Neues Album von Tune-Yards: Ein Floh im Ohr

Irgendwo zwischen Sozialkommentar und Kinderreim: Die US-Indie-Band veröffentlicht das Album „I can feel you creep into my private life“.

Tune Yards hinter einem Mikrofon

Tune-Yards 2014 beim Austin City Limits in Austin, Texas Foto: dpa

Was für ein garstiger böser Ohrwurm! Da erwischt man sich dabei, dieses aufmerksamkeitsheischende musikalische Programm vor sich hin zu summen: „I am exceptional / I am an exception / I am the exception/That’s for me, that’s also for me / I am a contradiction / I’m fascinating / Not enough, too much / Tell me I’m special.“ Jenen ironischen US-Exzeptionalismus-Song will man nicht wirklich auf der Zunge haben. Sie spuken jedoch im Kopf herum, diese Zeilen aus „Now as Then“, einem Song vom neuen Tune-Yards-Album. Es ist das insgesamt vierte Werk seit „Bird-Brains“, dem ideenstrotzenden, eklektizistischen Worldmusic-2,0-meets-Indiepop-Debüt von US-Künstlerin Merrill Garbus.

Ihr hinterlistiger Ohrwurm klingt wie eine satirische Zuspitzung und sticht heraus auf einem Album, das sonst eher introspektiv wirkt. Merrill Garbus ist Tune-Yards (auch wenn Bassist Nate Brenner, langjähriger musikalischer Wegbegleiter, inzwischen offiziell Teil des Projekts ist). Und die Kalifornierin zeigt sich amüsiert, wenn auch leicht betreten, als ich ihr meine Deutung erzähle, dass ihr Song eine muntere Kakophonie von modernem Narzissmus thematisiere. Leider sei es gar keine Satire, erklärt Garbus. Umso besser gefalle ihr diese Deutung. „Eigentlich handelt der Song von mir. Mein ganzes Leben wurde mir eingeredet, ich sei etwas Besonderes und müsse etwas daraus machen. Insofern ist es weniger Gesellschaftskritik und mehr Angeekeltsein von meiner Privilegiertheit.“

Die eigene Position zu reflektieren war immer ein Anliegen der 38-jährigen Garbus. Doch auf ihrem neuen, passend betitelten Album „I can feel you creep into my private life“ geht sie zugespitzter, weniger bedeutungsoffen zur Sache als bei manch früherer Komposition. Was durchaus einen allgemeinen Trend reflektiert, der das vergangene Popjahr ausmachte: die Politisierung des Privaten. Man denke etwa an die radikale Selbstbefragung von R&B-Talent Kelela und den US-Rapper Kendrick Lamar, der mit dem Album „DAMN.“ seine Einstellungen auf den Prüfstand stellte, während er mit dem Vorgänger „To Pimp a Butterfly“ noch ein Gesellschaftspanorama gezeichnet hatte. Vor dem Hintergrund eines politisch vergifteten Klimas beschäftigen sich besonders viele US-Künstler mit der Frage, inwieweit der Wahnsinn da draußen mit einem selbst zu tun hat. Immerhin tut Garbus das auf so abstrakte Weise: Irgendwo zwischen Sozialkommentar und Kinderreim entwickelt sie Musik, in der Raum für – wie oben erwähnte – potenziell produktive Missverständnisse bleibt.

Mantren einbimsen

Einst erklärte Garbus in einem Interview, Songtexte bedeuteten ihr so wenig, dass sie sich bei Songs zuerst für Rhythmen, dann für Melodien und erst zu guter Letzt für Lyrics interessiere. Insofern erstaunlich, wie gut sie es versteht, einem zwingende, in dem Fall eher ungemütliche Mantren einzubimsen. „Tatsächlich hat sich meine Sicht darauf verändert. Früher fand ich Songtexte oftmals zu banal. Das hat sich gründlich geändert, was vor allem an HipHop liegt, den ich ausgiebig gehört habe. Durch ihn habe ich verstanden, wie musikalisch Worte sein können und dass es Spaß bringt, mit ihnen zu spielen. Ehrlich gesagt, Sprache ist mittlerweile der Hauptgrund, dass ich für den Rest meines Lebens Songs komponieren werde.“ Kein Wunder also, dass Fragen zu Songtexten bei Garbus zu allerlei Umwegen führen.

