Neues Album von Lali Puna: Nicht auf die Schnauze gefallen

Valerie Trebeljahr mit einem hervorragenden Album: Zentral für „Two Windows“ sind Dancefloorsounds und eine Emanzipationsgeschichte.

Eine Frau hält eine Kamera in den Händen

Rockt jetzt ohne Markus Acher: Valerie Trebeljahr von Lali Puna Foto: Patrick Morarescu

„You got two windows and a pillow – so what do you want?“, singt Valerie Trebeljahr im ersten Song des neuen Albums von Lali Puna. Er heißt, genau wie das dazugehörige Album, „Two Windows“. Sein Beat ist düster, leicht metallisch, aber federnd. Trebeljahrs Stimme klingt – wie oft bei Lali Puna – nach einem Mischwesen aus Geist und Roboter. Und doch ist da in ihrer Stimme etwas deutlich vernehmbar: Trotz. „What do you want?“ – Was willst du eigentlich?

„Two Windows“ hat das, was eigentlich alle Alben von Lali Puna ausmachen: Sie enthalten formschöne elektronische Popsongs. Die Band spielt jetzt öfter mit der Idee gerader Basslines als in ihren Frühzeit. Und die Songtexte sind noch ein wenig mehr Texte zur Zeit: „Two Windows“ handelt als Album über unsere Gegenwart, in den Lyrics driftet Trebeljahr zwischen Poesie und Politik, wobei Erstere nie zum Instrument Letzterer wird. Vielleicht ist „Two Windows“ daher sogar das beste Album von Lali Puna.

Und da wäre noch ein Alleinstellungsmerkmal, das „Two Windows“ hat: Es ist das Ergebnis einer Emanzipationsgeschichte mit all ihren Widersprüchlichkeiten. Sie zeigt, welchen Schwierigkeiten Musikerinnen im Allgemeinen und Trebeljahr im Speziellen im nach wie vor männerdominierten Indie-Deutschland begegnen. Die Geschichte beginnt mit zwei Fenstern und einem Kinderbuch.

Mehr vom Leben

„Du hast alles“, sagt die Topfpflanze zur Hündin, „Du hast zwei Fenster, ich habe nur eins. Zwei Kissen, zwei Näpfe, einen roten Wollpullover, Augentropfen, Ohrentropfen, zwei verschiedene Fläschchen mit Tabletten, ein Thermometer – und dein Herrchen liebt dich sogar.“ Doch Jennie, die Hündin, lässt sich nicht überzeugen: „Es muss doch mehr im Leben geben als das.“ Sagt sie und haut ab, um zum Theater zu gehen. Sie wird ein Star. Das ist die Kurzfassung eines Kinderbuchs von Maurice Sendak, bekannt als Autor von „Wo die wilden Kerle wohnen“. Nach den zwei Fenstern, die die Hündin verlässt, hat Trebeljahr auch das Album benannt.

Wie die Hündin hat Trebeljahr, so erzählt sie es, zwei Fenster, ein Kissen, ein gemütliches Zuhause, dazu Mann und Kind. Das Leben geht dahin, bis sie sich fragt: Was willst du eigentlich? Bis sie das Buch ihrer Tochter zeigen wollte, hatte Trebeljahr seinen Inhalt ganz anders in Erinnerung: „Ich dachte die ganze Zeit: Es ist doch klar, die Hündin geht raus und fällt auf die Schnauze. Dann geht sie wieder nach Hause zu ihren zwei Fenstern.“ Kein Auszug in die Welt, kein Erfolg auf der Bühne.

Man kann eigentlich nicht sagen, dass Trebeljahr „auf die Schnauze gefallen“ ist. Mit Lali Puna lief es schließlich von Anfang an gut. Trebeljahr zieht in den 1990er Jahren aus Portugal, wo sie aufgewachsen ist, nach Oberbayern. Sie tauscht die Metropole gegen das Provinznest, Lissabon gegen Weilheim.

Von Lissabon nach Oberbayern

Lali Puna: „Two Windows“ (Morr Music/Indigo).

Auf Tour im Oktober und November

­Musikalisch ist der Unterschied groß: In Lissabon geht Trebeljahr viel aus, hört Musik im Club, mag Madonna und die Pet Shop Boys. In Weilheim hört sie Post-Hardcore. Trotzdem findet sie schnell Anschluss an die dortige Musikszene, passt sich an. Im Zentrum des Weilheimer Musikkosmos: The Notwist, die später mit frickligem elek­tronischem Pop zum Flaggschiff der Weilheimer Szene werden. Damals geht es bei ihnen noch hauptsächlich um ­Gitarren.

