Natalie Horler über den ESC: „Wie ’ne türkische Hochzeit hier“

Natalie Horler singt am Samstag Abend beim Eurovision Song Contest für Deutschland. Ein Gespräch über Nervosität und Figurprobleme.

Natalie Horler noch ganz entspannt am Strand. Bild: dpa

taz: Frau Horler, Sie sind seit sechs Tagen in Malmö, Samstag treten Sie hier als Cascada-Frontfrau beim ESC auf. Wie geht es Ihnen?

Natalie Horler: Es ist superschön hier, mir geht es gut. Viele Proben, Interviews, aber jetzt freu ich mich, mit einer Freundin mal allein die Stadt zu erkunden.

Sie machen schon tagelang den Eindruck, alles sei easy. Kaum zu glauben bei der Menge an PR-Verpflichtungen.

Nee, easy ist das wirklich nicht. Meine Stärke ist aber, alles mit ein bisschen Spaß zu nehmen. Ich weiß von meiner Verantwortung und was ich hier zu machen hab. Gehört einfach zum Job, da darf man nicht drüber meckern.

Sie sind zehn Jahre in Ihrem Metier – macht das nicht gelassener?

Das würde ich nicht sagen, aber man lernt, dass Interesse an einem nicht selbstverständlich ist. Klar, ich hab ein Team, das mich schützt, wenn es zu viel wird. Heute war ich heiser aufgewacht – das dauernde Sprechen und Singen geht auf die Stimmbänder. Ich muss jetzt aufpassen. Worauf es ankommt, ist, dass ich Samstag den besten Job mache.

taz-Autor und Redakteur für besondere Aufgabe fährt seit 1992 zum Eurovision Song Contest. Auf eurovision.de, die Netzplattform des ESC-Senders NDR, bloggt er seit 2008 regelmäßig zu dieser größten europäischen Kulturveranstaltung.

Sie sprachen von Verantwortung – wofür?

Für ein ganzes Land anzutreten zum Beispiel. Man repräsentiert so viel als ein einzelner Mensch. Das ist eine Last, muss ich sagen. Wobei: Den Druck macht man sich mental natürlich selber, doch das finde ich auch richtig so. Ich will ja keine Erwartungen enttäuschen.

Was ist Ihr Ziel: Erste oder nicht Letzte zu werden?

Bloß nicht Letzte! Es sind 39 Länder hier im Spiel – da ist wohl klar: Die Chancen zu gewinnen sind gering. Ich will mit erhobenem Haupt nach Hause gehen. Die Leute sollen sich gefreut haben, dass ich an den Start gegangen war.

Immerhin wissen Sie, wie es ist, live vor sehr vielen Menschen aufzutreten.

Ja, ich weiß, wie man mit Nervosität umgeht. Deshalb habe ich vor Frischlingen hier beim ESC riesigen Respekt, wenn ich bedenke, welches Muffensausen mir hier der Auftritt bereitet. Trotzdem: So ein ESC ist für mich nicht alltäglich, oh nein.

Länder im Finale: 26. (13 weitere bereits in zwei Semis Dienstag und Donnerstag ausgesiebt.)

ESCs: Es ist der 58. Grand Prix Eurovision de la Chanson Européenne (Originaltitel, sonst: Eurovision Song Contest) seit 1956.

Pause: Türkei, Bosnien & Herzegowina, Portugal und Polen nahmen dieses Jahr eine ESC-Auszeit – mangels Finanzen.

Wertung: Alle Länder übermitteln ein Resultat, das sich hälftig aus dem Televoting und der Jury zusammensetzt. Abstimmen dürfen auch jene Länder, die im Halbfinale ausschieden.

Spezialitäten: Die höchsten Platzierungen, die ein Act mit der Startnummer 1 während der Televoting-Ära erzielt (seit 1997), waren Platz 5 jeweils für Zypern, Kroatien und Aserbaidschan (1997, 1998 und 2010). Sechs der vierzehn Eröffnungsacts kamen unter die Top 10 (1997, 1998, 2002, 2003, 2004 und 2010). Ein Act, der von der Startnummer 2 aus performte, hat noch niemals einen ESC gewonnen.

