Neuer Chef der IG-Metall: Der Erneuerer

Mehr Mitglieder, neue Strategien – schon als Vize hat Detlef Wetzel die IG Metall umgekrempelt. Jetzt ist er ihr Vorsitzender.

Der neue Mann an der Spitze der IG Metall: Detlef Wetzel. Bild: ap

BERLIN taz | Detlef Wetzel kann Dinge sagen, die für Gewerkschafter eher ungewöhnlich klingen. „Einen Mindestlohn fordern, das kann jeder Depp“ war so ein Satz, den der Vize der IG Metall auf einer Veranstaltung mal wütend herausgehauen hat. Damit hat er sich bei den Dienstleistungsgewerkschaften, die die meisten Niedriglohnbranchen organisieren, nicht gerade Freunde gemacht.

Er will das erklären, an diesem Tag in seinem Büro in der IG-Metall-Zentrale in Frankfurt, durch die Fenster ein imposanter Blick auf das grünbraune Band des Mains und die Skyline der Banken und Versicherungstürme. „Natürlich bin ich für einen Mindestlohn. Aber starke Gewerkschaften und handlungsfähige Arbeitgeberverbände brauchen für solche Fragen eigentlich keinen Staat. Dass sie es brauchen, ist Ausdruck davon, dass die Sozialpartnerschaft erodiert ist. Ich sage, lasst uns uns anstrengen, dass wir aus eigener Kraft in den Belegschaften verankert sind und stärker Druck machen können, um die Arbeitgeber zu vernünftigen Löhnen zu zwingen.“

Die IG Metall stärken, das kann er wohl künftig in noch prominenterer Position anpacken. An diesem Montag wurde Wetzel an die Spitze der mächtigsten Gewerkschaft Deutschlands gewählt und wird Berthold Huber beerben. Huber tritt nach sechs Jahren vorzeitig zurück. Er hat es lange angekündigt, sein Schritt ist Teil eines Verjüngungsprozesses im gesamten Vorstand.

Abschied: Berthold Huber geht. Der Erste Vorsitzende der IG Metall, der sechs Jahre an ihrer Spitze stand, wird am Montag auf einem außerordentlichen Gewerkschaftstag in Frankfurt am Main verabschiedet.

Neuanfang: Nachfolger von Huber wird Detlef Wetzel, bisher die Nummer zwei in der Organisation. Er erhielt bei der Wahl 75,5 Prozent Ja-Stimmen. Sein Vorgänger Berthold Huber war vor zwei Jahren mit 96,2 Prozent im Amt bestätigt worden.

Nicht alle können mit Wetzel, dem schlanken Mann mit den ergrauten Haaren und dem rollenden „r“ in der Aussprache, Hinweis auf seine Siegerländer Herkunft. Es rumort nicht zuletzt im mächtigen Bezirk Baden-Württemberg, aus dem auch Huber stammt. Dort würden sie gerne früher als später ihren Mann an der Spitze sehen, Bezirksleiter Jörg Hofmann, der jetzt erst einmal als Wetzels Vize in die Zentrale am Main einziehen soll.

Wetzels Arbeitspensum ist gefürchtet

Wetzel ist kein flammender Redner oder Kumpeltyp, er hat etwas Kühles, Nüchternes an sich. Doch die IG Metall hat ihm einiges zu verdanken. Der 60-Jährige hat der behäbigen Gewerkschaft eine dringend benötigte Frischzellenkur verpasst. Er hat die Gewinnung neuer Mitglieder ins Zentrum gestellt und die Losung ausgegeben, die Organisation müsse ihren Beitragszahlern mehr Service bieten und sie mehr mitreden lassen. Er pocht auf Zielvorgaben und nachweisbare Erfolge. Sein Arbeitspensum ist gefürchtet. So hat er die IG Metall auf Erfolgskurs getrimmt. Seit 2011 wächst die Industriegewerkschaft wieder, derzeit zählt sie über 2,2 Millionen Mitglieder.

Wetzel hat dafür an alten Gewohnheiten gerüttelt. Er hat die Zentrale in Frankfurt verkleinert und Gelder für Projekte vor Ort in die Regionen und Bezirke verteilt. Er hat dafür gekämpft, dass sich die IG Metall auf einige wenige Kampagnen konzentriert, „nicht auf 35, da kann ja nichts bei herauskommen“, sagt er.

Und er hat seine Gewerkschaft gezwungen, sich mit der Leiharbeit auseinanderzusetzen. Das ist nicht nur den Arbeitgebern gehörig aufgestoßen, sondern auch einigen Betriebsratsfürsten, die diesen Konflikt scheuten. Bildeten die Leiharbeiter, die in der Krise 2009 zu Zehntausenden entlassen wurden, doch einen willkommenen Schutz für die Stammbelegschaften.

Doch Wetzel will Leiharbeit nur in Ausnahmefällen und mit gleicher Bezahlung wie für die Stammbeschäftigte. „Der Konflikt, wie wir damit umgehen, war auch in der Gewerkschaft kein Stühlchenkreis“, erinnert er sich. Er hat ihn trotzdem geführt und man sieht ihm an, wie stolz er darauf ist.

Ein Kind der Willy-Brandt-Zeit

Die Kampagne, 2008 angestoßen, trägt Früchte. Die IG Metall konnte Verbesserungen wie Lohnzuschläge erstreiten, und rund 60.000 Leiharbeiter sind der Gewerkschaft beigetreten. Das Image der Leiharbeit hat in der Öffentlichkeit stark gelitten. Und jetzt, sagt Wetzel, „sind die ausufernden Werkverträge dran. Das wird noch ein harter Kampf“.

