostituierten sich am Abend „sehr junge Mädchen“, klagt er – und präsentiert dann weitere antiziganistische Vorurteile: „Deutsche Kinder“ seien von Roma entführt worden, behauptet er.

Der Duisburger Polizei sind keine Kindesentführungen bekannt. „Bis Ende September hatten wir zwar 150 Einsätze“, sagt ihr Sprecher Ramon van der Maat, „doch dabei ging es zur Hälfte um Ruhestörung.“ Der Rest betreffe Kleinkriminalität, die allerdings intensiv ausgeübt werde: Seit Anfang des Jahres zählte die Polizei 349 Fälle, in denen die Tatverdächtigen als Wohnsitz die Adresse „In den Peschen“ angaben. „Kraftstoff wird abgezapft, Altmetall gestohlen“, sagt van der Maat. „Außerdem gibt es Trickdiebstähle an Geldautomaten.“

Von manchen Medien wird das begierig aufgegriffen: „Ein Haus voller Straftäter“ titelte die Rheinische Post in ihrer Onlineausgabe. Die Bild nannte den Wohnblock „das Hauptquartier der Osteuropa-Banden“. Für rechtsradikale Parteien wie die NPD oder „Pro NRW“ ist das eine willkommene Unterstützung: Längst landen Flyer mit Sprüchen wie „Heimreise statt Einreise“ in den Rheinhausener Briefkästen.

Osteuropäische Armut trifft auf deutsche Bürgerlichkeit

„Hier trifft osteuropäische Armut auf deutsche Bürgerlichkeit“, warnt der evangelische Pfarrer Heiner Augustin, der den rassistischen Sprüchen jetzt einen runden Tisch entgegensetzt. Ausgelöst worden sei sein Engagement durch „sehr heftige Äußerungen“ während eines politischen Abendgebets, das er mit dem Thema Zuwanderung verknüpft hatte, erzählt der 50-Jährige – seine Friedenskirchengemeinde grenzt an den Wohnblock: „Das sind keine Menschen, das sind Untermenschen“, habe es in übelster nationalsozialistischer Diktion geheißen.

Die „Zwangsumsiedlung“ der Roma sei gefordert worden. Manchmal fürchtet der Pfarrer einen Brandanschlag nach dem Vorbild der versuchten Morde an MigrantInnen in Rostock-Lichtenhagen.

Auch Deniz Aksen ist niemand, der Probleme leugnet. Der Sozialarbeiter ist Geschäftsführer des Vereins Zukunftsorientierte Förderung, der viele der Roma betreut. Insgesamt sind nach Schätzung der Polizei etwa 10.000 Menschen aus den EU-Staaten Rumänien und Bulgarien nach Duisburg gezogen.

Ja, Bewohner des Wohnblocks In den Peschen begingen Diebstähle, und ja, Frauen würden zu Prostitution gezwungen, sagt er. Aus materieller Not: Zwar dürfen Rumänen und Bulgaren ohne Visum nach Deutschland ziehen, eine Arbeitserlaubnis bekommen sie aber nicht. Erlaubt sind nur selbstständige Tätigkeiten.

„Außerdem werden viele Roma von kriminellen Schlepperbanden hergebracht“, erzählt Aksen. Das Geld für die Reise – Beträge von 1.000 Euro und mehr – werde oft vorgestreckt. Nach einer Woche stünden die Schlepper dann vor der Tür und forderten ihr Geld zurück, mit 100 Prozent Zinsen. „Wenn das Familienoberhaupt nicht zahlen kann, heißt es: Du kannst betteln gehen. Deine minderjährigen Kinder, die strafrechtlich noch nicht belangt werden können, gehen für uns auf Diebestour. Und deine Frau, deine Töchter schicken wir auf den Strich.“

Für wenige Euro auf dem Arbeiterstrich

In Duisburg boomt nicht nur die Ausbeutung von Roma, die sich täglich für wenige Euro auf dem „Arbeiterstrich“ anbieten, sondern auch die Prostitution selbst: Mittlerweile soll im Rotlichtmilieu am Niederrhein mehr Umsatz gemacht werden als in Hamburg. Auffällig viele Prostituierte seien Roma, bestätigt Polizeisprecher van der Maat. Dagegen vorgehen könnten die Beamten nicht: „Prostitution ist in Deutschland legal.“ Von Zwangsprostitution sei nichts bekannt.

