Netzüberwachung in den USA: Der militärisch-digitale Komplex

An einem neuen Überwachungsgesetz sind die USA bisher vorbeigeschrammt. Doch Militär und Digitalindustrie arbeiten eng zusammen.

Privatsphäre? Wo denn? Bild: photocase / sevn

Weltweit machte sich unter Bürgerrechtlern Erleichterung breit, als Ende letzter Woche klar wurde, dass der US-amerikanische Senat den Cyber Intelligence Sharing and Protection Act nicht verabschieden will. Das Gesetz – kurz Cispa – sollte es Behörden und Internetunternehmen ermöglichen, zur Abwehr und Prävention unklar definierter Cyberbedrohungen Daten auszutauschen.

Anstatt über das zivile Ministerium für Innere Sicherheit sollte die Kommunikation auch direkt über den Militärnachrichtendienst NSA laufen. Wegen Verletzungen von Persönlichkeitsrechten könnten Internetunternehmen im Rahmen dieser Zusammenarbeit nicht belangt werden. Cispa hätte Bürgerrechte und die Trennung von Institutionen teilweise aufgehoben. Es wäre eine Art permanentes Cyber-Notstandsgesetz gegen wirkliche und angenommene Bedrohungen durch chinesische, russische und iranische Cyberangriffe.

In dieser Form wurde der Gesetzentwurf nicht zur Rechtswirklichkeit. Aber sein Ende wird das nicht sein.

Konferenz: Die Re:publica ist eine Konferenz in Berlin rund ums Internet – in diesem Jahr vom 6.–8. Mai.

Themen: Neben anderem wird das Thema Überwachung diskutiert: Es gibt Tipps für den perfekten Überwachungsstaat, Vorträge über regierungsamtliches Datensammeln und Facebooks vermeintlicher Wandel vom „Revolutionsmacher zum Revolutionsgegner“ wird hinterfragt.

Denn viele große Unternehmen der Digitalindustrie befürworten ihn: darunter der Suchmaschinenkonzern Google, der Computerhersteller Apple und der Telekommunikationsanbieter AT & T. Um das Überwachungsgesetz zu pushen, haben seine Unterstützer von 2011 bis 2012 etwa 605 Millionen Dollar für Lobbyismus ausgegeben.

10.000 Nachfragen zu Nutzerdaten

Zunächst ist Cispa schlicht deshalb in ihrem Interesse, weil es durchaus dazu geeignet ist, mehr Schutz vor Cyberangriffen zu bieten. Träte es in Kraft, könnten Angreifer leichter lokalisiert werden. Aber das Gesetz wäre auch eine juristische Grundlage für den bereits stattfindenden Datenaustausch zwischen Industrie und Behörden. Andere sehen es als den Versuch einer Institutionalisierung des „militärisch-digitalen Komplexes“, einer immer weiter gehenden Interessenverflechtung zwischen Militär und Digitalindustrie.

Bislang spielt sich der Datentausch zwischen Kommunikationsunternehmen und Staat in einer rechtlichen Grauzone ab. Die Behörden können Informationen zwar seit dem Patriot Act von 2001 in Fragen der nationalen Sicherheit auch ohne richterlichen Beschluss verlangen, doch die Verfassungskonformität gilt als strittig.

Das Ausmaß der Telefon- und Internetüberwachung in den USA war nie größer. 2011 hat etwa Google mindestens 10.000 Nachfragen zu Nutzerdaten von amerikanischen Behörden erhalten und 93 Prozent davon beantwortet.

Bei Twitter waren es in derselben Zeit über 1.000. Allein bei den Handyanbietern gingen 2011 1,3 Millionen Anfragen ein. Bei dem Telefon- und Internetanbieter AT & T kümmern sich derzeit etwa hundert Vollzeitkräfte nur um die Zusammenarbeit mit der Exekutive, siebzig beim Konkurrenten Verizon.

Überwachung ohne richterlichen Beschluss

Besonders krass war die Netzüberwachung durch den Militärnachrichtendienst NSA bei AT & T, die 2006 der Whistleblower Mark Klein öffentlich machte, ein ehemaliger Techniker des Unternehmens. Jahrelang hat die Firma in einer ihrer Schaltzentralen einen Raum des Militärnachrichtendiensts NSA geduldet, der in- und ausländischen Internetverkehr abgefangen hat. Nach Aussage eines Ex-NSA-Mitarbeiters soll es zwanzig weitere solcher Räume in den USA gegeben haben. Ohne richterlichen Beschluss.

Die Electronic Frontier Foundation, eine Organisation für digitale Bürgerrechte, reichte damals eine Sammelklage von AT & T-Kunden gegen das Unternehmen ein. Erfolglos.

