Neues Album von Martha Wainwright: Wenn es Kaugummis regnet

Die kanadische Singer-Songwriterin inszeniert ihr Album „Goodnight City“ ungewohnt elektronisch. Und doch bleibt der Wainwright-Kosmos klassisch.

Martha Wainwright posiert in einer Fabrikhalle, Schwarz-weiß-Foto mit doppelter Belichtung

Vergangenheit und Zukunft – klassische Elemente und Elektropop: das Album Goodnight City Foto: ap

Das Anspielen der Bassdrum, ein schneidendes Gitarrenriff dazu, der Viervierteltakt ist vorgegeben, im zweiten Takt setzt die markante Stimme ein und sofort füllt sich der Martha-Wainwright-Kosmos mit Leben. „Around the Bend“ heißt der von einer gezupften Triole bestimmte Auftaktsong ihres neuen Albums „Goodnight City“, auf dem die kanadische Singer-Songwriterin traditionell zu Werke geht – und doch einiges anders macht.

Inhaltlich geht es in vielen Songs – wie oft bei Wainwright – unverschlüsselt persönlich zu. „Around the Bend“ ist eine Ausnahme: Hier singt sie von übermäßigem Pillenkonsum, etwas, womit die 40-Jährige laut eigenen Angaben zwar Erfahrungen gemacht habe, die aber eher marginal seien. Es gehe viel mehr ums Loslassen.

In „Francis“ huldigt sie ihrem 2014 geborenen zweiten Sohn Francis (auf dem Vorgängeralbum „Come Home to Mama“ besang sie 2012 bereits Arcangelo, geboren 2009) mit ungebremster Emotionalität: „Everything about you is magical … my heart is on fire for you“. Selbst der Albumtitel geht auf Francis zurück: Wenn der Zweijährige verlangte „Goodnight City“ vorgelesen zu bekommen, meinte er in Wahrheit das Kinderbuch „Goodnight New York City“.

Zärtliche Klavierbegleitung

Marthas älterer Bruder Rufus hat mit „Francis“ zum selben Thema einen distanzierteren, poetischen Song geschrieben. Darin vergisst er die Zeit um sich herum, wenn er mit seinem Neffen Blicke tauscht. Martha Wainwright intoniert den Song anfänglich zurückhaltend, wird von zärtlicher Klavierbegleitung getragen, beide schwingen sich im Stil eines 40er-Jahre-Chansons zu imposanter Größe auf, die fast schon erschlagend ist. Hier drückt Rufus, der bei allen Stücken des Albums am Klavier sitzt, seinen Las-Vegas-Entertainer-Stempel am markantesten auf.

Auch in der Produktion setzt Wainwright auf bewährtes und vertrautes Personal. Ihr Ehemann Brad Albetta, der auch elektronisches Gerät bediente und Bass spielte, produzierte das Album gemeinsam mit Thomas Bartlett, dessen Keyboardspiel dem Album einen neuen unterschwelligen Drall hin zum elektronischen Pop verleiht. Gemeinsam mit dem Drummer Phil Melanson haben die vier das Album live eingespielt, nur wenige Overdubs wurden hinterher vorgenommen. Das, so Wainwright, würde die Songs und die Tatsache, dass sie als Band gut zusammenspielen können, in den Mittelpunkt stellen.

Etwa die Hälfte der Songs komponierte Wainwright, die andere Hälfte stammt aus der Feder von Verwandten und Freunden. Da die Komponist*innen sie gut kennen würden, sie sogar hier und da Dinge ändern durfte, kam es ihr so vor, als hätte sie die Songs selbst geschrieben, so Wainwright. Das beschwörende „Look Into My Eyes“ entstand zusammen mit Wainwrights Tante Anna McGarrigle – die mit Wainwrights Mutter Kate bis zu deren Tod 2010 als prägendes Folk-Duo auftrat – und Cousine Lily Lanken. Eine federnde Synthie-Koloratur verleiht dem Song zusammen mit Wainwrights mit viel Hall belegtem Gesang eine sphärische Note, die von einem wohlüberlegten Saxofon geerdet wird.

Geradezu housy klingt „Take the Reins“, das Merrill Garbus von der kalifornischen Experimentalband tune-yArDs komponiert hat. Brad Albettas licht pulsierender Bass gibt dem Song die entspannte Form vor, Wainwright schraubt sich in Donna-Summer-Manier in einen Discohimmel, aus dem es Kaugummis regnet, während knarzende Synthies zu Verrenkungen auf dem Tanzboden einladen.

Etwa die Hälfte der Songs stammt von Wainwright, die

andere Hälfte stammen aus

der Feder von Verwandten

und Freunden

Der kanadisch-multinationale Schriftsteller Michael Ondaatje, ein Fan der Sängerin, steuerte den Songtext zu „Piano Music“ bei. Trotz aller kolportierter Vertrautheit wirkt die Wainwright ausgerechnet bei dieser Kollaboration unglücklich, sie vermag sich auch die Komposition von Thomas Bartlett nicht zu eigen zu machen.

Dass Wainwright bei den Aufnahmen „so viel Spaß gehabt hat, wie schon lange nicht mehr“, ist in „So down“ am deutlichsten zu hören. Es ist ein Glam-infiltrierter Rocksong. In chromatischen Schritten bewegt sich Wainwright elegant röhrend die Tonleiter hinab, an deren Ende sie sich mit Joan Jett im Keller zum Reibeisenschärfen trifft.

Martha Wainwright: „Goodnight City“ (PIAS/Cooperative Music).

Auf „Goodnight City“ präsentiert Martha Wainwright ihren Kosmos als einen offenen Raum, in dem erdverbundene Singer-Songwriter-Arrangements mit Elektropop und, ja, Rock, eine zukunftsorientierte Verbindung eingehen. So ist das Coverfoto, auf dem Wainwright sowohl nach hinten als auch nach vorn blickt, wohl auch als Motto zu verstehen.

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