Neubau mit Nazi-Vergangenheit: „Kühne und Nagel oder nichts“

Der baupolitische Sprecher der Grünen, Robert Bücking, hält den Neubau von Kühne+Nagel an der Weser für alternativlos. Allerdings sieht er einige offene Fragen

Ort des Geschehens: Der Stammsitz von Kühne & Nagel, hier in seiner ersten Version Foto: Archiv

taz: Herr Bücking, im welchem Kosten-Korridor könnte sich der Quadratmeter-Preis für ein Baugrundstück am rechten Weserufer bewegen? Sagen wir, auf Höhe der Kaisen-Brücke.

Robert Bücking: Das zu ermitteln, ist üblicherweise Aufgabe des Gutachterausschusses für die Ermittlung der Grundstückspreise. Für das Grundstück, um das es beim geplanten Neubau von Kühne+Nagel geht, liegt dieses Gutachten noch nicht vor.

Wenn es kein Gutachten gibt – und die Verkaufsverhandlungen sind ja schon sehr fortgeschritten –, wird normalerweise der Bodenwert mit der berühmten WGFZ multipliziert, der „realisierbaren, wert­relevanten Geschossflächenzahl“. Im Fall von Kühne+Nagel sind das elf Stockwerke mit einer Bruttogeschoss-Fläche von 11.300 Quadratmetern. Was kommt dabei raus?

Das weiß ich nicht. Aber klar ist doch, dass neben dem Verkaufserlös auch Steuereinnahmen und die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Bindung des Unternehmens an Bremen eine wichtige Rolle spielen.

63, ist bau- und stadtentwicklungspolitischer Sprecher der grünen Bürgerschaftsfraktion.

In der Tat ergibt die Rechnung eine andere Größenordnung als die 900 Euro pro Quadratmeter, die der Senat nehmen will. Und da ist noch nicht mal der Umrechnungsfaktor für Citylagen drin.

Es darf keine absurden Abweichungen von marktüblichen Preisen geben, das ist klar. Gegebenenfalls würde sonst auch der Landesrechnungshof etwas dazu sagen. Aber wie sieht hier der Markt aus? Das Grundstück neben dem heutigen Gebäude lässt sich nicht eigenständig vermarkten und entwickeln. Dazu sind die Platzverhältnisse zu eng. Also geht es um eine Einigung mit dem Unternehmen Kühne+Nagel – oder um nichts. Im Übrigen ist es städtebaulich ein Gewinn, wenn der Brückenkopf architektonisch eingefasst wird.

In dem die Rechtsabbiegespur überbaut wird … die Grünen sind auch für das Finanzressort verantwortlich. Muss unter der Maßgabe der Haushaltsnotlage nicht auf einem maximalem Verkaufserlös bestanden werden?

Müsste, müsste! Am Ende müssen sie Erfolg haben. Es ist schwer zu sagen, wie stark die politische Entschlossenheit, dieses Projekt zum Erfolg zu führen, auf den Preis gewirkt hat. Der Quadratmeterpreis, den die Stadt für den Kauf des Lloydhof an die österreichische Sparkasse gezahlt hat, lag bei 4.000 Euro. Also beim Vierfachen. Das war zu viel, wie man am Scheitern des Lloydhof-Projekts erkennen kann. Auch da dürfte es eine Rolle gespielt haben, dass dieses Grundstück unbedingt erworben werden sollte, um die dahinter liegenden Ziele zu erreichen. Immerhin muss die Stadt vom Erlös nicht auch noch die nötigen Umbaumaßnahmen an der Martinistraße tragen.

Herr Kühne hat einen Architektur-Wettbewerb kategorisch ausgeschlossen. Verpflichtet ist er dazu nicht, obwohl der Bau extrem stadtbild-prägend sein wird. Aber muss man ihm auch durchgehen lassen, dass er die Aufarbeitung der NS-Geschichte seines Unternehmens verweigert?

Nun gibt es wenigstens einen Gestaltungsbeirat, der den Entwurf bearbeitet. Vor allem aber gilt: Kein deutsches Unternehmen, das in den letzten 100 Jahren aktiv war, kann sich der Geschichtsaufarbeitung entziehen. Mittlerweile ist doch unstrittig, wie Kühne+Nagel im Tross von Gestapo und SS profitiert hat. Die Neubau-Pläne sind ein Anlass, danach zu fragen. Aber ich sehe keine Verknüpfung mit den Verkaufsverhandlungen.

Natürlich müsste auch ein Unternehmen, dass sein Firmenarchiv für Historiker öffnet, ordentliche Preise für die Überbauung eines öffentlichen Platzes zahlen. Das, was vom bisherigen Fuß- und Radweg nach dem Neubau übrig bleibt, ist fast schon zu schmal für einen Stolperstein im Pflaster. Wie würden Sie einen Erinnerungs-Anker setzen?

Ich halte nichts davon, Herrn Kühne zu irgendeinem Kotau zu zwingen. Aber ich hielte es für eine gute Idee, wenn man die Treppe hinunter zur Weser nach Adolf Maass benennen würde: den früheren jüdischen Miteigentümer von Kühne+Nagel, der in Auschwitz ermordet wurde. Es wäre schön, wenn der Beirat Mitte diese Idee aufgreifen würde.

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