Neues Album von M.I.A.: Sie gibt niemals auf

Nun ist „Matangi“ raus. Die britisch-tamilische Künstlerin M.I.A. will es wieder allen zeigen: dem Ex, dem Westen und den Imperialisten sowieso.

Anti-imperialistische Hupfdohle: M.I.A. beim Burn Selector Festival 2013 in Warschau. Bild: dpa

„Matangi“, das vierte Album von Matangi „Maya“ Arulpragasam alias M.I.A., war ursprünglich bereits für Sommer 2012 angekündigt, zeitgleich mit einer Autobiografie der Künstlerin und einem ihr gewidmeten Dokumentarfilm. Doch daraus wurde nichts.

„Niemand in der Industrie hat in den letzten drei Jahren so viele Schläge abbekommen wie ich. Das ist ein Fuck you an euch – und ein Danke an meine Fans!“, teilte sie noch 2012 ihren Followern via Twitter mit. Doch die Welt werde demnächst die ganze, ungeschminkte Wahrheit über die Frau hinter dem Pop-Phänomen M.I.A. erfahren. Darauf wies auch der Titel des nach ihrem bürgerlichen Vornamen getauften Opus //soundcloud.com/miauk:„Matangi“ hin. Maya – so hieß noch der Vorgänger – war nur ihr Spitzname.

Vor gerade acht Jahren überrumpelte eine bis dato unbekannte M.I.A. die internationale Musikszene mit ihrem Debüt „Arular“, einem extravagant eigenwilligen und energetischen Mix aus urbanen Sounds – von Grime über Electroclash bis Baile Funk – und politisch engagierten Texten, die ihre Erfahrung mit dem Bürgerkrieg im heimatlichen Sri Lanka und dem Rassismus im englischen Asyl zum Thema machten.

Das Album: M.I.A.: „Matangi“ (N.E.E.T/Interscope/Universal)

taz am Wochenende: Monsanto gibt auf: 2013 wurde in Deutschland keine gentechnischveränderte Pflanze angebaut. Die Geschichte dieses Konsumkriegs lesen Sie in der taz.am wochenende vom 2./3. November 2013. Terror und Überwachung haben eins gemeinsam: Sie können jede treffen. Und: „Die Sendung mit der Maus“ atmet den Geist von '68, sagt Christoph Biemann. Außerdem: Der Mensch in der Revolte – In ein paar Tagen wäre Albert Camus 100 geworden. Am eKiosk, Kiosk odergleich im praktischen Wochenendabo.

„Like PLO Don’t surrender!“, (Ich gebe niemals auf, wie die PLO!), rappte sie im Song „Sunshowers“. Ihr Antrag auf ein Visum in die USA wurde prompt abgelehnt. Die klangliche Inspiration für ihr 2007 erschienenes Album „Kala“ holte sie sich stattdessen dann in Jamaika, Liberia, Angola, Indien und Australien. Ziel- und stilsicher avancierte sie als einstiger Kriegsflüchtling zum Sprachrohr der „Third World Democracy“ – wie eine Textzeile aus „Paper Planes“ verkündet. Der mit Pistolenschüssen und klingenden Kassenschubladen untermalte Song landete auf dem Soundtrack von „Slumdog Millionaire“.

Kritik aus Beverly Hills

Der Film räumte bei den Oscars 2009 acht goldene Statuen ab, unter anderem für die beste Musik, und katapultierte die Underground-Ikone über Nacht in die Topliga der Popindustrie. Von dann an kamen die Schläge, und es hagelte Kontroversen, Polemik und knallharte Kritik.

In der New York Times wurde sie 2010 von der Journalistin Lynn Hirschberg seziert und als politisch naiv und heuchlerisch porträtiert. Damals residierte M.I.A. in Beverly Hills mit ihrem Verlobten Ben Bronfman, Erbe des milliardenschweren Seagram-Imperiums (eines der weltweit größten Spirituosenhersteller) und Sohn des Firmenchefs von Warner Music Group.

Wie passt das mit ihrem Image als Verfechterin der unterdrückten Völker, auf das sie lautstark beharrt, zusammen? Hirschbergs Fazit: M.I.A.s hohler „Agitprop Pop“ dient vor allem ihren eigenen Interessen.

Doch ihre Zeile „I fight the ones who fight me“ im Song „Lovalot“ ist kein reines Lippenbekenntnis. Wütend postete sie verzerrte Interviewfetzen auf ihrer Website und twitterte Hirschbergs private Handynummer – eine Einladung an ihre Fans, der kritischen Journalistin mal die Meinung zu geigen.

