Neue Alben und Tour von David Grubbs: Uhrwerk in Super Slow Motion

Vom Punk zur freien Musik: US-Avantgarde-Gitarrist David Grubbs kommt mit zwei neuen Alben und einem Buch nach Deutschland.

Ein spärlich beleuchteter Mann mit Gitarre

Mein lieber schwarzer Schwan! David Grubbs mit seiner Axt Foto: Courtesy Galerie Sprüth/Magers Berlin

Müßiggang und doch mächtig was los: Auf einem elektrischen Munkeln schwingt eine Gitarre daher; sie hat etwas von einem Uhrpendel in dezenter, kaum merklicher Unruhe. Vier Minuten geht das so, bis für einen Moment ein Akkord einen Widerhaken wirft.

Noch mal drei Minuten, die für eine Idylle zu gebrochen klingen, dann stellt sie sich mit einem folkloristischen Perlen ein. In Minute neun schwingt aufs Neue das Pendel, das ist bereits die Ruhe vor dem Sturm. Nach einer Viertelstunde bricht heftiges Gitarrenfeedback herein, zwei Minuten darauf gerät es zum weißen Rauschen. Mein lieber schwarzer Schwan!

Das Stück, um das es hier geht, nimmt mit 21 Minuten die komplette A-Seite des Albums „Failed Celestial Creatures“ des US-amerikanisch-japanischen Duos David Grubbs und Taku Unami ein. Ohne Worte ­berichtet es von einer klassischen Stirb-und-werde-Geschichte: Shā Wùjìng, Protagonist in der Erzählung „Journey to the West“ des japanischen Schriftstellers Atsushi Nakajima, wird aus dem Himmel auf die Erde verstoßen.

Ein Flußungeheuer

„Ich bin ein Narr“, ruft Wùjìng, in eines von 13.000 Flussungeheuern verwandelt: „Warum geschieht mir das?“ „Ich bin ein gescheitertes Himmelswesen.“ A failed celestial creature. Der Pechvogel wird zum Schüler des buddhistischen Pilgers Xuanzang.

David Grubbs, Taku Unami: „Failed Celestial Creatures“ (Empty Editions) David Grubbs, Manuel Mota: „Lacrau“ (Blue Chopsticks/Rough Trade)

Live: 14. 9., Konzert und Lesung, Gebäude 9, Köln; 15. 9., Konzert, BR-Funkhaus, München; 16. 9., Konzert und Lesung, Westwerk, Hamburg; 17. 9., Lesung, Buchhandlung Pro QM, Berlin; 18. 9., Konzert, Arkaoda, Berlin

Zu fragen, was Nakajima, einer der ersten japanischen Rezipienten Franz Kafkas, zur Musik von Grubbs und Unami gesagt hätte, ist Spekulation. Nakajima verwob absurd-existenzialistische Vorahnungen in chinesische Volksmärchen. Er ist einer der literarischen Stichwortgeber Grubbs’ und Unamis, die sich, bevor sie ihr Duo-Album in Kioto aufnahmen, Lektürelisten schickten. Der Multiinstrumentalist Unami ist begeisterter Leser von Science-Fiction, Horror und Obskuritäten.

Grubbs hat mit der genreübergreifenden US-Dichterin Susan Howe zusammengearbeitet und unterrichtet Creative Writing; der Musikprofessor am New Yorker Brooklyn College ist selber unter die Autoren gegangen.

Hardcore, unorthodox

Wer Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger auf David Grubbs stieß, dürfte all das nicht geahnt haben. Der Gitarrist und Sänger war Mitbegründer der nicht fundamentalistischen Punkband Squirrel Bait und der unorthodoxen Post-Hardcore-Combo Bastro. 1993 veröffentlichte Grubbs mit dem Bastro-Nachfolgeprojekt Gastr del Sol das Album „The Serpentine Similar“; eines der Werke, für die das nicht ganz unproblematische Genre „Post-Rock“ geprägt wurde.

Zu Post-Rock gehörte, das auf „The Serpentine Similar“ erst nach vier Minuten ein Becken zu hören ist, das ganze Schlagzeug erst in der sechsten Minute zum Einsatz kommt. Grubbs sollte zeitweise auch mit einer Band wie The Red Krayola spielen, die Post-Rock waren, bevor es das Wort überhaupt gab; er musizierte mit dem Violinisten und Filmemacher Tony Conrad, der am Anfang dessen stand, was mit The Velvet Underground begann. Grubbs ist nimmermüder Multiplikator des US-Undergrounds.

Die Frage, ob das nun Rockmusik war für Leute, die schon immer zu viel gelesen hatten, mögen sich Rockisten stellen; wichtiger ist, dass Grubbs und seine Mitstreiter wie John McEntire (Tortoise) Musik spielten, die nachträglich eine Ehrenrettung der gerne verpönten Neunziger sind. Und es empfiehlt sich, „The Serpentine Similar“ neben Grubbs’ aktuelles Album „Failed Celestial Creatures“ zu stellen und auch zu hören, lässt sich doch von einem Stück wie „A Watery Kentucky“ von einst eine Linie zu „The Forest Dictation“ (2018) ziehen, dem einzigen „richtigen“ Song auf „Failed Celestial Creatures“.

Im Rückwärtsgang

Kann man auf Grubbs’ und Unamis Album also einem Uhrpendel beim langsamen, aber stetigen Ausbüxen zuhören, lässt sich auf dem bis dato zweiten Duo-Album Grubbs’ aus diesem Jahr ein Uhrwerk in Super Slow Motion vernehmen. Ja, es hat den Anschein, als wolle es gelegentlich den Rückwärtsgang einlegen. „Lacrau“ heißt es, eingespielt hat es der New Yorker mit dem portugiesischen Gitarristen Manuel Mota in Lissabon. Mota kommt vom Blues; als Grubbs begann, die Grenzen von Rock zu verschieben, begab er sich auf das weite Feld von Experimental- und Improvisationsmusik. Derek Bailey, der große alte Brite der frei gespielten Gitarre, outete sich als einer von Motas Fans.

Grubbs’Gitarre klingt wie ein Knurrhahn und er erschafft mit Fingerpicking und Feedback pointillistische Musik

Für „Lacrau“, eine Mixtur aus Fingerpicking und Feedback, ließe sich ein gewagtes Bild wie das einer pointillistischen Musik bemühen. Wem das zu sehr nach Studierzimmer klingt: Das Album gleicht einem beiläufigen Gespräch unter Vertrauten. Man muss sich keine Medizinbälle zuwerfen, Anspielungen reichen voll und ganz. Da wird über Saiten gestrichen und auf den Gitarrenhals geklopft. Auch „Lacrau“ bietet ein ausladendes Stück: „Vigário“ erstreckt sich fast über eine Viertelstunde; sein hochfrequenter Anfang mutet regelrecht übergriffig an. In der sechsten Minute meldet sich dann ein Knurrhahn.

„Lacrau“ ist übrigens sowohl ein älteres portugiesisches Wort für „Skorpion“ als auch der Name eines Restaurants in Motas Heimatstadt Ericeira an der Westküste Portugals. Beide Alben empfehlen sich für einen Seeblick, einen Abend über Dächern oder einer Nacht unter einem nachsichtigen Mond. Es war ein weiter Weg vom Punk, aber er ist gut von David Grubbs gegangen worden.

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