Neonazis im Breitensport: Der rechte Haken

Frank Hillmer trainiert in Zwickau junge Boxer. Er ist ein Kümmerer, Politik ist ihm egal. Dann hieß es, sein Verein sei von Neonazis unterwandert.

Unter denen, die sich zum Sport, vor allem zum Kampfsport hingezogen fühlen, werden zwangsläufig auch Rechte sein. Bild: dpa

ZWICKAU taz | In den Ring steigen zwei sehnige, sehr junge Männer, sie umkreisen einander, lauernd, federnd, die erhobenen Fäuste vor sich. Der eine bewegt sich leichtfüßig, fast ballettös, der andere stürmt aggressiv auf ihn los; mit dumpfer Wucht prallt die Faust seines Gegners in sein rot angelaufenes Gesicht. „Hau ihm aufs Kinn, nicht auf die Nase“, ruft Frank Hillmer, „die war mal kaputt.“

Hillmer, Trainer und Mitglied im Vorstand beim KSSV Zwickau, steht an den Seilen, versunken in den Übungskampf der Nachwuchsboxer. Der Wendigere der beiden ist seine große Hoffnung, er wird bald in den Profisport wechseln. „Der geht uns verloren“, sagt er, leises Bedauern schwingt in seiner Stimme mit. Es passiert nicht mehr oft, dass er junge Talente so weit bringt.

Frank Hillmer hat den Verein 1993 aufgebaut; er läuft in bedächtigen Schritten über den abgeschabten Betonfußboden; im kalten Neonlicht des kargen Raums prügeln die jungen Boxer auf Sandsäcke und Maisbirnen ein. Sie trainieren im Keller des Fitnessstudios Proactiva Body and Soul neben einer Ausfallstraße. Jungs vor allem, 13, 14 Jahre alt, zwei kleine Mädchen, ein paar junge Erwachsene. Viele kommen aus Zwickaus Plattenbau-Townships oder Dörfern im Umland. Hillmer hat sich daran gewöhnt, dass die Mittel knapp sind, dass er sich aufreiben muss, um den Verein in Gang zu halten. „Ich jammer nicht“, sagt er, „das ist eben so.“

Nur diese Angriffe, die setzen ihm zu, auch heute noch. Es ist inzwischen über ein Jahr her, dass die anonymen Briefe in Umlauf kamen. Darin wurde dem Verein Nähe zur Neonaziszene unterstellt. Sie gingen im Rathaus ein, bei Kreissportbund und Staatsanwaltschaft. Es dauerte nicht lange, da hatte Hillmer Landeskriminalamt und Verfassungsschutz in den Vereinsräumen stehen; er schüttelt den Kopf, fassungslos. „Ich bin seit 1978 Trainer“, sagt er, „aber so was habe ich noch nicht erlebt.“

Festgesetzte rechtsextreme Strukturen

Die Geschichte, die hinter diesen Vorwürfen steckt, ist zwiespältig und komplex, es geht um Sport und Politik, es geht aber auch darum, wie leicht Vereine in ein Dilemma geraten, in Gegenden, in denen sich rechtsextreme Strukturen festgesetzt haben. Unter denen, die sich zum Sport, vor allem zum Kampfsport hingezogen fühlen, werden zwangsläufig auch Rechte sein.

Heikel wird es, wenn Neonazis die offenen Zugänge der Zivilgesellschaft für ihre Zwecke nutzen. Doch wie lassen sich sportliches Interesse und strategisches Kalkül unterscheiden? Können Gemeinschaften, in denen es um Fairness und Respekt geht, dazu beitragen, Menschen aus der braunen Szene herauszulösen? Oder laufen sie eher Gefahr, selbst von rechtem Gedankengut durchsetzt zu werden?