Wetzel kann konstruktiv mit Arbeitgebern zusammenarbeiten – aber er scheut auch keine Konflikte. „Wenn es sein muss und es gibt keinen Kompromiss, bin ich radikal“, sagt er über sich. Er ist ein Kind der Willy-Brandt-Zeit, groß geworden mit dem Versprechen, dass sich Leistung lohnt, dass jeder die Möglichkeit zum Aufstieg hat. Dieses Versprechen existiere schon lange nicht mehr, resümiert er mit gewisser Bitterkeit in seinem autobiografisch gefärbten Buch „Mehr Gerechtigkeit wagen“. Zu viele Arbeitgeber hätten sich aus der Sozialpartnerschaft verabschiedet. Er will dahin zurück. Obwohl auch er weiß, dass die Tage des rheinischen Kapitalismus nicht einfach wiederkommen.

Bei ihm funktionierte es noch, das Versprechen auf eine bessere Zukunft. Der Vater war Hufschmied, die Mutter Fabrikarbeiterin. Wetzel wurde Werkzeugmacher, studierte später Sozialarbeit. Er trat bereits als Azubi in die IG Metall ein und hat jahrelang an der Basis gearbeitet, als Sekretär und später erster Bevollmächtigter in Siegen. Dort war er so erfolgreich, dass er 2004 Leiter des IG-Metall-Bezirks NRW wurde.

Im krisengeschüttelten Siegerland, dort, wo er bis heute ein Haus hat, Familie und Freunde wohnen und Wetzel in seiner seltenen Freizeit Bienen züchtet, hat er den Unternehmen immer wieder angeboten, gemeinsam aus wirtschaftlich schwierigen Situationen zu finden. Beschäftigte und Gewerkschaft erarbeiteten Konzepte, als seien sie die Fabrikeigentümer. Sozialpartnerschaft in guten wie in schlechten Zeiten. Aber wenn sie das auf der anderen Seite nicht verstanden, scheute er auch keinen Häuserkampf. „Da können wir uns nur auf unsere eigene Stärke verlassen“, ist so ein typischer Wetzel-Satz.

Wetzel kann auch mit Merkel

Auch bei der IG Metall gibt es diese Stärke längst nicht mehr überall, wie man beispielsweise an den Arbeitsbedingungen in der Windenergiebranche sieht. Wetzel setzt dagegen auf Organizing. Rein in die Betriebe, hören, was die Leute wollen, sie ermächtigen und ermutigen, wieder selbst Konflikte zu führen, statt aus der Zentrale Stellvertreterpolitik zu betreiben. So gewinnt man Auseinandersetzungen und neue Mitglieder. So wird man stark in den Betrieben – und das hat für Wetzel Priorität.

Manche werfen ihm vor, er verenge darüber den Blick, gesellschaftspolitische Themen fielen hintenherunter. „Es gibt nichts Politischeres als die Mitgliederfrage“, kontert er dann, „wenn die deutsche Gewerkschaftsbewegung zu Agendazeiten jedes Jahr ein paar zehntausend Mitglieder gewonnen hätte, hätte Schröder sich die Agenda 2010 nie getraut“.

Er hat manchmal etwas Schroffes an sich, er kann aufbrausend sein. Er ist nicht so geschmeidig wie ein Berthold Huber, den die Aura des Intellektuellen der IG Metall umgibt und der mit vielen gut kann. Auch mit der Bundeskanzlerin, die ihm zum 60. Geburtstag ein Essen im Kanzleramt ausrichtete. Fragt man Wetzel, ob die Gewerkschaftsgranden bisweilen zu viel öffentliche Nähe mit Politikern zelebrieren, die etwas ganz anderes wollen, sagt er diplomatisch, man müsse immer anschlussfähig bleiben. Doch recht bald fällt auch die Bemerkung, manche Nähe werde zum süßen Gift. Und vor der müsse man sich hüten.

Leicht werden es die anderen nicht mit ihm haben. Auch nicht die Genossen. Das Band zur Sozialdemokratie, lange Zeit zerrissen, ist heute höchstens notdürftig geflickt. Wetzel ist immer noch Parteimitglied. Aber aus seinem Buch, 2012 erschienen, spricht eine tiefe Enttäuschung über die neoliberale Wende der SPD unter Gerhard Schröder.

Ver.di vergrätzt

„Jeder Gewerkschafter war damals ein Idiot, dem man meinte die Welt erklären zu müssen. Ich habe das am eigenen Leib erfahren, auch von Sozialdemokraten“, erinnert er sich. Ihn interessieren heute Ergebnisse, keine sentimentalen Bande. „Für mich zählt nur, ob die Parteien die Themen, die für die Menschen wichtig sind, wirklich umsetzen.“

Doch auch mit den eigentlichen Verbündeten knirscht es. Statt eines Schulterschlusses mit den Dienstleistungsgewerkschaften, der für beide Seiten von Vorteil wäre, hat Wetzel Ver.di mit seiner Aussage vergrätzt, die IG Metall allein wolle die industrienahen Dienstleistungen organisieren, für die sich auch die zweitgrößte Gewerkschaft im Land zuständig fühlt. Man darf gespannt sein, wie er damit umgeht, wenn er an die Spitze der IG Metall rückt.

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