Favorisiert: Dänemark, Russland, Ukraine, Niederlande, Schweden, Norwegen.

Außenseiter mit Perspektiven: Island, Ungarn, Deutschland.

Ost-West-Verhältnis: Unter den 26 Teilnehmerländern kommen 11 aus den Ländern des früheren Ostblocks, 15 aus dem Bereich des klassischen ESC (von 1993 an kamen die exrealsozialistischen Länder zum ESC).

Blöcke: Alle fünf skandinavischen Länder haben sich qualifiziert; neun von zehn Ländern, die einst zur Sowjetunion zählten, sind heute abend dabei.

Sieger & Verlierer: Irland hat am häufigsten gewonnen (7 mal), Deutschland 2 mal). Auf dem letzten Platz landeten am häufigsten: Norwegen (10 mal) und Finnland (8), Deutschland 5 Mal.

TV: 21 Uhr ARD (Kommentar: Peter Urban) und eurovision.de als Livestream (bis 0:20 Uhr). Vor der Show wie nach dieser sendet die ARD live von der Eurovisionsparty auf der Hamburger Reeperbahn.

Wann ist die Eurovision für Sie interessant geworden?

Mit Lena, natürlich. Den ESC kenne ich aber, seit ich Musik mache. Ist schon sehr spannend, dieser riesige Event. Und ich hätte nie gedacht, dass ich mal mitmachen werde.

Arrivierte Künstler meiden den ESC, um international nicht für zu leicht befunden zu werden. Was hat Sie denn bewogen, sich um die Fahrkarte nach Malmö zu bewerben?

Wie Sie sagen: beworben. Einen Freischein wegen unseres Erfolgs gab es nicht. Fans von uns haben sich sehr gewünscht, dass wir es probieren. Wir haben nicht lange überlegt. Es gibt ja nicht mehr so viele wirklich große Events im internationalen Fernsehen.

Der ESC – nur eine internationale Auftrittschance?

Nein, nicht in erster Linie. Hier kommen Kulturen zusammen, man hört mal andere Sprachen. Das ist einfach anders als alles, was ich sonst kenne. Wie ’ne türkische Hochzeit, die ist auch ganz anders.

Ist es für Sie wichtig, beim ESC mitzumachen? Müssten Sie doch gar nicht mehr bei Ihrem Erfolg.

Die Frage wird sehr häufig gestellt. Für mich ist es so: Der ESC ist der größte Musikwettbewerb der Welt. Es ist mir eine Ehre, dass ich diese Erfahrung jetzt machen kann.

Was man über Cascada in Foren von Fans, in der Musikindustrie erfahren kann, ist: Ihre Musik wird vor allem von Frauen zwischen 15 und 25 gemocht. Sind Sie denen ein Idol?

Ich bekomme viel Post. Vor allem von jüngeren Frauen. Was ich lese, ist: Die schauen zu mir hoch wie zu einer großen Schwester. Sie schreiben: Ich wäre gern wie du. Ich sähe gern so aus wie du. Ich wäre gern so selbstbewusst, würde gern so singen können. Die schreiben mir: Ich würde gern deinen Humor haben. Und: Ich mag dein Lachen.

Mögen Sie solche Briefe?

Vor allem sind sie unheimlich schmeichelhaft. Offenbar ermutige ich sie, symbolisiere so etwas wie Selbstbewusstsein. Die sind entsetzt, wenn es in der Presse heißt, ich sei zu dick. Also ermutigen sie mich auch – ist das nicht wahnsinnig?

Womit identifizieren die sich?

Dass ich, auf gut Deutsch, fertiggemacht wurde. Und die sehen dann, dass ich normal bin, trotz der Angriffe lache und versuche, mein Ding durchzuziehen.

Frau Horler, haben Sie eine Message?

Sich selbst als okay zu respektieren, sich nicht unterkriegen zu lassen. Und: Du bist kein Makel. Als es hieß, ich sei zu dick, war ich verletzt – und dachte: Mit der Beleidigung gegen mich haben sie auch ihre Mütter und Freundinnen beleidigt. Niemand ist perfekt.

Und in Sachen Schönheit?

