Nachwuchs entert Bühne: In einer weißen Zelle

Ein superjunges Team zeigt am Bremer Moks eine etwas zu unruhige Inszenierung von Holger Schobers Einpersonenstück „Hikikomori“.

Seine Matratze begräbt den namenlosen Hikikomori Christoph Vetter. Foto: Jörg Landsberg (Theater Bremen)

Sauber aufgeräumt ist das karge Zimmer, viel zu sauber, zwanghaft sauber: Eine mit hellen Laken bezogene Matratze, ein Waschbecken, und umlaufen wird die Brauhauskeller-Bühne des Bremer Theaters von einem Beet heller Zengarten-Kiesel. Die Rückwand bildet ein durch rechtwinklige Gefache unterteilter Holzrahmen, in den Zora Hünermann und Alexander Pfeiffenberger eine milchige Projektionsfläche gespannt haben: So elegant spielt ihre Bühne mit dem Japanismus der Vorlage. Denn dieses Zimmer ist das freigewählte Gefängnis der Titelfigur von Holger Schobers Stück „Hikikomori“, das jetzt am zweiten November-Samstag Premiere hatte.

In ihm wird Christoph Vetter wüten, seinen Erinnerungen nachhängen – und seinem Waschzwang frönen. Fünf-, sechsmal zieht er, vom Selbstekel gepackt, sein blaues T-Shirt aus, um seinen Oberkörper am Waschbecken mit brutaler Hektik zu schrubben und sich dann ein neues blaues T-Shirt überzustreifen. „Ich stinke nach mir“, schreit er die leeren Wände seiner weißen Zelle an.

Kassiber an die Eltern

Für die Produktion hat die Kinder- und Jugendsparte des Bremer Theaters, das Moks, mutig ganz auf Nachwuchs gesetzt: Ausstatter Marvin Uhde hat gemeinsam mit Pfeiffenberger an der Bremer Hochschule für Künste studiert, Hünermann ist von dort an die Wiener Universität für angewandte Künste gewechselt. Sie kennt Regisseur Klaas H. Bartsch seit 2011 von Produktionen der Jungen Akteure: Die vor zehn Jahren gegründete Moks-Theaterschule hat Bartsch vor seinem Studium in Hildesheim so komplett wie sonst keiner durchlaufen. Nur gerade eben bringt es dieses vierköpfige Team auf über 100 Lebensjahre – so funktioniert Nachwuchs-Förderung.

Versagt hat die bei den Hikikomori, also: den Sich-Wegschließenden. Denn so heißen Menschen, meist sind es junge Männer, die wegen Leistungsdrucks und Versagensangst an der Schwelle zum Erwachsenwerden kapitulieren: Sie ziehen sich in ihr Zimmer zurück, reduzieren den Kontakt zur Außenwelt auf Kassiber mit Essenswünschen an die Eltern – und Aufenthalte in Chatrooms.

Angeblich verbreitet sich diese neubeschriebene, web-gestützte Soziophobie-Form unter den Kindern von Japans Mittel- und Oberschicht epidemisch. Aber auch in Deutschland ist Schätzungen zufolge jeder achte Jugendliche gefährdet. Mit der kulturellen Bearbeitung des Themas begonnen hatten Manga- und Anime-AutorInnen, am eindrucksvollsten sicher Tatsuhiko Takimoto in seiner auf Deutsch beim Hamburger Carlsen Verlag erschienenen achtbändigen Novel „Welcome to the N.H.K.!“.

Schober ist ein Kenner auch dieser oft geschmähten Jugendkultur. Seine Texte gewinnen viel ihrer Rasanz durch seine fröhlich schamlosen Bezugnahmen auf – beispielsweise – Comics. So ist die namenlose Titelfigur des Einpersonenstücks Hikikomori, die sich in Erinnerungen an die Demütigungen seiner Kindheit ergeht, ein gealterter Charlie Brown nach Schulabschluss: „Ich glaube nicht“, sagt er, „dass sich irgendjemand, mit dem ich mal in einer Klasse war, an mich erinnert.“

Charlie Browns große Liebe

Das Einzige, was ihn, spinnwebdünn, an die Welt bindet, ist die Erinnerung an den stets verzehrend erhofften, stets hoffnungslos unerfüllten Kontakt zum rothaarigen Mädchen, dem er immer nur beinahe begegnet ist. Mit dem er einmal im Mai 1998 beinahe getanzt hätte. Nur leider ist dann doch was dazwischen gekommen. Bei Charles M. Schulz war Snoopy schneller (und attraktiver). Bei Schober hat er ihr im Augenblick der Erfüllung vor Aufregung übers Kleid gekotzt. Im Chat taucht diese ferne Geliebte als Rosebud auf, Rosenknospe.

Im Zimmer spielt die Matratze ihre Rolle als Tanzpartnerin: Kraftvoll fährt Vetter mit ihr Schlitten, walzt sie durchs Zimmer, bis sie ihn unter sich begräbt – allerdings nur kurz. Zu kurz: Dieses Stück bräuchte ab und an mehr als 20 Sekunden Stille. Doch für die Kontraste hat Bartsch in seinem Regie-Erstling die Ruhe gefehlt: Während er mit gutem Gespür Komik und wilde Ausbrüche des Textes ausspielen lässt, fehlen seinem Hikikomori Momente des Leerlaufs. So gerät zu Zappelei, was quälende Unruhe sein sollte. Um wirklich zu berühren, bräuchte dieser Gefangene seiner selbst ein wenig Lethargie. Und etwas bleierne Schwere.

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