Um Antworten auf solche Fragen zu finden, hilft es, Frank Hillmer die Geschichte aus seiner Sicht erklären zu lassen. „Ich sag Ihnen das klipp und klar“, sagt er, „Hier kann kommen, wer will: Linke, Rechte, Ausländer, Deutsche. Aber hier drin wird gemacht, was ich sage.“

Der Trainer ist ein kräftig gebauter Mann mit kurzen, grauen Haaren, um den Bauch ist er etwas füllig geworden. Knapp 80 Mitglieder hat der Verein, sie trainieren in zwei Gruppen, eine für Boxen, eine für Kraft- und Ausdauersport. Die Vorwürfe, sagt er, kamen vor allem wegen eines Mitglieds auf, das „der rechten Szene angehört“. Marco H. ist in Zwickau bekannt, weil er hinter dem Laden Eastwear Department steckt. Viele der Marken in seinem Sortiment sind bei Neonazis beliebt, Thor Steinar oder die Zwickauer Labels Brachial und Eastfight.

Aufrichtig interressiert

An Frank Hillmer deutet nichts auf rechtsradikale Ansichten hin. Er antwortet auf alle Fragen, weicht nicht aus und gewährt freien Zugang zu den Vereinsräumen. Er scheint aufrichtig daran interessiert zu sein, die Vorwürfe auszuräumen. Doch es gibt einige Details, die stutzig machen: Hillmer trägt ein T-Shirt mit dem früheren Namen des Ladens auf der Brust: The Last Resort Shop. Wieso hat er dieses T-Shirt angezogen, noch dazu, wo er wusste, dass er einen Pressetermin hat?

Ein verwirrter Ausdruck huscht über sein Gesicht. „Oh, das alte T-Shirt“, sagt er. „Da achte ich gar nicht drauf.“ Er schaut drein, als habe er sich tatsächlich noch nie Gedanken über dieses T-Shirt gemacht. Von der KSSV-Website ist das Logo inzwischen verschwunden. Bis Ende 2011 ist H.s Laden offen als Sponsor des Vereins aufgetreten. Als die anonymen Briefe kursierten, forderte das Ordnungsamt Hillmer auf, den Namen des Ladens von der Seite zu entfernen.

Sport und Politik, das sind für Hillmer zwei Bereiche, die nichts miteinander zu tun haben. Doch so einfach ist es nicht. Nach Einschätzung von Experten arbeiten Neonazis seit einigen Jahren daran, den Sport zu unterwandern. Der Trainer sagt, dass er von H. noch nie irgendwo rechte Parolen gehört hat. Wo also ist das Problem? Am folgenden Nachmittag eilt er gegen 15 Uhr ins Proactiva-Zentrum, er steuert, vorbei an den Trainingsgeräten, auf eine Couch in der Ecke zu.

Der Trainer wirkt manchmal wie ein Mann, der aus der Zeit gefallen ist. „Die sogenannte Wende“, sagt er, wenn es um die deutsche Einheit geht. Nicht, dass er zu den Anhängern der SED gezählt hätte. Mit deren Ideologie konnte er nichts anfangen, also lernte er früh, nicht über Politik nachzudenken, und das ist ihm ins Wesen übergegangen. Der Sport aber wurde in der DDR intensiv gefördert, und das ist es, was für ihn zählt.

Die Gedanken sortiert

Er lehnt sich zurück, die Beine von sich gestreckt, und sortiert seine Gedanken. „Beim Boxen, da geht es um den Zweikampf“, sagt er. „Wenn du da oben stehst, dann hilft dir keiner. Beim Fußball, da rennste eben mal und mal nicht, dann rennen die anderen. Aber beim Boxen, da biste auf dich alleine gestellt.“

Hillmer ist in Zwickau aufgewachsen, schon sein Vater war Boxer, er selbst fing mit zehn Jahren an. Er gewann Bezirksmeisterschaften, wurde Dritter bei den DDR-Meisterschaften. Nach dem Abitur ging er nach Berlin, fing ein Studium an, Finanzwirtschaft, und brach es wieder ab. Stattdessen baute er an der Humboldt-Universität eine Boxmannschaft auf. Später arbeitete er hauptberuflich als Trainer in einem Sportklub in Berlin-Friedrichshain. „Wir waren ganz oben“, sagt er über seine Karriere in der DDR, „wir hätten mal so weiter machen sollen im Sport.“

Nach der Wende sah er zu, wie die Förderstrukturen zerfielen. Seine Stelle wurde auf eine halbe gekürzt und dann ganz gestrichen. Heute verdient Hillmer als Erzieher in einem Kinderheim sein Geld, um den Verein kümmert er sich nach Feierabend. „Man lässt den Sport alleine“, sagt er, obwohl der Nachwuchssport in Zwickau noch relativ gut unterstützt werde.

