Neukölln als Zentrum für Kunst: Braukunst der Gegenwart

Ein Schweizer Ehepaar baut die alte Kindl-Brauerei in Neukölln zum Zentrum für zeitgenössische Kunst um. Was macht das mit dem Kiez?

Wo einst Bier gebraut wurde, soll jetzt die Kunst einziehen: Blick in die alte Kindl-Brauerei Bild: dpa

Der Wind pfeift über die weite Fläche, wo einmal im Minutentakt Pferdekutschen an- und abfuhren. Sie brachten leere Bierfässer und nahmen die vollen wieder mit, verteilten sie von Neukölln aus in die ganze Stadt. Das laute Treiben, das auf dem Vorplatz der Kindl-Brauerei stattgefunden hat, die schnaubenden Rösser – man kann es sich heute nicht mehr vorstellen beim Blick über den zugigen, menschenleeren Platz. Ganz in der Nähe wurde im 19. Jahrhundert das erste Kindl-Bier gebraut, vor den Toren der wachsenden Metropole. 1930 folgte der neue Klinkerbau im Rollbergkiez, errichtet mit dem Anspruch, das schönste Brauhaus Europas zu sein: Schmale, hohe Fenster strukturieren die rotbraune Fassade, ein mächtiger quadratischer Turm ragt in die Höhe. Zwei Spitzbögen markieren einen Eingang wie in eine Kirche. Im gut erhaltenen Sudhaus lässt sich der Glanz vergangener Tage erahnen: Sechs blankpolierte Kupferkessel, dazwischen eine elegante Treppe, die auf eine Empore führt – es sind die Details, die dem Bau einst den Titel „Palast Berliner Braukultur“ einbrachten. Bis 2005 war es in Betrieb, dann verlegte Kindl die Produktion nach Weißensee.

Von dieser Schönheit ist auch Andreas Fiedler gefangen. Der Kurator ist verantwortlich für das Programm von „Kindl“, einem Zentrum für zeitgenössische Kunst, dessen Eröffnung im alten Brauereigebäude für Herbst 2014 geplant ist. Einen „lebendigen Kunstort“ stelle er sich vor, sagt der Schweizer, als er seine Führung zwischen den mächtigen Kupferkesseln im Sudhaus beginnt. Dort gab es Mitte September schon einen Vorgeschmack auf das kommende Programm: Die Gruppe Les Femmes Savantes entwickelte mit dem Lichtkünstler Michael Vorfeld eine Performance aus Musik, Videos und Projektionen. Dabei konnten die Besucher in die riesigen Sudpfannen klettern, um ihre außergewöhnliche Akustik wahrzunehmen. Das wird in Zukunft nicht mehr möglich sein: Im Sudhaus wird ein Café eingerichtet, das Fiedler frei von Kunst halten will. „Der Raum ist jetzt schon überwältigend“, findet er, außerdem sollen die Kessel und Rohre dazu dienen, den hohen Raum zu heizen.

Im Kesselhaus nebenan werden jeweils ein Jahr lang Arbeiten zu sehen sein, die Künstler speziell für diesen Ort entwickelt haben. Welche Künstler hier ausstellen sollen, verrät Fiedler, der allen Nachfragen zurückhaltend begegnet, nicht. In der Vergangenheit arbeitete er unter anderem mit dem chilenischen Installationskünstler Alfredo Jaar, dem Schweizer Bildhauer Roman Signer und der iranischen Fotografin Shirana Shahbazi.

Beim Rundgang passt Fiedler auf, dass niemand in eines der klaffenden Löcher im Betonboden fällt. Hier wird klar, dass noch einiges am Gebäude gemacht werden muss, und erst recht beim weiteren Gang über wacklige Treppen bis unters Dach, wo Tauben nisten und fehlende Fenster einen Blick bis hin zum Alexanderplatz freigeben.

Nach dem Umzug der Brauerei wurde das Gebäude nur gelegentlich genutzt, für Ausstellungen, Performances und Partys. Für den Umbau der denkmalgeschützten Fabrik stehen nun 6 Millionen Euro zur Verfügung. Keine sehr hohe Summe, wenn man Kosten für Gutachten, Baumaßnahmen, Sicherheitstechnik bis hin zur Einrichtung überschlägt. Das Geld stammt vom Schweizer Ehepaar Burkhard Varnholt und Salome Grisard. 2011 kauften sie den 5.500 Quadratmeter großen Gebäudekomplex – unter der Auflage, ihn kulturell zu nutzen.

Der Bankier und die Architektin sind zwar Kunstsammler, haben aber nicht im Sinn, ihre eigenen Erwerbungen hier auszustellen. Sie gaben dem Kurator allein die Einschränkung auf internationale Gegenwartskunst, die er in thematischen und monografischen Schauen präsentieren wird. Das Paar finanziert auch den kompletten Betrieb. Geld aus öffentlichen Mitteln gibt es nicht. Trotzdem will der Kurator die Eintrittspreise niedrig halten. Auch denkt er über freien Eintritt an einem Sonntag im Monat nach. „Über die Einnahmen von den Besuchern kann man so ein Haus sowieso nicht finanzieren“, sagt Fiedler. Da sei es wichtiger, ein weniger wohlhabendes Publikum zu erreichen – und damit auch die Menschen vor der eigenen Haustür. Der Schweizer Kurator weiß um den Kiez, um Armut und Bildungsnot, aber auch um den rasanten Wandel, der sich hier vollzogen hat – und für den auch Projekte wie seines verantwortlich gemacht werden, weil sie den Kiez aufwerten und die Mieten in die Höhe treiben.

Angebote für Kinder

„Ich habe nicht damit gerechnet, dass hier so heftig über diese Dinge diskutiert würde“, sagt Fiedler über die Debatten in der Stadt. Die Nachbarschaft soll deshalb mit museumspädagogischen Angeboten für Kinder eingebunden werden. Die Schweizer setzen auch auf die Strahlkraft des Ortes, seiner industriellen Architektur, die schick und angesagt ist. An einigen Stellen fühlt man sich wie in einer kleinen Ausgabe des Berghain oder der Londoner Tate Modern.

Die Kulturlandschaft in Nordneukölln entwickelte und festigte sich in den vergangenen Jahren, von mutigen Pionieren bis zu einer neuen Generation mit einem Programm, das den Anschluss an etablierte Kunstorte in Berlin sucht. In unmittelbarer Nähe von „Kindl“ zeigt sich, dass Kunst in Neukölln vor allem spannende Nischen besetzt: Da ist der Rroma Aether Klub, ein von Roma betriebenes Theater, das Idrawalot, eine Galerie für Zeichnung und Urban Art, und vor allem die Kunstfiliale, die im Auftrag des Quartiersmanagements Künstler im Flughafenkiez unterstützt.

Die Künstlerin Natalie van Sasse van Ysselt betreibt neben der Kunstfiliale den Projektraum Kaleidoskop. Sie bewertet den Zuzug der neuen Nachbarn positiv, der Kiez könne dadurch einen Sprung machen: „Grundsätzlich ist die Boddinstraße ein guter Standort für Kunst, aber es gibt noch viel Platz für Entwicklung.“

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