Obwohl es noch früh am Tag in Oakland ist, einem Ort der Bay Area nahe San Francisco, wo Garbus lebt, ist die Künstlerin in Plauderlaune: Erzählt etwa davon, dass „Social Justice Warrior“ zum negativen Kampfbegriff der Alt-Right-Bewegung geworden ist. „Cool, das will man doch gern sein“, hält Garbus dagegen. Oder spricht davon, wie erhellend die Lektüre von Yuval Noah Harris’ „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ für sie war. In dem Ohrwurm-Song „Now as Then“ findet sich auch die eindrücklichE Zeile: „I don’t wanna be a woman / If it ­means not being a human“. Garbus gesteht: „Ziemlich krasse Aussage, schließlich habe ich mein bisheriges Leben damit verbracht, selbst zu erforschen, was es bedeutet, weiblich zu sein. Ich war an einem Frauencollege, habe mich mit Körperpolitik beschäftigt. Und das ist dann das Fazit. Wobei ,human' auch ein Platzhalterbegriff ist, denn es offenbart sich ja immer mehr, dass ‚menschliche‘ Verhaltensweisen nicht unbedingt Gutes bewirken.“

Bei all diesem Bedeutungsvollen darf der Sound des neuen Tune-Yards-Albums keinesfalls vergessen werden. Denn Garbus ist damit wieder näher an der Lofi-Ästhetik ihres Debüts, das sie seinerzeit auf einem Diktiergerät aufgenommen hatte. Seither hatte sie ihre Mischung aus Folk, Afro-Beat, R&B und Pop stets verfeinert. Für ihr letztes Album „Nikki Nack“ hatte sie sogar Molly-Ann Leikins Selbsthilfe-Buch „How To Write A Hit Single“ konsultiert.

Merrill Garbus, Tune-Yards

„Von HipHop habe ich gelernt, wie musikalisch Worte sein können“

Klangliche Stolpersteine

„I can feel you creep into my private life“ kommt dagegen auch rumpeliger und etwas unzugänglicher daher als der poppigere Vorgänger. Garbus freut sich über diese Einschätzung: „Beim letzten Album ging es tatsächlich darum, zu beweisen, dass wir es draufhaben, klassischen Pop zu machen. Jetzt interessiert uns mehr, zu experimentieren. Es bringt mehr Freude, an einer unebenen Klangtextur zu arbeiten, als die Songs zu glatt zu polieren.“ Und tatsächlich sind die klangliche Stolpersteine so gesetzt, dass die Musik weniger einnehmend daherkommt, trotz Garbus’ immer wieder bemerkenswerter, eindrucksvoll raumgreifender Stimme. Die Anmutung ist spröder, ein bisschen fehlt dadurch die verspielte Magie früherer Werke.

Mit Ideen jonglieren und nach innen schauen geht eben nicht unbedingt zusammen. Was Tune-Yards auf Album bannt, ist jedoch sowieso eine zweitrangige Erfahrung gegenüber den großartigen Live-Konzerten, bei denen Garbus’ Bühnenpräsenz das Publikum immer wieder wegbläst. Sie sieht das ähnlich, auch wenn sie kokettierend kontert, dass das wohl in letzter Konsequenz bedeutet, dass „wir bessere Alben machen müssen“. Doch da das Live-Spielen für sie spirituelle Erfahrung ist, sei sie nicht überrascht, dass das auch vom Publikum so empfunden wird. Beide Eltern sind Folkies. Musikmachen war von Kindesbeinen selbstverständlich für Garbus, später studierte sie Theater. „Insofern habe ich schon immer performt. Die Arbeit im Studio ist dagegen relativ ungewohnt für mich.“

Tune-Yards: „I can feel you creep into my private life“ (4 AD/Beggars/Indigo); live: 24. 3., Gebäude 9, Köln, 27. 3., Festsaal Kreuzberg, Berlin, 28. 3., Uebel & Gefährlich, Hamburg

Was bei ihren Studio-Experimenten entsteht, ist auch diesmal enorm hörenswert. Allmählich lichtet sich die Überfrachtung und der Popappeal klingt durch. Noch toller allerdings werden wohl auch diesmal die Konzerte ausfallen. Deshalb: unbedingt hingehen!

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