„Du hast alles“, sagt die Topfplanze zur Hündin

Trebeljahr versteht sich als Riot Grrrl, singt in der Frauenband L.B. Page. Nach Auflösung dieser Gruppe nimmt sie zunächst allein auf einem Vierspurgerät als Lali Puna auf. Kurz darauf holt sie sich ein paar Musiker in die Band. Es ist 1998. Unter diesen Musikern ist Markus Acher, Sänger und Gitarrist bei The Notwist, bis heute Trebeljahrs Lebensgefährte. The No­twist hatten da gerade „Shrink“ veröffentlicht, ihr erstes Werk, das über den deutschsprachigen Raum hinaus für Aufsehen sorgen sollte.

Das bringt auch für Lali Puna Vorteile: „Es lief sehr schnell sehr gut, was ich gar nicht gecheckt habe“, sagt Trebeljahr. Der Erfolg von The Notwist bringt auch den anderen Projekten Aufmerksamkeit. Der Nachteil: „Lali Puna war von Anfang an als Notwist-Nebenprojekt eingeordnet.“

Die Pop-Autorin und Musikerin Sandra Grether hat im vergangenen Jahr in der Musikzeitschrift Spex einen „Weckruf“ an das männerdominierte „böse Indie-Deutschland“ gerichtet. Dort steht: „Die Indie-Musikerin in Deutschland ist der Fehler im System.“ Und: „Klar, deutsche Musikerinnen können ihre Lieder auch auf Soundcloud stellen.

Die alles entscheidenden Fragen aber lauten, ob es für sie als weiblich identifizierte Menschen theoretisch möglich wäre, sich innerhalb von Indie-Deutschland Strukturen zu schaffen, die ihnen zum Beispiel Folgendes ermöglichten: ein Album nach dem anderen rauszubringen, mit namhaften Produzenten zu arbeiten, Artikel in den Musikmedien zu bekommen, und zwar mit jedem Album immer größere.“

Immer nur die Carejobs

Einen großen Teil dieser Probleme hat Trebeljahr nicht. Bei ihr liegen die Dinge anders, sie hat Familie. Ein Schritt, der in Deutschland nicht nur für viele Musikerinnen immer noch den Weg aus ihrer Künstlerinnenkarriere bedeutet: „Es wird erwartet, dass eine Frau da ist, um die Care-Jobs zu machen“, sagt Trebeljahr.

„Tridecoder“ (1999), „Scary World Theory“ (2001), „Faking The Books“ (2004), „Our Inventions“ (2010) und nun also „Two Windows“. Fixpunkte in der Bandgeschichte von Lali Puna, eine Band, die im Ausland hochgeschätzt wurde, die aber hierzulande immer etwas unter dem Radar lief. Was nun anders ist beim aktuellen Album? Erst einmal, man muss diesen Bezug wohl ein hoffentlich letztes Mal herstellen: Trebeljahr arbeitet jetzt ohne Markus Acher. Die Assoziation „Nebenprojekt“ kann nun nicht mehr aufkommen.

Außerdem hat sich Trebeljahr auf das besonnen, das sie einst aufgeben musste, als sie von Lissabon nach Weilheim kam: Ausgehen und Musik im Club. Der Bass kickt nun etwas mehr als von Lali Puna gewohnt. Lissabon ist in Weilheim angekommen.

Man muss nichts von Trebel­jahrs Lebensgeschichte wissen, um das Album goutieren zu können. Sie erzählt auch dann von Emanzipation wie im Titelstück „Two Windows“. Sie fordert ein Recht auf Pause gegen die zügige Rückkehr zum Alltag nach Terroranschlägen in „Her Daily Black“, um im letzten Track mit der Aufforderung zu schließen: „Carry your Head up high!“

Musik zur Gegenwart

Die Größe des Albums ist es, dass man mit ihm Trebeljahrs Geschichte erzählen könnte, aber auch viele andere. Es ist ein Album über die Gegenwart, Bedrohungen, den antifeministischen Backlash und den Drei-Tage-Wach-Imperativ von Clubgängern, der Kurzfassung neoliberaler Ideologie fürs Wochenende.

„Two Windows“ hat viele kleine Höhepunkte: Trebeljahr besingt die Flucht in den Club in „The Frame“ in einer Kooperation mit dem US-Elektronikproduzenten Dntel: „Turn up the Volume / ’Cause I don’t care“. Großartig auch eine Coverversion von „The Bucket“ der Südstaaten-Bratzerocker Kings of Leon: „Ich habe das breitbeinigste Stück aus meiner Plattensammlung gesucht“, sagt Trebeljahr. In einem Akt der feindlichen Übernahme von rockistischer Männerkultur macht sie aus der Macho-Hymne ein treibendes Stück Elektronik-Pop. Im Song „Two Windows“ heißt es: „Dinosaurs say freedom / the wolf says freedom / The alien says freedom / The woman says freedom.“ ­Valerie Trebeljahr sagt: Freiheit.

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