Neuer Chef für Thüringer VS: Der maximale Reformer

Thüringens Verfassungsschutz wird jetzt von Stephan Kramer, einst Generalsekretär des Zentralrats der Juden, geführt.

Stephan Kramer vor der Gedenkstätte «Wachsen mit Erinnerung» in Eberswalde (Brandenburg).

Stephan Kramer, der neue Chef des Thüringener Verfassungsschutzamtes. Foto: dpa

BERLIN taz | Das ist nun wirklich mehr als eine Überraschung. Stephan Kramer, früherer Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, soll neuer Verfassungsschutzchef in Thüringen werden. Das erfuhr die taz aus Thüringer Regierungskreisen. Die Personalie wurde am Dienstag im Thüringer Kabinett verkündet, am Mittwoch soll die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtags darüber informiert werden.

Damit erfährt die Geschichte des maximal in Verruf geratenen Landesamts eine neue, irre Wendung. Seit gut drei Jahren, seit Juli 2012, war der Chefposten vakant. Damals musste der letzte Präsident, Thomas Sippel, im Zuge der aufgedeckten NSU-Terrorserie seinen Posten räumen. Seitdem wurde die Behörde kommissarisch vom Vize Roger Derichs geführt.

Der Thüringer Geheimdienst gilt als Sinnbild für das Behördenversagen im Fall NSU. Jahrelang kam der Thüringer Verfassungsschutz den Rechtsterroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nicht auf die Schliche – obwohl er mehrere V-Leute in deren Umfeld hielt. Unter ihnen war auch der Anführer des Thüringer Heimatschutzes, Tino Brandt, in dessen Bund sich das Trio bewegte.

Der damalige Präsident Helmut Roewer fiel stattdessen mit Eskapaden auf: In Kaffeerunden plauderte er über Informanten oder fuhr mit einem „Observationsfahrrad“ durch die Gänge. Der Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss kam 2014 zu einem vernichtenden Urteil: Der Geheimdienst habe die Ermittlungen „gezielt sabotiert“ und „bewusst hintertrieben“.

Spektakuläre Wendung

Seitdem dürfte es wohl kaum eine Behörde in Deutschland mit schlechterem Leumund als den Thüringer Verfassungsschutz geben. Dass diesen nun ausgerechnet Stephan Kramer führen soll, ist eine spektakuläre Wendung. Zehn Jahre war der gelernte Jurist und Volkswirt Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland und eine der prominentesten Stimmen gegen Antisemitismus und Rassismus hierzulande.

Kramer gilt als ehrgeizig, politisch gut vernetzt, rhetorisch geschickt

Die Personalie wurde nach taz-Informationen bereits vor längerer Zeit eingefädelt. Die Wahl auf Kramer fiel einstimmig im Kabinett. Die Personalie zeige, wie ernst die Reform des Verfassungsschutzes in Thüringen gemeint sei, heißt es aus dortigen Regierungskreisen. Sie unterstreiche, dass das Amt „völlig neu aufgestellt“ werde. Kramer bringe eine hohe Sensibilität für Bedrohungen aus dem rechtsextremen Spektrum mit.

Bereits im Frühjahr hatte die rot-rot-grüne Regierung für ein bundesweites Novum gesorgt: Sie beschloss, grundsätzlich keine V-Leute mehr im Verfassungsschutz einzusetzen. Nur in Fällen von Terrorgefahr kann eine Ausnahme gemacht werden. Seit Jahresbeginn ist das Landesamt zudem dem Innenministerium angegliedert. Nun der nächste Paukenschlag.

Gespanntes Verhältnis

Kramer war im Januar 2014 aus dem Amt als Generalsekretär des Zentralrats geschieden – auf eigenen Wunsch, wie es offiziell hieß. Das Verhältnis zum damaligen Präsidenten Dieter Graumann aber galt schon länger als angespannt. Inhaltliche Differenzen gab es zum Beispiel, was das NPD-Verbotsverfahren anging. Während Graumann sich dafür aussprach, war Kramer dagegen.

Kramer gilt als ehrgeizig, politisch gut vernetzt und rhetorisch geschickt. Für eine steile These ist er immer zu haben. Zu seiner Zeit als Generalsekretär war er daher in den Medien sehr präsent. Auch deshalb war er innerhalb des Zentralrats umstritten. So kritisierte er Thilo Sarrazins Äußerungen zu Einwanderern in Berlin mit den Worten: „Ich habe den Eindruck, dass Sarrazin mit seinem Gedankengut Göring, Goebbels und Hitler große Ehre erweist.“

Diese Äußerung wurde als Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen kritisiert. Das bedauerte Kramer, blieb aber dabei, dass Sarrazin rassistisch sei. Immer wieder hat Kramer Rassismus scharf kritisiert. Im Juli 2014 ging er für das American Jewish Committee nach Brüssel, allerdings nur für ein Jahr.

Kramer selbst war am Dienstag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Wann er in Erfurt beginnen wird, blieb vorerst offen. Dass damit aber eine Zeitenwende bei dem Landesamt eingeläutet wird, steht außer Frage.

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