Orthodoxes Judentum und Handys: Das koschere Smartphone

Als das Handy aufkam, schafften sich strengreligiöse jüdische Gemeinden eine eigene Version der technischen Neuerung. Und heute?

Junger Mann in orthodoxer jüdischer Kleidung blickt ins Smartphone

An einer Ampelkreuzung in Jerusalem, 2014 Foto: Jim Hollander

Wer nach den strengen Regeln des religiösen Judentums lebt, isst nur Produkte, die koscher sind. Es gibt eine Vielzahl von Koscher-Zertifikaten. In Israel leben etwa 10 Prozent der erwachsenen Bevölkerung ultraorthodox, also strengreligiös. Jede der Strömungen – die ursprünglich osteuropäischen Chassidim, die aus Litauen stammenden Mitnagdim und die sephardischen Jüdinnen und Juden aus Asien und Nordafrika – hat eigene Regeln: für Bekleidung, wen man in der Politik unterstützt und welches Koscher-Zertifikat für Essen zulässig ist.

Nur bei einer Sache haben sich die wichtigsten Rabbiner und ihre Untergruppen zusammengetan: dem koscheren Handy.

Was tun mit dem modernen Ding? 2005 formierte sich ein „rabbinischer Rat für Kommunikation“, der direkt mit israelischen Mobilfunkfirmen verhandelte. Sie wollten Geräte, die den weltlichen Einfluss auf das Notwendigste reduzierten. Die ersten koscheren Handys hatten deshalb nur wenige Funktionen, wie Telefonieren und den Wecker; und eine eigene Vorwahl. Doch mit dem Aufkommen von Smartphones wurde es schwieriger. Das Internet war praktisch, vor allem für jene Teile der Gemeinschaft, die in „weltlichen“ Jobs arbeiteten. Aber dessen Einfluss ist gefährlich für die engverbundene Gemeinschaft.

In Berichten von Menschen, die so aufwuchsen und später die Gemeinschaft verließen, spielt das Internet eine zentrale Rolle. Dort entdecken sie eine Welt außerhalb ihrer unmittelbaren Umgebung. Der US-Amerikaner Shulem Deen beschreibt beispielsweise in seinen Memoiren „All Who Go Do Not Return“, wie er sich in Internetforen austauschte, als er an seinem chassidischen Glauben zu zweifeln begann.

Textnachrichten als Gefahr

Dass das Internet auf den koscheren Smartphones keinen Platz hatte, scheint also logisch. Eine weitere Funktion, die das rabbinische Komitee unterband, war das Schreiben von Textnachrichten. Warum?

Damit hat sich eine qualitative Studie im Fachjournal New Media & Society beschäftigt. Textnachrichten könnten den Zusammenhalt und die Disziplin untergraben – und zwar von innen. Die Menschen leben meist in großen Familien und auf engem Raum zusammen, sind selten allein. Wenn sie telefonieren, hört also meist jemand mit. Aber SMS? Die kann man heimlich schreiben, vielleicht sogar an das andere Geschlecht. Dazu kommt: Über WhatsApp oder SMS können Inhalte schnell an viele Menschen verbreitet werden, also perfekt für Unruhestifterinnen und Unruhestifter.

Wie strengreligiöse Gemeinschaften mitten in hochmodernen Gesellschaften gegen den Einfluss von außen kämpfen und ständig ihre Grenzen verhandeln, erzählt uns etwas über die Mehrheitsgesellschaft. Ihre Ängste sind unsere, auf die Spitze getrieben und überkonsequent behandelt.

Mittlerweile besitzen übrigens viele Ultraorthodoxe zwei Smartphones: ein koscheres und ein normales.

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Journalistin und Autorin in Wien. Schreibt über Wissenschaft für den "Falter", kommentiert Politik für die "Presse". War zuvor Redakteurin bei "The Forward" in New York. "Versteckte Jahre. Der Mann, der meinen Großvater rettete" über ihre Familiengeschichte erschien 2018 im Paul Zsolnay Verlag, 2020 in englischer Übersetzung ("I belong to Vienna") bei New Vessel Press (New York). Von 2019 bis 2020 schrieb sie die Kolumne "Die Internetexplorerin" für die taz.

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