Oper „Die tote Stadt“ in Bremen: Stadt des toten alten weißen Mannes

In Bremen machen Armin Petras und Yoel Gamzou aus Erich Wolfgang Korngold selten gespielter Oper „Die tote Stadt“ ein ergreifendes Verwechslungsspiel.

Wie schön Nadine Lehner als Maria/Marietta leidet! Der Schmerz geht durch Mark und Bein Foto: Jörg Landsberg

BREMEN taz | Still liegt Marietta auf der Bühne, apathisch blickt sie auf die Perücke in ihrer linken Hand, die Haare ergraut. Ihr Gesicht zeigt eine Mischung aus Verlorenheit, Einsamkeit und Trauer. Sie sehnt sich nach der Liebe von Paul, versucht ihn daraufhin zu umgarnen. Das Gesicht wird weicher, liebevoller. Doch Paul stößt sie weg. „Lass mich“, schreit er. Erneut geht sie zu Boden und wieder versteinert ihr Blick.

Das Theater am Goetheplatz in Bremen zeigt „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold. Es ist die zweite Zusammenarbeit von Hausregisseur Armin Petras und dem musikalischen Leiter Yoel Gamzou nach der grandiosen und tief bedrückenden Inszenierung von Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“. Auch die Hauptdarstellerin Nadine Lehner wirkte in dieser Inszenierung mit.

Korngolds Oper darf in dieser Inszenierung in tiefer Traurigkeit und brutaler Verzweiflung schwelgen. Der abgehalfterte Künstler Paul zog von Paris nach Brügge, um seine verstorbene Gattin Marie zu vergessen. Hier errichtet er eine „Kirche des Gewesenen“ mit Erinnerungen an sie. Doch bald lernt er die Tänzerin Marietta kennen, die ihn stark an seine tote Frau erinnert. Er versucht, sie für sich zu gewinnen und sie zu seiner neuen Marie zu machen. Sie versucht, seinem Wunsch gerecht zu werden, mit einer Perücke ihr vollständig Ebenbild zu sein. Kein Wunder, dass es in einer Tragödie endet.

Dabei inszenieren Petras und Gamzou „Die tote Stadt“ anders als die eigentliche Buchvorlage von Georg Rodenbach es vorgibt. Wo im Original alles aufgelöst wird – nur ein Traum –, wird Marietta in dieser Version wirklich von Paul im Wahnsinn umgebracht. Das gibt der Inszenierung eine alternative Erzählstruktur, die Marietta und die Gewalt, die ihr von einem wahnsinnigen Mann angetan wird, ins Zentrum rückt. Gleichzeitig funktioniert das Ganze als Verwechslungsspiel: Marie und Marietta werden teilweise als Gegensätze, teilweise als Doppelgängerinnen inszeniert. Auseinanderhalten, was echt und was falsch ist, wird schwierig.

Mit dem Orchester gespielt

Nadine Lehner wird ihrer Aufgabe in allen Belangen gerecht: Sie verzweifelt so schön! Wo sie zu Beginn noch die lebendige, lebensfrohe Frau ist, wird sie im Verlauf des Stückes grauer, trauriger und apathischer. Jeder Rückschlag, den sie erlebt, jedes Trauma, jeder Schmerz geht durch Mark und Bein. Petras sieht sie, wie auch schon in „Lady Macbeth von Mzensk“, gern zugrunde gehen, was sich auch hier als Glücksfall fürs Publikum erweist.

Karl Schineis' Spiel als Paul hingegen grenzt schon fast an Arbeitsverweigerung. Klar, man gab ihm die undankbare Position, auf einem Podest direkt vor dem Orchester zu verweilen und niemals die Position zu wechseln. Doch seine Mimik und Gestik funktionieren lediglich in der Rolle des süffisanten Chauvinisten, nicht aber als Trauernder oder Wahnsinniger. Zu oft beugt sich seine Stimme dem großen Orchester – und verblasst gleichzeitig vor der stark spielenden Lehner.

Im Zentrum des Geschehens: das Orchester, aus Platzgründen auf der Bühne und nicht wie gewohnt im Orchestergraben untergebracht. Aber es ist auch wichtiger Spielpartner, um der „Kirche des Gewesenen“ Fülle einzuhauchen: Die Darsteller*innen spielen nicht in den luftleeren Raum, sondern mit und gegen das Orchester. Für die verstorbene Marie (Nerita Pokvytyte) wird es so zum Versteck und für Paul die unüberwindbare Mauer, die ihn von ihr trennt.

Die Bühne als Kirche

Beeindruckend ist die Bühne: Sakral wie ein Kirchenschiff wirkt sie. Sich überlagernde Holzdrucke des Künstlers Martin Werthmann zeigen verfremdete Fotos der zerstörten syrischen Stadt Aleppo – neben die Erinnerungen Pauls an die verstorbene Ehefrau tritt das kollektive Erinnern an Zerstörung. Dass beides in Beziehung gesetzt wird, unterstreicht den Wahnsinn Pauls, in dieses Mahnmal Statuen der Betrauerten zu stellen.

Im Hintergrund eine Videoinstallation von Rebecca Riedel, die Mariettas einstiges Leben als Tänzerin zeigt und dabei das Spiel der Verdoppelung weitertreibt. Kurz vor ihrer Ermordung sind Marietta, aber auch Marie in verschiedenen Kostümierungen und Posen zu sehen – Bilder, die an die ambivalenten Selbstinszenierungen der US-amerikanischen Künstlerin und Fotografin Cindy Sherman erinnern: Marie als Moorleiche, Marietta als Society Lady, Marie mit wehendem Haar.

Es ist dasselbe Prinzip wie in Shermans Fotoserie „Untitled Film Stills“, in der sie Ende der 1970er-Jahre Schauspielerinnen spielte, die wiederum typische Filmrollen von Frauen spielen: ein Starlet in einem Haus an der Küste oder eine hart, aber zugleich verletzlich wirkende Film-noir-Heldin.

nächste Vorstellungen: Sa, 25. 5., 29. 5.; 2., 7., 9., 13., 16. + 23. 6., Bremen, Theater am Goetheplatz

www.theaterbremen.de

Viele Regisseure nutzen für solch ein Verwechslungsspiel für beide Rollen dieselbe Darstellerin. Hier ist mehr Raum für die unterschiedlichen Charaktere beider Frauen. So werden sie Subjekte mit eigener Geschichte und eigenen Erzählungen.

Das ist die große Stärke dieser Inszenierung: Der alte weiße Mann mit seiner Wahnsinns-Geschichte rückt in den Hintergrund, die weibliche Hauptrolle in den Fokus. Und siehe da: Ihre Geschichte ist viel spannender – und plötzlich ist der Staub, der noch am Originalstück haftete, wie weggeblasen.

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