Neues Onlinemagazin „Fahrenheit 451“: Mehr Kultur wagen

Der „Perlentaucher“ debattiert über die Gründung einer neuen digitalen Kulturzeitung. Ein lohnender Diskurs.

Ein Junge taucht im Pool

Perlentaucher sichtet Tag für Tag die Zeitungen und Journale zu den einschlägigen Kulturfragen. Foto: dpa

Die Lage der Kulturteile in Zeitungen ist prekärer denn je. Das Feuilleton der FAZ ist dünner als jemals zuvor, das der SZ ist auch schon Kosteneinsparungen wegen gelichtet worden. Das durchweg ökonomisch inspirierte Argument war (ist und wird sein) stets das gleiche: Kulturtexte werden vom Publikum am seltensten gelesen.

Ein Onlineportal allerdings beweist seit anderthalb Jahrzehnten, dass Kultur und Debatten ein anspruchsvolles Niveau haben können: Perlentaucher, herausgegeben vom früheren taz- und SZ-Redakteur Thierry Chervel und von der taz-einstigen Redakteurin Anja Seeliger, bilanziert Monat für Monat 600.000 Besucher_innen auf seinen Seiten.

Dort finden seit Jahren die wichtigsten (und radikalsten) Diskussionen zu allen Aspekten des Kulturellen statt. Die Macher sichten Tag für Tag nicht nur die Zeitungen und Journale zu den einschlägigen Kulturfragen, mehr noch organisieren seine Redakteure selbst Dispute. Vor Jahren etwa eine in der Gründlichkeit unübertroffene zum Islam (und zur Religion überhaupt), ebenso bemerkenswert war eine Essayreihe zum „Monotheismus“.

Ohne einen Zeitungsredakteur in einem Feuilleton beleidigen zu wollen, muss man sagen: Perlentaucher operiert im hiesigen Kulturfeld so instruktiv und aufklärerisch wie keine Institution sonst. Das Credo aller Debatten darf so umrissen werden: Keine Rücksicht auf kulturalistische Empfindlichkeit – mehr Voltaire, bitte!

Beliebigkeit des Literaturjournalismus

Die jüngste Debatte allerdings wirkt verstörend. Wolfram Schütte initiierte am 24. Juni „Über die Zukunft des Lesens“ eine neue Onlinezeitschrift namens Fahrenheit 451. Der frühere FR-Kulturredakteur, selbst journalistisch über die Online-Plattform CulturMAG engagiert, schlägt diese digitale Zeitung vor, um vor allem der Beliebigkeit des Literaturjournalismus beizukommen.

Selbst in den in den vergangenen Dekaden tonangebenden Zeitungen fände nur noch selten ein echter und ernsthafter Streit um Literarisches statt. Rezensionen seien viel zu häufig Animationswerk für das ohnehin Übliche, allzu stark seien die personellen Zuspitzungen, die Hervorhebung des Autors, nicht des von ihm oder ihr gefertigten Textes.

In der Debatte um den Vorschlag wurde der Vorschlag als faszinierend notwendig erachtet – vor allem der inzwischen als Merkur-Redakteur arbeitende Ekkehard Knörer analysierte, nicht viel spreche für das Projekt, aber insgesamt wäre es schön, würde es sich finanzieren können.

Fragt sich nur: Durch wen? Und für welche Leserschaft? Übernimmt nicht schon Perlentaucher ein Gros dessen, was Fahrenheit 451 selbst erst möchte – Debatten um Literarisches in die Welt zu tragen? Andere, Thorsten Jantschek im Deutschlandradio etwa, teilen diesen Befund: Ist die Unübersichtlichkeit der Feuilletons im Internet nicht vielmehr ein Zugewinn an Diversität – und sind die Zeiten der redaktionell ausgewählten Beiträge nicht durch das Internet vorbei?

Die Diskussion geht natürlich weiter, weil ja keine irgendwann wirklich zu Ende ist. Könnte es nicht eine Erwägung sein, auf Fahrenheit 451 zu verzichten, das womöglich wie der Krautreporter à la longue zu scheitern. Sondern im Perlentaucher die literarische Kompetenz zu holen, um dem Mangel an Diskurs abzuhelfen? Und dieses Online-Portal mit Crowdfundingmodellen finanziell viel besser auszustatten?

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