Sozialarbeiter Aksen schildert dagegen verzweifelte Hilferufe aus den Peschen: „Uns hat eine Frau angerufen“, berichtet er, „die sagte: Hier wohnt einer, der packt die Kinder ein, die müssen dann auf den Straßenstrich.“ Nachweisbar ist das nicht: Eine Aussage bei der Polizei habe die Frau verweigert. „Sie hatte Angst vor der Ermordung ihrer Verwandten in Rumänien.“ Tage später sei die Zeugin samt Familie „einfach weg“ gewesen.

Trotzdem machen viele Roma bei ihren Bekannten weiter Werbung für einen Umzug nach Duisburg. In Rumänien lebten viele in „unbeschreiblichem Elend“, sagt Gisela Langhoff, Sprecherin der Koordinationsgruppe Rumänien der deutschen Sektion von Amnesty International. 80 Prozent lebten unter der Armutsgrenze, oft in von Zwangsräumung bedrohten Siedlungen.

Und wie solche Zwangsräumungen ablaufen, schildert Langhoff an einem Beispiel aus Cluj in Siebenbürgen: Im Dezember 2010 seien dort 76 Familien aus ihren Wohnungen im Stadtzentrum geholt worden – bei minus 20 Grad – und an den Stadtrand in die Nähe von Müllhalden verfrachtet worden. Viel zu kleine Ersatzunterkünfte habe es nur für 40 Familien gegeben. Manche seien bei Verwandten untergekommen. Andere mussten sich „aus zusammengesuchten Materialien Behelfshütten bauen“.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma beklagt das „nahezu vollständige Versagen“ der südosteuropäischen Regierungen: Zwar fordert die EU die Integration von Minderheiten in ihren Heimatländern und hält dazu Milliardenbeträge bereit.

„Die Verfahren der EU sind aber sehr bürokratisch, sehr streng“, sagt Marian Luca, der wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Zentralrat ist und selbst aus Rumänien stammt. „Und den nationalen Regierungen und ihren lokalen Behörden vor Ort fehlt es nicht nur an Kompetenz: Es mangelt oft am Willen zur Umsetzung.“

Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) wird deutlicher: „Der Bund muss handeln und dafür sorgen, dass sich die Lebensverhältnisse der Roma in Bulgarien und Rumänien verbessern“, fordert er. „Dazu hätte die Bundesregierung längst über die Europäische Union Druck auf die beiden osteuropäischen Länder ausüben müssen.“

Kein Geld für Integration

Denn nicht nur im Ruhrgebiet denken viele mit Sorge an das Jahr 2014: Dann steht auch Rumänen und Bulgaren eine Arbeitserlaubnis zu – und damit auch das Recht auf Sozialleistungen nach den Hartz-Gesetzen. Die Armutswanderung in das vor der Pleite stehende Duisburg könnte sich dann noch verstärken – und damit der Hass der Alteingesessenen auf die Zuwanderer.

Dabei fehlt schon heute das Geld für Integrationsmaßnahmen wie etwa Deutschkurse. „Egal wie viele kommen“, warnt deshalb die Duisburger Integrationsbeauftragte Leyla Özmal: „Wir werden überfordert sein.“

Auch Placuta Moise spricht kein Deutsch. In der Hoffnung auf Arbeit, auf bessere Bildung für ihre Enkel sei sie gekommen, sagt sie auf Rumänisch. Jetzt bleibt sie mit ihrer Angst in den Peschen zurück: „Wenn wir aus der Wohnung geworfen werden“, fragt sie, „wo sollen wir hin?“

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