Offensive gegen Kurden in der Türkei: Demirtas steht massiv unter Druck

Zwischen der türkischen Armee und militanten Sympathisanten der PKK: Der Chef der kurdischen linken Partei HDP droht zerrieben zu werden.

Polizeieinsatz gegen kurdische Demonstranten

Polizeieinsatz gegen kurdische Demonstranten am Dienstag in Diyarbakir. Foto: reuters

ISTANBUL taz | Noch vor wenigen Monaten wirkte er wie ein strahlender jugendlicher Held, heute sieht Selahattin Demirtas nur noch müde aus. Als der Chef der kurdisch-linken HDP am Mittwochmittag in seiner Heimatstadt Diyarbakir vor die Presse trat, hatte er Ringe unter den Augen und wirkte zutiefst gestresst.

Seit Wochen steht er zwischen allen Fronten. Auf der einen Seite Erdogan und seine Armee, die seit mittlerweile drei Wochen in einer Großoffensive kurdische Städte umzingelt und zusammenschießt. Auf der anderen Seite die Militanten der PKK und ihre Sympathisanten, die ihrerseits mit Attacken auf Militär und Polizei die Gewaltspirale immer weiter drehen.

Am Mittwochmorgen musste Demirtas sich mit den Problemen der Geschäftsleute von Diyarbakir auseinandersetzen. Seit dem 4. Dezember ist die historische Altstadt von Diyarbakir, Sur, praktisch lahmgelegt. In der einen Hälfte wird gekämpft. Junge PKK-Militante haben Gräben ausgehoben und Barrikaden errichtet, die sie verbissen gegen das Militär verteidigen. Seit Tagen wird schon von Haus zu Haus gekämpft, es gibt etliche Tote auf beiden Seiten. Fast alle Anwohner haben ihre Häuser mittlerweile verlassen.

Aber auch der andere Teil der Altstadt, in dem nicht gekämpft wird, wirkt wie eine Geisterstadt. Nur Personen, die per Ausweis nachweisen können, dass sie dort wohnen, werden an den Polizeisperren rund um die gesamte Altstadt durchgelassen. Kaum noch jemand wagt sich auf die Straße.

Verwaist seit Mitte November

Für die Geschäftsleute von Diyarbakir ist das eine Katastrophe. Zwar leben die meisten Menschen der Millionenstadt schon längst in Neubauvierteln außerhalb der Altstadt, aber im historischen Zentrum ist der Markt der Stadt, befinden sich die Sehenswürdigkeiten Diyarbakirs, liegen die Restaurants und Hotels, in denen sich das gesellschaftliche Leben abspielt.

Schon seit Mitte November ist alles verwaist, sind die Geschäfte geschlossen. Demirtas verspricht den Mitgliedern der Handelskammer alles zu tun, damit in Diyarbakir wieder Normalität einkehrt, doch in Wahrheit hat er nur noch wenig Einfluss auf die Situation.

Kurz nachdem Erdogan seine Großoffensive begann, suchte Demirtas Hilfe in Washington und in Europa, doch weder US-Präsident Barak Obama noch wichtige EU-Politiker in Brüssel, Berlin und Paris wollen sich wegen der Kurden mit Erdogan anlegen.

In seiner Verzweiflung flog Demirtas sogar nach Moskau, um den russischen Außenminister Sergej Lawrow zu treffen. Doch was als Drohgebärde gemeint war, diente Erdogan vor allem dazu, Demirtas als Verräter an der Türkei hinzustellen.

In den Rücken gefallen

Weil der Kurdenchef in Moskau den Abschuss des russischen Kampfbombers durch die türkische Luftwaffe als Fehler bezeichnete, warfen Erdogan und Ministerpräsident Davutoglu dem Kurdenführer vor, seiner eigenen Regierung in den Rücken zu fallen.

Nachdem Demirtas dann am letzten Wochenende während einer zweitägigen Konferenz die mehrere der PKK nahestehende Organisationen in Diyarbakir veranstalteten, Autonomie für die Kurden der Türkei forderte und gar von einem eigenen Staat „noch in diesem Jahrhundert“ sprach, leitete der Generalstaatsanwalt Ermittlungen wegen Separatismus ein. Ministerpräsident Davutoglu sagte ein für Dienstag anberaumtes Treffen mit Demirtas ab, bei dem es um die Wiederaufnahme von Gesprächen über eine neue Verfassung gehen sollte.

Erdogan griff Demirtas wegen seiner Äußerungen bei dem Kongress persönlich massiv an. „Dies“ sagte er, „ist die Zeit, in der die Masken abgenommen werden und die Verräter sich zeigen. Was dieser Co-Vorsitzende der HDP getan hat, ist Verrat. Eine klare Provokation“.

Zwar genießt Demirtas noch parlamentarische Immunität, doch schon wird gemunkelt, die Regierung könnte den Krieg im kurdischen Südosten zum Vorwand nehmen, um ein Verbotsverfahren gegen die HDP einzuleiten.

So unter Druck gesetzt, ist Demirtas auch kaum noch in der Lage, mäßigend auf die PKK und ihre jugendlichen Anhänger einzuwirken. Stattdessen erklärte Figen Yüksekdag, die zweite Vorsitzende der HDP, am Dienstag: „Wir sind alles andere als Verräter. Wir sind loyal. Loyal gegenüber dem Kampf unseres Volkes“. Von neuerlichen Friedensgesprächen scheinen beide Seiten weit entfernt zu sein. Die Kämpfe gehen mit unverminderter Härte ins neue Jahr.

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