Denn ein 2008 erlassener Zusatz zum Foreign Intelligence Surveillance Act schuf rückwirkend die Rechtsgrundlage. Allerdings setzt das Gesetz eigentlich voraus, dass nur Kommunikation mit dem Ausland überwacht wird, was nicht so war. Die Foundation möchte den Fall wieder aufrollen.

Verständlicherweise hat die Digitalindustrie ein Interesse an der praktischen Herstellung ihrer Immunität gegenüber solchen möglicherweise kostspieligen Klagen. Cispa würde diese Immunität explizit gewährleisten. Das Ziel des Gesetzes – Sicherheit – könnte als Begründung vieler Überwachungsvorgänge dienen.

800 Millionen Dollar mehr für den Cyberwar

Eine tiefer gehende Erklärung für die Unterstützung der Industrie für Cispa bieten der Kommunikationsökonom Robert W. McChesney und ein Forscherteam, der Jurist Jerry Brito und der Ökonom Tate Watkins. Sie argumentieren unabhängig voneinander, ein „militärisch-digitaler Komplex“ sei entstanden, eine wechselseitige Abhängigkeit von Staat und Digitalindustrie. Sie führe dazu, dass die Interessen des einen letztlich die Interessen der anderen seien.

Mehr Cybersicherheit, mehr Überwachung bedeuteten mehr Jobs, die Politiker beim Volk beliebt machten und die heimische Wirtschaft ankurbelten, und mehr lukrative Staatsaufträge, von denen die Industrie lebe. So komme es, ähnlich wie im Kalten Krieg und im Fall des Irakkriegs, zu einer rhetorischen Inflation von Gefahren und einer realen Inflation von Gegenmaßnahmen.

Obwohl auch US-Präsident Barack Obama Cispa kritisch sieht, war besonders seine Regierung aktiv in der Cyberrüstung. Noch vor seiner Amtseinführung 2009 wurde die Commission on Cybersecurity for the 44th Presidency gegründet, die neben Politikern und Geheimdienstlern Vertreter von Microsoft, AT & T, IBM, Oracle, Sun Microsystems, Cisco, McAfee und des Rüstungsgiganten Lockheed Martin mit einschloss – Produzenten und Zulieferer von Cybersicherheitsprodukten also. Die Kommission kam zu dem Schluss, die Regierung müsse mehr Geld für Cybersicherheit aufbringen, was Obama dann auch tat.

Für 2014 plant Obama zwar eine drastische Kürzung der Militärausgaben, das Budget für den Cyberkrieg soll jedoch um 800 Millionen Dollar erhöht werden. 4.000 neue Stellen in dem Bereich will das Pentagon schaffen. Ebenso gibt das Ministerium für Innere Sicherheit nächstes Jahr 44 Millionen mehr für IT aus, während das sonstige Budget ebenfalls zusammenschrumpft.

Ein boomendes Geschäft

Bis 2015 dürften die US-amerikanischen Ausgaben für Cybersicherheit 10,5 Milliarden jährlich betragen, weltweit etwa 140 Milliarden Dollar – ein boomendes Geschäft.

Das Budget des Verteidigungsministeriums wird zwar bislang noch klar von Herstellern konventioneller Waffen dominiert, aber Technologiefirmen wie IBM, Hewlett Packard und Dell belegen bei den Ausgaben des Ministeriums für Innere Sicherheit schon jetzt Spitzenplätze. Erst jüngst verkündete eine wissenschaftliche Leiterin der Air Force, mit Facebook und Google gemeinsame Strategien für Cybersicherheit zu entwickeln.

Bereits 2009 formte Lockheed Martin – das größte konventionelle US-Rüstungsunternehmen und wichtigster Lieferant der US-Army – eine Cybersecurity Technology Alliance, die gemeinsame Produkte erarbeitet. Mit von der Partie sind Digitalunternehmen wie McAfee, Cisco und Dell.

Das Netzüberwachungsgesetz Cispa hätte eine Institutionalisierung dieser enger werdenden Zusammenarbeit zwischen Militär und Digitalindustrie bedeutet. Dieses Mal konnte sie abgewendet werden. Aber die Bedrohung für die Bürgerrechte ist damit nicht ausgestanden. Sie ist eine Folge einer wirtschaftlich bedingten Interessenverflechtung.

Die USA haben jahrzehntelang unter anderem auch deswegen Krieg geführt, um den militärisch-industriellen Komplex am Laufen zu halten. Jetzt – im Zeitalter des militärisch-digitalen Komplexes – könnte sich ein solches Vorgehen auch gegen die Privatsphäre der eigenen Bevölkerung richten. Eine europäische Version von Cispa, die EU-Richtlinie zur Cybersicherheit, ist übrigens in Planung.

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