Fuckfinger als Rundumschlag

Während ihres Liveauftritts beim Super Bowl 2012, bei dem sie an der Seite von Madonna und der Rapperin Nicki Minaj auftrat, streckte sie vor laufenden Kameras einem 111,3 Millionen Fernsehpublikum den Mittelfinger entgegen. Diesmal kam M.I.A. nicht so einfach davon: Die National Football League kündigte an, die Künstlerin auf eine Geldstrafe in Höhe von anderthalb Millionen US-Dollar verklagen zu wollen. Zudem müsse sie sich öffentlich für die unflätige Geste entschuldigen.

Man weiß nicht, welche Strafe sie härter trifft. In einem derzeit auf YouTube //www.youtube.com/watch?v=wyVh0O8DiCs:kursierenden Video macht M.I.A. auf die sexuell explizit tanzenden Cheerleaders aufmerksam, die Madonna für ihre Show aus einer Highschool in Indianapolis angeheuert hatte, und fragt: „Was ist für das Familienpublikum die größere Zumutung? Mein Finger oder das halbnackte, minderjährige schwarze Mädchen mit weit gespreizten Beinen?“

Dieser sexualisierten Zurschaustellung von Frauen habe sie lediglich eine weibliche Bevollmächtigung durch Punk-Rock entgegengestellt. Genau das werde ihr nun vorgeworfen, und dafür solle sie sich entschuldigen? Ihr als ultimativer Fuckfinger angekündigter Rundumschlag aus Biografie, Album und Dokumentarfilm steht mittlerweile auch auf der Kippe.

„Ich bin raus“

Im Juli stellte Regisseur Steve Loveridge einen ersten Teaser auf seinen Blog, der mit dem M.I.A.-Zitat endet: „I could be a genius, I could be a cheat, it’s a thin line and I’m fucking with it.“ Kurz darauf wird das Video vom Label aus dem Netz entfernt – angeblich wegen Copyright-Verletzung. Fans vermuten als Beweggrund für die Zensur eher Bedenken um die Vermarktbarkeit von M.I.A.s Image und Authentizität. Der Regisseur Loveridge dazu: „Ich bin raus. Ich würde lieber sterben, als an dem Projekt weiterzuarbeiten.“ Ob der Film noch herauskommt, ist fraglich.

Die ständige verzögerte Veröffentlichung von „Matangi“ kommentierte M.I.A. Anfang des Jahres in einem Interview mit dem australischen Internetmagazin Gold Coast: „Ich dachte, das Album wäre fertig. Aber meinem Label [Interscope] ist es zu positiv, die wollen, dass es irgendwie düsterer wird.“ Was damit gemeint sei, müsse sie erst mal verarbeiten. Auf Anhieb klinge es jedenfalls absurd, als wolle das Label einen Wandel von ihrem ursprünglichen Riot-Grrrl-Image verhindern.

Im August schließlich twittert die Künstlerin, dass es ihr reicht: „Wenn Interscope jetzt weiter bremst, stelle ich die Musik einfach selbst ins Netz und mache eine neue, bis die endlich so weit sind.“ Das Label reagierte sofort: Nun erscheint das Album am 4. November.

Hysterisch hypnotisch

Ob das Werk nun M.I.A.s ursprünglichem künstlerischem Vorhaben entspricht oder den Interessen ihres Labels, lässt sich kaum beurteilen. Textlich geht es jedenfalls – wie zu erwarten – vorrangig um die aggressive Verteidigung ihrer Authentizität: „Lara Croft ist soft / When it comes to my stuff / She‘’ made up / I’m real! I’m a lady of rage“, rappt sie in „Only 1 U“.

Die wütende Kampfansage verkommt in „Come Walk With Me“ kurzzeitig zur parodistischen Karikatur: „There is nothing that can touch me now /You can’t even break me down“, verkündet sie mit übertrieben imitiertem amerikanischem Akzent. Der Song klingt zunächst unwürdig poppig, driftet aber schnell in ein elektrisierendes Electro-Bhangra ab – hysterisch hypnotisch. Mal artikuliert M.I.A. penetrant übertrieben, als würde sie sicherstellen wollen, dass man sie ja versteht, mal rekrutiert sie im Stakkato vor treibenden Trommeln Ländernamen zum Manifest, bis schließlich eine unerträglich schrille Tröte das Klangspektrum dominiert.

Auch wenn man jederzeit damit rechnen muss, eine unvermittelt knallende akustische Ohrfeige verpasst zu bekommen, als Mantra zur Unterdrückung all ihrer Wut durchzieht „Matangi“ immer wieder ein stilles, lang gezogenes und von indischen Harfen begleitetes „Ommmm“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.