Hillmers Zeit reicht hinten und vorne nicht; deswegen ist er dankbar für jede Hilfe, auch die von H. Was daran schlecht sein soll, wenn sich jemand für seinen Verein einsetzt, das kann er nicht verstehen. Angefangen hat es vor etwa zwei Jahren, da war der Verein gerade dringend auf der Suche nach einem Trainingsraum. H. musste Sozialstunden ableisten, wegen eines Steuerdelikts, sagt Hillmer. Er schlug dem Trainer vor, den Raum unter dem Proactiva-Studio zu renovieren. H.s Gesinnung war ihm bekannt; sie kümmerte ihn nicht. „Wenn einer mit dicken Ohrringen kommt, sag ich: Mach das ab. Aber ob einer Haare hat oder nicht, das ist mir egal.“

Werbung in Schulen

Seither hat sich H. stark in die Vereinsarbeit eingebracht; oft ergreife er die Initiative, sagt Hillmer, kümmere sich etwa um Werbung in Schulen oder die Gestaltung von Flyern. Vor einigen Monaten habe er sogar ein Boxcamp zur Förderung von Toleranz und Integration angeregt. Wie das zusammenpasst? „Na, weil das nicht so ist, wie da geredet wird. Er will sich ja bessern.“

Man würde gern wissen, wie H. selbst seinen Einsatz für den Boxverein erklärt. Der Laden liegt in einer ruhigen Straße nahe der Zwickauer Fußgängerzone. H., gedrungen, mit kahlem Schädel, kommt hinter dem Tresen hervor. Er ist missgelaunt, hochfahrend, er schreit: „Verlassen Sie bitte den Laden!“

Wenige Kilometer weiter, auf der anderen Seite der Stadt, springt Frank Hillmer die Treppe zum Trainingsraum herunter. „Jetzt zum Aufwärmen machen wir Gymnastik“, ruft er. Der Raum schwirrt vor durch die Luft pfeifenden Springseilen, dem leichten Trapptrapp der Schritte, den keuchenden Atemzügen.

Aus den Lautsprechern dringen krachige Rhythmen, grölender Gesang sackt in den Trainingslärm. Die Band heißt Freiwild, offen rechtsextrem ist ihre Musik nicht, wohl aber massive Deutschtümelei. Einer der Jungs habe die CDs mitgebracht, sagt Hillmer: „Das muss ein bisschen hart sein. Wir machen hier ja keinen Schmusekurs.“ Ein blasser, dünner Junge schreit empört dazwischen: „Die sind nicht rechts, die sind ganz normal!“

Die Aufregung ist abgeklungen

Hillmer stellt sich in die Mitte des Raums, richtet kritische Blicke auf die Sportler ringsum. Der Trainer sagt, dass es in seinem Verein schon immer einen hohen Anteil an Ausländern gab; er zeigt nach links und nach rechts: Ein Junge stammt aus Russland, einer aus Kroatien, ein anderer ist Halbkubaner. Inzwischen ist die Aufregung um den Verein ohnehin wieder abgeklungen; die Stadt hat sich offen hinter Hillmer gestellt.

Von wem die Briefe kamen, ist nie herausgekommen; für Hillmer gibt es keinen Zweifel, dass das Ganze eine Kampagne rivalisierender Vereine war. „Ich kann mir nicht vorstellen, wer mir sonst was Böses tun will“, sagt er. Am Abend ruft er noch einmal an, ihm ist noch etwas eingefallen. „Was ich sagen wollte: Bei mir trainieren auch sechs Polizisten“, sagt er, „und die trainieren auch mit Herrn H. zusammen.“

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