Ich finde es ganz, ganz schlimm, wenn Mädels sich unter Druck setzen. Magersucht ist eine Krankheit, mager zu sein keine Tugend. Ich bin für Sport, fürs Essen, fürs Fröhlichsein. Ich bin ganz normal. Das ist mein Signal.

Eine Eurovision-Sängerin ist einmal dabei beobachtet worden, wie sie aus lauter Angst vor Gewichtszunahme mageren Joghurt mit einem Zahnstocher als Ersatzlöffel aß.

Das ist ja krankhaft! Ich weiß, es ist ungesund, nicht genug Nahrung zu sich zu nehmen. Wenn ich schwitzend von der Bühne komme und nur so einen Joghurt auf diese Weise esse, würde ich kaputtgehen. Ich hab lieber Kraft und bin stark, nicht schwach und ängstlich. Das bringt nix, auch wenn es auf Kosten von 90-60-90 geht.

Sie haben ein schönes Wort neulich fallen gelassen: „Beauty-Routine“. Worin besteht die?

Die typischen Sachen, die wir Frauen regelmäßig machen müssen. Die man macht, wenn etwas Besonderes ansteht. Wenn es ein Fotoshooting gibt, ’ne Hochzeit hat, ein Event wie den Eurovision Song Contest, dann müssen die Nägel frisch gemacht sein, dann müssen die Ansätze bei den Haare wieder nachgefärbt sein, so Kleinigkeiten eben. So „Beauty-Routine“ eben.

Brauchen Männer das auch?

Die sollen ruhig haariger sein, mein Mann ist auch so. Sich zu pflegen ist ja einfach. Für Männer reicht aber, jeden Morgen zu duschen.

Und wenn Frauen es auch so bevorzugen wie Männer?

Ich persönlich find das nicht so schön, einfach aus ästhetischen Gründen. Ich will niemandem zu nahe treten, aber wenn man sich nicht unter den Armen rasiert? Mein Ding ist das nicht. Leben und leben lassen eben.

Keine weiteren Tipps?

Ich will keinem reinreden. Ich will doch auch nicht, dass man mir reinredet.

Sie wollen junge Frauen ermutigen – was ist Ihr eigenes Rezept?

Ich verstelle mich nicht. Ich empfinde mich nicht als VIP, als Star. Wie man mich erlebt, so bin ich. Es gibt kein Rezept.

Was macht Sie stark?

Der Job hat mich gestärkt, der Erfolg. Als Kind war ich schon der Witzbold – und immer ein bisschen schüchtern. Viele Jahre habe ich mich nicht getraut, in der Öffentlichkeit zu singen. Und hatte Bauchweh vor Auftritten, aber ich zwang mich, weil ich wusste, das ist mein größter Traum: Sängerin zu sein.

Können Sie etwas mit Feminismus anfangen, mit der Emanzipation von Frauen?

Es gibt keinen Grund, warum Frauen weniger bezahlt bekommen für die gleiche Arbeit wie Männer. Aber ich bin nicht so extrem streng. Mir liegt es nicht zu sagen: Hier bin ich, ich bin genauso stark wie ihr Männer. Ich finde es nicht immer so notwendig, offensiv zu sein. Ich denke nicht immer über Ungerechtigkeiten nach, auch wenn ich weiß, dass es sie gibt.

Befürworten Sie eine Quotenregelung für Frauen in Führungspositionen?

Weiß nicht, ob ich mich so aus dem Fenster lehnen sollte, aber generell würde ich sagen: Ja, wenn das nötig ist, dann braucht man eine Quote.

Beeindrucken Sie Frauen, die klassisch Männliches wie Handwerkerei mögen?

Mal privat gesprochen: Ich bin selbst Handwerkerin. Bei meinem Mann und mir bin ich diejenige, die dafür zuständig ist. Ich mag das. Einer meiner Freunde ist Schreiner. Mit dem bin ich früher mitgefahren. War interessant zu sehen, wie eine Balkontür repariert wird.

Was ist am Sonntag?

Der ESC vorbei! Dann geht das Leben weiter. Das wird sich, egal wie ich abschneide, nicht ändern. Vorher geben ich 150 Prozent!

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